Schlaf ist neben Grilled Cheese Sandwiches, Homeland und Urlaubssex in den eigenen vier Wänden die schönste Nebensache der Welt.
Die erste durchzechte Nacht macht noch Spaß. Die zweite und dritte auch, vielleicht gibt dir auch die zehnte noch einen Kick.
Ganz abgesehen davon, ob so eine schlaflose Nacht tanzend und trinkend oder wälzend und wach liegend verbracht wurde, können wir uns alle darauf einigen, dass der Tag danach ein einziger großer Horror ist.
Ich persönlich bin seit ich denken kann ein unruhiger Schläfer. Ich habe sämtliche Tipps und Mittel zum Einschlafen ausprobiert. Doch worüber niemand spricht – außer die sporadische Ode an den Thermobecher voller Kaffee –, ist der Morgen danach. Nehmen wir an, ich habe alles gegeben, einzuschlafen, und habe es trotzdem nicht geschafft. Wie überstehe ich den nächsten Tag, wenn meine Lider gefühlt mehr wiegen als zweimal ich? Schlafstörungen werden untersucht, Schlafrhythmen analysiert, seziert, evaluiert – aber wie zur Hölle bleibe ich wach, wenn ich totmüde im Büro sitze?
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Mittlerweile habe ich mir angewöhnt, zu sagen, ich sei krank. „Ich habe nicht geschlafen“ wird dann allerdings meistens mit unbeeindruckten Blicken und einem unausgesprochenen „Mäuschen, hier ist jeder müde“ erwidert. Also beschloss ich mit Ärzten und Therapeuten zu sprechen, die auf Schlafdiagnostik und Somnographie spezialisiert sind, und fragte nach alltagstauglichen Lösungsvorschlägen.
Sollte man beispielsweise wirklich Kaffee trinken, wenn man die ganze Nacht kein Auge zugemacht hat? Wie sieht es mit dem Zuckerkonsum aus? Sollte man nappen oder lieber nicht? Das und mehr habe ich Dr. Guy Meadows von der Sleep School und Dr. Neil Stanley, einen selbstständigen Schlafdiagnostiker und -therapeuten, gefragt. Außerdem konsultiert: eine ganze Menge meiner schlaflosen Freunde.
Zu allererst: Akzeptiere die Symptome
Dr. Meadows vertritt eine neue Form der Schlaftherapie, welche wiederum auf den Grundsätzen kognitiver Verhaltenstherapie basiert. Anstatt die Symptome, wie etwa Kopfschmerzen, Übelkeit, Reizbarkeit, jedoch zu beseitigen, trainiert er seine Patienten, sie zu anzunehmen und zu akzeptieren.
„Wenn wir diese Symptome haben, wollen wir sie loswerden. Je mehr wir allerdings daran setzen, sie loszuwerden, desto mehr steigt auch der Frust, wenn es nicht klappt“, erklärt Dr. Meadows. „Die kognitive Verhaltenstherapie soll uns klassischerweise dazu bringen, den Frust und andere negative Emotionen zu unterdrücken und sie zu beseitigen. Aber warum probiert man nicht einmal eine achtsamere Herangehensweise aus? Mindfulness kann auch in solchen Momenten viel bewirken. Sag dir selbst ‚Ich fühle mich gerade schlecht, aber ich werde versuchen, die Dinge um mich herum wahrzunehmen. Ich werde meine Hände spüren, und die Tasche, die sie halten. Ich werde den Wind in meinem Gesicht merken. Ich bemerke die Menschen in meiner Umgebung‘ – es klingt fast ein bisschen zu einfach, aber eigentlich geht es wirklich nur darum, nicht mehr ständig alles zu be- und verurteilen und von der Negativität abzulassen.“
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Der Grundgedanke dahinter ist der, dass Schlaf ein biologischer Prozess ist, den wir nicht kontrollieren können. Je mehr wir versuchen, unseren Schlaf zu kontrollieren, desto mehr gerät dieser Prozess aus der Kontrolle und desto mehr negative Gefühle kommen in uns auf. „Wer nach einer unruhigen Nacht den Tag über so neutral und ausgeglichen wie möglich bleibt, der kommt besser durch den Tag und hat abends bessere Chancen darauf, dass sich das Spektakel nicht wiederholt“, so Dr. Meadows.
Geh raus und beweg dich
Kurz gesagt: Sonnenlicht – oder Tageslicht allgemein – signalisieren dem Gehirn, dass du wach bist. Obwohl der Gedanke an blendende Sonnenstrahlen sich in der Regel anfühlen wird wie eine Idee aus der Hölle, sollte man den inneren Schweinehund überwinden und sich hinausschleppen.
