Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um Themen wie Suizid, Trauma und psychische Gesundheit.
Letzten November erlebte ich mit, wie sich eine fremde Person das Leben nahm.
In diesem Moment wurde mein inneres Warnsystem ausgelöst. Mein Körper reagierte mit einem Kampf-oder-Flucht-Impuls, einer automatischen physiologischen Reaktion auf ein Ereignis, das als stressig, bedrohlich oder beängstigend wahrgenommen wird. Als Folge wird das sympathische Nervensystem aktiviert und eine akute Stressreaktion verursacht, die den Körper darauf vorbereitet, zu kämpfen oder zu fliehen.
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Mein Körper entschied sich, zu kämpfen, weshalb ich in der Lage war, so zu reagieren, wie ich es eben tat. Als ich nach meiner Zeugenaussage bei der Polizei aber wieder bei meinem Freund zu Hause ankam, stand ich noch immer unter Schock. Ich zitterte am ganzen Körper. Im Kopf spielte ich den Vorfall immer wieder durch und versuchte, die Lücken zu füllen. Vor allem versuchte ich aber, herauszufinden, ob es irgendetwas gab, das ich hätte anders machen können, um den Ausgang der Situation zu verhindern. Am nächsten Tag meldete ich mich auf Rat meines Arztes für fünf Wochen krank. Er riet mir außerdem zu einer Therapie.
Da wir uns mitten in der Pandemie befanden, erwies es sich als ziemlich schwierig, einen Therapieplatz zu bekommen: Ich verbrachte Wochen damit, E-Mails an meinen Psychiater, Hausärzt:innen und Therapieanbieter:innen zu schicken, bis ich dann im Februar dieses Jahres endlich einen Termin für eine Gesprächstherapie bekam. Meine psychische Gesundheit war angeschlagen, was sich wiederum auf meinen Appetit auswirkte. Innerhalb von einem Monat hatte ich ungefähr 13 Kilo verloren.
Drei Monate nach dem Vorfall hatte ich immer noch heftige Flashbacks, Albträume und reagierte nervös auf laute Geräusche. Manchmal saß ich in völliger Stille da. An anderen Tagen fing ich auf einmal an zu weinen. Ich hatte Angst davor, das Haus zu verlassen.
Zum Glück wurden mir Beratungstermine über den Zeitraum von sechs Wochen bewilligt. Meine Beraterin und ich gingen unterschiedliche Methoden durch, um mich zu erden. Zudem sprachen wir über meine Schuldgefühle, meine Depression und PTBS-Symptome (posttraumatische Belastungsstörung). Dabei stellte sich heraus, dass meine zuvor diagnostizierten psychischen Probleme und Traumata sowie die anhaltende Coronavirus-Pandemie (und der damit verbundene Stress) das Ganze verschlimmert hatten und der Verarbeitungsprozess deshalb noch schwieriger war, als er es unter „normalen“ Umständen gewesen wäre. Irgendwann erwähnte ich beiläufig, dass ich nirgendwo ohne meine Wärmflasche hingehe. Überraschenderweise sagte sie, dieses Verhalten sei normal für Trauma-Überlebende.
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Sie erklärte, dass Wärme Trost spendet – das Gegenteil von dem, was du bei einer Kampf-oder-Flucht-Reaktion fühlen würdest. Wenn dir wohlig warm ist, wirst du daran erinnert, dass du in Sicherheit bist.
Hydrotherapie kann für Menschen, die mit PTBS zu kämpfen haben, von großem Nutzen sein. Sie löst Muskelkrämpfe, trägt zur Entspannung bei und lindert Schmerzen. Diese Behandlungsmethode findet in der Regel in einem Pool statt, in dem das Wasser auf 35 Grad Celsius erwärmt wird und Patient:innen intensive Übungen wie z. B. Squats unter Wasser machen müssen.
Eine Studie aus dem Jahr 2018 fand heraus, dass Wasserbäder helfen, Stresshormone wie Cortisol zu verringern. Eine andere Untersuchung zeigt, dass Fußbäder dabei behilflich sein können, Stress zu verringern und den Instinkt, kämpfen oder fliehen zu wollen, senken.
