„Liebes Tagebuch...“ – jeder hat diesen Satz wohl schon mal irgendwann im Laufe seines Lebens heimlich, mehr oder weniger peinlich berührt, in ein Notizbuch gekritzelt, dass man für ein paar Jahre in einer Kiste hat verschwinden lassen. Diese Bücher haben dann allerdings aus mysteriösen Gründen die Eigenschaft plötzlich wieder aufzutauchen, wenn man am wenigsten damit rechnet. Im besten Fall hat man es gerade geschafft, erfolgreich zu verdrängen, wie unsicher man mal war und wie viele Gedanken man an den Typen aus dem höheren Semester verschwendet hat, der dann doch leider mit dem Perlenpaula-Mädchen aus dem BWL Einführungskurs angebandelt hat, oder wie sehr man sich mal von einem Songzitat von Nirvana verstanden fand.
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Dieses „guilty pleasure” der Wiederentdeckung der eigenen Gedanken hat jetzt auch Lena Dunham zelebriert, als sie auf einer alten Festplatte ihr Tagebuch aus den Jahren 2005/2006, der Vor-Girls-Ära wiedergefunden hat. Damit dieser Schatz an Lebenskatastrophen, unglücklichem Verliebtsein und scharfsinnigen Kommentaren der Welt nicht verloren geht, hat sich Lena dazu entschlossen ein feines, kleines Buch mit dem Titel „Is it Evil Not to Be Sure?” herauszubringen und damit die Girls Write Now-Organisation zu unterstützen, in dem man die gesamte Partitur des Erwachsenwerdens nachlesen kann. Dass Lena ja sowieso irgendwie die inoffizielle Königin des Tagesbuchschreibens ist, wissen wir ja spätestens seitdem sie in der ersten Girls-Staffel gegenüber ihren Eltern aus vollem Herzen „I might be the voice of my generation” (Ich könnte das Sprachrohr meiner Generation sein) proklamiert hat. Lenas Tagebuch ist eine Ode an die Nostalgie und an das Zelebrieren der Erinnerung geworden. In einem Text im Lenny Newsletter hat sie die Veröffentlichung des Buches so angekündigt, dass man nichts mehr möchte, als dieses kleine, rosafarbene Buch in den Händen zu halten, um in die junge Gedankenwelt der Vor-Famous-Lena einzutauchen:
„Ich brauchte einfach einen direkten Weg den Verlust meiner Jungfräulichkeit festzuhalten und das Gefühl des veränderten Lichts am nächsten Morgen auf meinem Gesicht, den Geruch von vebrannten Blättern, meine am Laternenpfahl festgefrorene Fahrradkette, die für die ganze Veränderung in mir stand, zu beschreiben. Diese Tagebücher sind voll von klebrig süßer Nostalgie für das Hier und Jetzt und einer zehrenden Einsamkeit, die direkt mit der Sehnsucht nach allen Jungs in Skinny Jeans, die ich in einem Radius von 30 Meilen finden konnte, zusammen hängt.”
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Die Verwandlung, die Lena in ihrem Tagebuch erfährt, war allerdings nicht immer Ziel der Sache, wie sie direkt in der Einleitung schreibt:
„Ich hatte als Kind immer mal wieder Phasen, in denen ich Tagebuch geschrieben habe, die Bücher habe ich dann möglichst offen Zuhause rumliegen lassen, mit der Hoffnung, dass sie meine Eltern entdecken und mich dann für längere Zeit aus der Schule nehmen. Tagebuch schreiben hatte für mich zu diesem Zeitpunkt auch irgendwie keinen Sinn, weil ich in diesem jungen Alter damals nicht verstehen konnte, wieso man etwas nur für sich und nicht für ein Publikum schreiben sollte. Das war, als würde man sich die Frage stellen, ob ein Mädchen, dass in einen begehbaren Kleiderschrank zum Weinen geht auch wirklich weint, selbst wenn sie niemand hört? Mit diesem Tagebuch-Dokument, das ich dann während des College anfangen habe, wurde dann aber irgendwie alles anders. (...) Die Sachen, die ich zu diesem Zeitpunkt angefangen habe aufzuschreiben, haben sich wie echte, wahre Ideen angefühlt, die mir manchmal ganz schön Angst gemacht haben. (...) Als ich diese Sätze - jeden zu seiner Zeit -verfasst habe, war mir nicht klar, was sie für eine Bedeutung für mich haben würden, dass kann ich erst jetzt sehen. Diese Sätze haben mir geholfen die Uni zu überleben.”
Und so wie Lena hier eine Lanze für das Tagebuchschreiben bricht, macht es vielleicht wirklich Sinn in dieser Snapchat-Selbstreflexions-Blase und dieser Instagram-Hyper-Realitätswelt, in der wir uns sowieso ständig mit uns selbst auseinandersetzen, mal wieder einen Stift in die Hand zu nehmen und das aufzuschreiben, was einem so passiert. Denn wie Lena so schön schreibt: „man weiß schließlich nie, ob die Sätze, die man so dahin kritzelt am Ende nicht die Planken sind, die einen müde und außer Atem an einen schönen Strand des Lebens anspülen.”
Als ich Lenas neues Buch gelesen habe, habe ich mich dann auch mal wieder getraut ein paar alte Hefte aus der Vergangenheitskiste unter meinem Bett hervorzukramen. Die meisten Sachen, die ich darin aufgeschrieben habe, sind Zitate aus Filmen und Büchern, die mir durch den Lebensherzschmerz geholfen haben. Zwischen diesen Ankergedanken habe ich dann aber auch ein paar kleine Sätze wiedergefunden, die wahrscheinlich wirklich verloren gegangen wären, in der ganzen Menge an Dingen, die einem so passieren. Und genau solche Erinnerungen, die so klein aber am Ende doch viel wert sind, sollte man für die nicht so guten Zeiten festhalten. Denn auch die peinlichsten Momente haben einen schließlich irgendwie dazu gebracht zu wachsen.
Wenn ich jetzt in einem meiner Tagebücher von 2010 den Satz lese: „Ehrlichkeit ist wohl die verwegenste Form der Tapferkeit” und drei Seiten später dann geschrieben habe: „Manchmal wünschte ich, es gäbe für die schlechten Tage im Leben ein Radiergummi” kann ich mich noch genau an dieses Achterbahngefühl des Erwachsenwerdens erinnern, das ja immer noch nicht ganz vorbei ist. In diesem Moment weiß ich dann auch, glaube ich, was Lena damit meint, wenn sie schreibt, dass ein Tagebuch auch immer dafür da ist, einen daran zu erinnern, wer man mal war und wie weit man eigentlich schon gekommen ist, in diesem wilden, wunderbaren Leben, das sich manchmal eben nur mit Worten bezwingen lässt. In diesem Sinne passt dann doch wieder auch irgendwie der Nirvana-Song, der es 2006 in mein Tagebuch geschafft hat. „It smells like teen spirit“ und somit auch irgendwie bis heute nach Nostalgie und der Hoffnung und Sehnsucht, dass morgen alles ein bisschen besser oder zumindest ganz anders wird.
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