„Man sollte den Tag so positiv wie möglich starten“, erklärt Dr. Neil Stanley und ergänzt, dass das herzlich wenig mit einem Dauerlachen bei Aufstehen zutun hat. „Dazu gehören natürliches Tageslicht, eine Dusche, eine Tasse Tee oder Kaffee. Niemand muss gleich nach dem Aufstehen aufs Laufband, aber allein ein kleiner Spaziergang zur Bushaltestelle oder einen Teil des Arbeitsweges fußläufig hinter sich zu bringen, kann wirklich helfen.“
Auch viele meiner Freunde, die auch an Schlaflosigkeit leiden, also insomnisch sind, raten zu mehreren, kurzen Spaziergängen an der frischen Luft. „Und das Fenster regelmäßig öffnen“, fügt eine von ihnen hinzu. „Und im Stehen arbeiten!“ Ein Rat, der auch wissenschaftlich bestätigt wird. „Viel Bewegung, wirklich viel Bewegung“ und „UM GOTTES WILLEN NICHT IN EINEM DUNKLEN RAUM ARBEITEN“ sind noch solche Antworten, die ich oft bekomme.
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Trinke einen Kaffee
Ja, Koffein ist streng genommen ungesund. Sowohl Dr. Stanley als auch Dr. Meadows raten jedoch dazu, den Wachmacher nicht gänzlich zu verteufeln.
„Ich habe das Gefühl, ich verbringe einen Großteil der Zeit damit, meine Patienten davon zu überzeugen, dass sie Kaffee trinken dürfen“, erläutert Dr. Meadows. „Viele traditionellere Methoden der Bekämpfung von Schlaflosigkeit sind so regelbasiert, dass sie einen wichtigen Grundsatz außer Acht lassen: Sei gut zu dir selbst! Dazu gehört auch ein frisch gebrühter Kaffee. Zwei Dinge sollten lediglich bedacht werden: keine zehn Tassen täglich, und im Idealfall nicht anch 15 Uhr.“
Dr. Stanley stimmt ein: „Die Vorteile von Kaffee sind definitiv kurzlebig, aber wenn es dir einen Kickstart in den Tag verpasst oder dir dabei hilft, den Arbeitstag zu überstehen, warum nicht. Lediglich zu viel Kaffee sollte man nicht zu sich nehmen und nicht vergessen, dass auch nach dem Koffein-High erstmal ein spürbarer Energieabfall eintreten wird, der einkalkuliert sein will.“
Die Wissenschaft besagt außerdem, dass 10:30 Uhr die beste Zeit ist, um einen Kaffee zu trinken, weil das der durchschnittliche Tiefpunkt der körpereigenen Cortisolproduktion ist. Cortisol ist ein Hormon, das unter Anderem auch das Wachsein bedingt – wer Kaffee also trinkt, wenn der Cortisolspiegel sowieso schon hoch ist, der wird die Wirkung kaum spüren. Das Problem mit der Schlaflosigkeit ist, dass die Cortisolproduktion nicht mehr dem biologischen Rhythmus folgt und um 10:30 Uhr wahrscheinlich nicht am Tiefpunkt sondern irgendwo zwischen 1 und 1.000 steht und die wissenschaftliche These damit zunichte macht.
Wer also die ganze Nacht nicht geschlafen hat, sollte den Kaffee nicht „präventiv“ nehmen, sondern wirklich dann, wenn sie oder er merkt, dass es energietechnisch zielgerade gen Null geht – also kurz, bevor der Kopf den Schreibtisch trifft, denn so kannst du zumindest sicher gehen, dass dein Cortisolspiegel sich auf einem sehr niedrigen, wenn nicht dem niedrigsten Stand befindet. Wir sind so clever.
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Die Kraft des Powernaps
„Ich hatte mal eine Patientin, die nicht schlafen konnte. Im Laufe der Behandlung stellte sich heraus, dass sie bis zu sechs Stunden täglich kürzere Nickerchen hielt. Aha! dachte ich. Da haben wir’s!“, erinnert Dr. Meadows. „Es gibt viele Regeln, gegen die ich bin – eine von ihnen ist ‚Keine Nickerchen, damit man abends müder ist und besser einschlafen kann‘. Das ist mir zu realitätsfern. Man sollte sich Naps erlauben, allerdings sollten die nicht länger als 30 Minuten sein und auch nur vor 15 Uhr. Kurze, regelmäßige Schläfchen können Angstzustände vorbeugen, das Wohlbefinden steigern und die Schmerztoleranz fördern. Nur länger als 30 Minuten sollte man eben nicht einnicken.“
Dr. Stanley empfiehlt sogar kürzere Schläfchen: „Ein oder zwei 20-Minuten-Naps am Tag sind optimal, um die Symptome von Schlaflosigkeit zu mildern. Wer mehr schläft, wird auf lange Frist die nächtliche Unruhe nur noch verstärken.“
Viele Insomniker, betont Dr. Meadows noch, seien nach eigener Aussage schier nicht in der Lage, Nickerchen zu halten. Er empfiehlt dabei, es nicht so sehr als Schlafpause zu sehen, sondern viel mehr als Möglichkeit, einmal kurz die Augen zu schließen und zu entspannen – ganz losgelöst von Schlaf.