Natürlich war mitten in der Pandemie nicht an eine Session in einem Hydrotherapie-Pool oder eine Behandlung in einem Spa zu denken. Stattdessen nahm ich auf Anraten meines Therapeuten jeden Abend vor dem Schlafengehen ein Bad. Das ermöglichte es mir, mich zu entspannen, meinen Stresspegel zu senken und mich zu beruhigen.
Laut der Psychotherapeutin Sarah Lee, die sich auf komplexe Traumata spezialisiert hat, kann das Gefühl von Wärme und Sicherheit Gefühle der Entspannung fördern und unsere Atmung und Herzfrequenz verlangsamen. Sie fügt hinzu, dass dieser Vorgang unser Überleben sicherstellen soll und erforderlich sein kann, wann immer wir tatsächlich flüchten oder fliehen müssen.
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„Bei einem Trauma“, fährt sie fort, „wird das angst- oder panikauslösende Erlebnis erneut durchlebt – entweder durch äußere Ähnlichkeiten mit der traumatischen Erfahrung (ich habe etwas gesehen/gehört/gerochen/geschmeckt/gefühlt, das mich an etwas Beängstigendes aus meiner Vergangenheit erinnert) oder durch innere Empfindungen (mein Herzschlag hat sich erhöht, was mein Gehirn daran erinnert, dass ich Angst hatte). Wir haben es also mit einer Situation zu tun, in der sich unser Körper nicht dessen bewusst ist, dass diese beängstigende Episode bereits vorbei ist. Damit stellt das Wahrgenommene, das an das Trauma erinnert, immer noch eine Bedrohung dar.“
Es gibt zwar eine Reihe von Therapien, die bei Traumaüberlebenden gut funktionieren, wie z. B. Hydrotherapie und EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, zu Deutsch: Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung). Die Wirksamkeit kann aber von Person zu Person unterschiedlich sein. „Jede Therapie, die Betroffenen hilft, sich auf sichere und nicht bedrohliche Weise wieder mit ihrem Körper zu verbinden, ist hilfreich. Mensche, die Traumata überlebt haben, fühlen sich nämlich oft von ihrem Körper in Stich gelassen und koppeln sich deshalb oft unbewusst von ihm ab.“
Die Therapeutin Sally Baker stimmt dem zu. Sie weist aber auch auf klinische Therapien wie die BWRT (Brain Working Recursive Therapy: ein neues psychologisches und psychotherapeutisches Modell, das die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der psychischen Gesundheit miteinbezieht) hin, die sich auf die Verarbeitung von Traumata konzentrieren. Im Normalfall reichen drei Sitzungen aus. Sie sind ebenfalls empfehlenswert, weil sie ein Wiederauftreten der traumatischen Erfahrung verhindern können. „Der Kern dieser Behandlungsmethode ist das Trauma“, sagt sie. „Mithilfe von BWRT müssen Patient:innen das traumatische Erlebnis nicht erneut durchleben, da dank dieser Methode der Inhalt nicht von Neuem besprochen werden muss. Da sich diese Therapieform auf einer unterbewussten Ebene abspielt und ein Nacherzählen so überflüssig wird, können Betroffene so enorm geschützt werden.“
Mittlerweile habe ich das Kontingent an Therapiesitzungen, das von meiner Krankenkasse übernommen wird, ausgeschöpft. Obwohl ich wahrscheinlich noch weitere Termine brauchen werde, um mein Trauma vollständig verarbeiten zu können, ist eine Wärmflasche in meinem Schoß eine großartige Erinnerung daran – zumindest vorübergehend –, dass es mir gut geht und ich vor allem sicher bin.
Wenn es dir selbst nicht gut geht oder du eine Person kennst, die eventuell Hilfe brauchen könnte, kannst du die Hotline der TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 anrufen oder den Chat der TelefonSeelsorge nutzen.
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