Wie würdest du einen Freund bezeichnen, der dich von einen Tag auf den anderen scheinbar grundlos ghostet? Welche Schimpfwörter fallen dir für deine*n verhasste*n Ex ein? Wie nennst du den*die Arbeitskollegen*in, der*die nie mit irgendjemanden ein Wort redet und irgendwie ein bisschen creepy ist?
Soziopath*in? Absolut nachvollziebar. Aber streng genommen sollest du mit dem Begriff nicht so leichtfertig um dich werfen, denn er ist viel komplexer als du vielleicht denkst.
Soziopathie wird auch als amoralische, dissoziale, antisoziale oder asoziale Persönlichkeitsstörung bezeichnet – wobei die letzten beiden Bezeichnungen mit Vorsicht zu genießen sind. Soziopathie und Asozialität sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Denn Verhaltensweisen, die viele anti-, un- oder asozial nennen, lassen sich vereinfacht gesagt besser durch den Begriff „sozialen Rückzug” beschreiben, sagt Dr. Dabney und ergänzt, dass sozialer Rückzug an sich keine Verhaltensstörung ist. Es kann aber beispielsweise ein Symptom für eine Sozialphobie, eine Angststörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung sein. Soziopathie dagegen ist eine Verhaltensstörung, die sich wiederum durch viele Symptome auszeichnen kann.
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Soziopath*innen ziehen sich typischerweise gar nicht so oft zurück – zumindest nicht für längere Zeit. „Sie ziehen sich nur zurück, wenn sie das Gefühl haben, jemand würde ihnen zu nahe kommen. Aber dann kommen sie meist sehr schnell wieder zurück, weil sie ungern zu lange von anderen getrennt sind. Deswegen stufen wir sozialen Rückzug meist gar nicht als ein Symptom von Soziopathie ein”, so Dr. Dabney. Es ist ganz normal, sich ab und zu mal zurückzuziehen, wenn einem alles zu viel wird. Aber Soziopath*innen bleiben nicht einfach nur mal einen Abend zu Hause auf dem Sofa liegen, sie greifen zu deutlich drastischeren Mitteln. Das kann beim Lügen anfangen und bis hin zur Manipulation oder generell zum disrespektvollen Verhalten gehen.
Laut Dr. Dabney ist es deswegen auch extrem schwer, eine „normale” Beziehung mit einer*m Soziopath*in zu führen. Wenn du also jemanden liebst (oder geliebt hast), die*der unter einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leidet, wäre es gut, wenn du dich einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten anvertraust. Eine Beziehung mit einer betroffenen Person ist ein Prozess, bei dem du dich von professionell unterstützen lassen solltest. Nicht nur für Partner*innen von Soziopath*innen kann eine Therapie sehr hilfreich sein, auch für die Betroffenen selbst. Allerdings liegt die Schwierigkeit darin, dass es Letzteren schwerfällt, sich objektiv zu betrachten. Ihr Problem ist ihnen oft nicht bewusst. Du musst vor dir selbst und anderen zugeben können, dass du ein Problem hast. Sonst macht eine Therapie keinen Sinn. „Aber diese Menschen sind so verletzbar, dass sie das nicht können. Stattdessen finden sie immer wieder neue Rechtfertigungen für ihr Verhalten”, sagt Dr. Dabney.
Es gibt zwar nicht viele Untersuchungen zur Häufigkeit von Soziopathie, aber Dr. Dabney versicherte mir, es sei nicht sehr weit verbreitet. Asozial fühlen sich dagegen deutlich mehr Menschen ab und zu mal.
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