Ich wende diesen Tipp nun manchmal auch abends an: Anstatt mich verrückt zu machen, dass ich auf der Stelle einschlafen sollte, versuche ich es als Möglichkeit wahrzunehmen, ewig lange in meinem Bett zu liegen und nichts anderes tun zu müssen. Etwas, das man sich auch immer seltener erlaubt.
Prioritäten beim Arbeiten
Jeder hat seinen ganz eigenen Rhythmus beim Arbeiten. Allgemein kann man allerdings doch empfehlen, die wichtigsten Aufgaben gleich zu Anfang abzuhaken. „Zum Feierabend hin wird die Konzentrationsfähigkeit immer geringer und die Aufmerksamkeitsspanne kürzer. Die größeren Dinge vor sich hinzuschieben, ist also keine so gute Idee“, so Dr. Meadows.
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Auch eine Idee bevor der Kopf gegen den Bildschirm knallt: ein kurzer 10-Minuten-Powernap im Sitzen auf dem Klo.
„Außerdem sollte man nach dem Essen immer mit einem Tiefpunkt rechnen, auch der erfordert Präventivmaßnahmen“ ergänzt Dr. Meadows. Dazu gehört zum Beispiel ein großer Kaffee (vor 15 Uhr) und jede Menge Wasser – was mich zum nächsten Punkt bringt:
Achte auf deine Ernährung
Selbstverständlich wirst du vor allem Lust auf Fett und Zucker haben, wenn du schlapp bist und schlechte Laune hast. Und obwohl zuckerhaltige Snacks tatsächlich immer wieder für kurze Zucker-Highs sorgen, gibt es ebenso wissenschaftliche Nachweise dafür, dass unausgeschlafene Menschen im Schnitt 1.000 Kalorien zu viel zu sich nehmen. Außerdem erschweren sie das nächtliche Einschlafen, was weiterhin zu einem wahren Teufelskreis führen würde.
„Es gibt kein Essen, das gegen Müdigkeit hilft“, sagt Dr. Stanley, „fettige und süße Lebensmittel machen den Müdigkeitszustand allerdings nicht besser.“
Meine schlaflosen Freunde haben mir noch ein paar lebensnahe Tipps gegeben: „Wenn du das Gefühl hast, unbedingt snacken zu müssen, dann sind Nüsse eine gute Alternative, weil sie gute Öle enthalten und voller Proteine stecken.“ Sogar Vitaminbrausetabletten wurden mir als Mittel gegen akute Müdigkeitsattacken am Tag von einem weiteren Freund empfohlen.
Zieh dich nicht zurück
Es stellt sich also heraus, dass meine favorisierte Technik überhaupt nicht hilft: Man sollte sich nicht zurückziehen, „um in Ruhe zu arbeiten“, weil das den Schlappheitszustand nur verschlimmert und das Kippen der Stimmung, die bei den meisten Menschen im unausgeschlafenen Zustand sowieso schon nicht super ist, begünstigt.
Stattdessen sollte man sich dazu zwingen, mit Menschen in Kontakt zu treten, Austausch angehen und sogar gezielt nett und höflich sein, vielleicht mal ein Kompliment machen. Nett sein und Glückseligkeit haben immer noch die beste Auswirkung auf die Nachtruhe.
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Schlepp dich durch den Tag, egal wie
Solltest du diesen Artikel um 6 Uhr morgens in deinem dunklen Zimmer liegend auf deinem grellen Handybildschirm lesen, weil du mal wieder nicht schlafen konntest, darfst du gerne losschreien. Das ändert allerdings nichts daran, dass du einen neuen, ganzen Arbeitstag vor dir haben wirst.
Versuche, dich nicht festzuklammern, sondern sage dir, dass du da einfach durch musst. Kein Weg führt an dem neuen Tag vorbei. Führ dir den anstehenden Abend vor Augen und versuche, zu visualisieren, wie schön es sich anfühlen wird, in 15-17 Stunden mit frisch geputzten Zähnen wieder in deinem weichen Bett zu landen. Selbst die Experten belegen, dass Selbstvertrauen und der Glaube an dich selbst mehr bewirken kann, als du es dir anfänglich vorstellen kannst. Mach es wie mit einem Mantra – es braucht etwas Übung, aber es kann funktionieren – wir versprechen es!
Fazit: Aufstehen, strecken, bewegen, viel Wasser trinken, Ruhepausen guten Gewissens (!) gönnen und zwischendurch ins Bad gehen und kaltes Wasser ins Gesicht spritzen. Außerdem ein Kaffee vor drei und immer schön das Licht anbehalten beim Arbeiten. Zusätzlich eine gute Playlist und positive Gedanken an das eigene Bett und die nächste Nacht.
Wir glauben an euch!