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Wie ehrgeizige Eltern ihre Kinder gefährden, ohne es zu merken

Dieser Artikel erschien zuerst bei HuffPost.
Junge Eltern wollen für ihre Kinder nur das Beste. Die besten Startchancen ins Leben, eine vielseitige Kindheit - eine tolle Schulausbildung.
Das Problem: Wenn sie es allzu gut meinen, erreichen sie möglicherweise genau das Gegenteil, warnen Psychologen. Die Experten haben eine besorgniserregende Beobachtung gemacht: Eine wachsende Zahl von Kindern leidet unter Burnout, wie eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld belegt.
Eben noch war es ein Leiden gestresster Manager und Menschen eher in der zweiten Hälfte ihres Berufslebens. Nun ist es auch ein Problem der Schwächsten.

Jedes sechste Kind leidet unter massivem Stress

Häufig trifft es gerade die Kinder, denen es an nichts zu fehlen scheint. Die behüteten Mittelstandskinder, die mit Vollkornbrot und Apfel in die Schule gehen und mit ihrer Familie in den Skiurlaub fahren. Es sind Kinder, die über alles geliebt werden – und sich trotzdem nicht gut fühlen.
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Schuld sind die Eltern, die eigentlich nur das Beste für ihren Nachwuchs wollen - und doch das Gegenteil erreichen.
Mit erschreckenden Folgen, wie die Zahlen der Bielefelder Studie zeigen. Demnach leidet jedes sechste Kind und jeder fünfte Jugendliche in Deutschland unter deutlichem Stress.
Das Problematische daran: Die Eltern bekommen das oft nicht einmal mit. Neun von zehn Eltern glauben nicht, dass sie ihr Kind überfordern und 40 Prozent von ihnen sorgen sich viel eher darum, ihr Kind nicht genug zu fördern, heißt es in der Studie.

Symptome wie Manager am Ende ihrer Karriere

Auch die Ergebnisse der KiGGS-Studie, einer breit angelegten Untersuchung der Universität Bremen, des Robert-Koch-Institutes Berlin und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychologie Hamburg, brachten beunruhigende Ergebnisse hervor: Die Forscher sehen bei rund einem Fünftel der Drei- bis 17-Jährigen in Deutschland die Gefahr, psychisch auffällig zu werden.
Zwei Drittel der befragten Kinder fühlten sich demnach nicht nur gestresst, sondern sie litten unter klassischen Burnout-Symptomen wie Einschlafproblemen, Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfung, Müdigkeit oder Kopf- und Bauchweh.
Bei manchen Burnout-Kindern komme erschwerend sogar noch eine Erschöpfungsdepression hinzu, heißt es in der Studie.

Das Problem sind oftmals die Eltern

"Kinder können vor Erschöpfung ausbrennen", schreibt Michael Schulte-Markwort, Kinder- und Jugendpsychiater vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf in seinem Buch "Burnout-Kids“. Der 59-jährige Experte beklagt, dass Kinder zunehmend mit dem Gefühl aufwachsen, nicht zu genügen.
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Nicht konzentriert genug zu sein, nicht musikalisch genug, nicht sportlich genug – nicht gut genug in der Schule. Mädchen sollen noch stärker als Jungen unter dem Leistungsdruck leiden, weil sie generell als "disziplinierter und perfektionistischer“ gelten.
Der Alltag der Eltern sei völlig durchgeplant, der ihrer Kinder ebenso, schreibt er.
Und tatsächlich scheint die Prämisse vieler Eltern zu lauten: lieber zu früh als zu spät. Schon im Kindergartenalter versuchen viele, die Kleinen auf das Berufsleben vorzubereiten – teilweise schon im Säuglingsalter.
Apps und CDs sollen Babys das Zählen beibringen, es gibt bilinguale Kindergärten, in denen die Kinder ein besseres Sprachgefühl entwickeln sollen. Alles gut gemeint.

879 Millionen Euro für Nachhilfestunden

Was früher als Hochbegabtenförderung galt, ist heute längst Standard. Der leistungsorientierte Drill in der Erziehung spiegelt sich auch in anderen Zahlen wider.
Eltern in Deutschland investieren jährlich 879 Millionen Euro in private Nachhilfestunden für ihre Kinder. Pro Monat geben sie durchschnittlich 87 Euro für diese Fördermaßnahmen aus.
Das geht aus einer 2016 durchgeführten Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor.
Credit: Bertelsmann Stiftung

Schnelllebigkeit und der Drang zur Perfektion

Schulte-Markwort kritisiert vor allem den von Schnelligkeit geprägten Alltags-Rhythmus, den oftmals auch die Eltern ihren Kindern vorleben. Wer das Tempo nicht hält, bereitet den Eltern schnell "Sorgen".
Anstelle eines ehrlichen "Es geht mir nicht gut“ relativieren die betroffenen Kinder oft ihre Situation - und geben ihr Leid nicht offen zu. Stattdessen mündet der psychische Stress im Täuschen der eigenen Wahrnehmung: Ich bin einfach zu empfindlich, ich muss mich nur mal zusammenreißen, dann wäre alles gut.
"An der körperlichen Verfassung der Kinder lassen sich gut erste Symptome für einen Burnout erkennen“, sagt die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Kathrin Reiter der HuffPost. Eltern, die bei ihren Kindern die typischen Anzeichen für einen Burnout feststellen, sollten umgehend Gegenmaßnahmen einleiten.
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Hierzu zählen Problem- und Konfliktlösungsstrategien, Stressmilderung und auch der Besuch bei einem Therapeuten. "Wenn die Seele nicht sprechen kann, spricht der Körper“, sagt Reiter.

Die Kindheit darf nicht zu Qual werden

Kinderpsychologen fordern ein Umdenken der Eltern. Die Kindheit dürfe nicht zur Qual werden. Schulte-Markwort schreibt, dass es zu trivial sei, "die Gesellschaft“ für diese Entwicklung verantwortlich zu machen.
Eltern sollten lieb gewonnene Alltagsmuster in Frage stellen. "Für mich ist der naheliegende Lösungsansatz, erst einmal die Werte zu hinterfragen, die wir vermitteln. Wir müssen zu einer anderen Gewichtung kommen, um Erschöpfungskrankheiten wie Burnout einzudämmen.“
Man müsse das Tempo drosseln, Ruhe bewahren und Ruhe einkehren lassen, indem man mit den Kindern rausgehe, die Natur beobachte. So entstünden kreative Freiräume – und am Ende auch glückliche Kinder.
"Wir müssen uns fragen: Muss es wirklich immer mehr sein? Muss die Latte wirklich immer höher liegen?“, fragt Schulte-Markwort.
Zu der Debatte gehöre auch, dass Schule sich im Generellen ändere. Seine Empfehlung: kleinere Klassen, mehr pädagogisches Rüstzeug für Gymnasiallehrer und mehr gegenseitige Hilfe unter den Lehrerkollegen. Auch Hausaufgaben würde er gerne in Zukunft abschaffen.
"Solche Veränderungen stellen sich nicht über Nacht ein, aber manchmal genügt schon ein erster Anstoß“, sagt der Experte.
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