Der Moment, der Amanda Todds Leben für immer verändern sollte, dauerte nur wenige Sekunden. Es ist das Jahr 2009. British Columbia, Kanada. Amanda geht in die siebte Klasse, trifft sich regelmäßig mit anderen jungen Menschen im Netz auf einer Videochat-Plattform. Dort singt und tanzt sie vor ihrer Webcam, sucht wie viele Jugendliche nach Aufmerksamkeit und Bestätigung. Einer der Nutzer fordert sie auf, ihre Brüste zu zeigen. Amanda zieht ihr T-Shirt hoch. Es ist nur ein kurzer Augenblick, doch offenbar macht jemand davon einen Screenshot. Monate danach bekommt sie eine Nachricht von einem Unbekannten, der sie mit der Aufnahme erpresst. Ihre Tortur beginnt.
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Drei Jahre später steht Amanda wieder vor ihrer Webcam. Diesmal singt und tanzt sie nicht. Vor weißem Hintergrund hält sie stumm handgeschriebene Botschaften in die Kamera. Sie berichtet von ihrem Leid, will ihre "nicht endende Geschichte" erzählen. "Wenn du keine Show für mich abziehst, verschicke ich deine Brüste", drohte ihr der Chatkontakt demnach. Er kannte ihre Adresse, die Namen ihrer Schulfreunde, ihrer Bekannten. Allen sendete er das Bild. Amanda beschreibt, wie sie von ihren Mitschülern gemobbt wurde. Außenseiterin wegen diesem Jemand, der ihr Leben zerstörte.
Sie bekam Depressionen, litt unter Panikattacken und sozialen Phobien. Sie zog um, doch ihr Stalker verbreitete die Geschichte an ihrer neuen Schule. "Ich kriege dieses Foto nie zurück, es ist für immer da draußen", schreibt sie auf den Tafeln im Video. Sie wechselte erneut die Schule, doch auch dort holte das Foto sie ein. Wieder wurde sie gemobbt. In einer CBC-Doku gab Amandas Mutter Einblick in die Botschaften ihres Peinigers. "Ich bin der Typ, wegen dem du die Schule wechseln musstest", schrieb er ihr auf Facebook. Und: "Gibt mir drei Shows und ich verschwinde für immer. Du weißt, ich werde nicht aufhören."
Amanda Todd: Mobbing im Netz und der Schule
Auf der neuen Schule interessierte sich einer ihrer Mitschüler für Amanda, beschreibt sie in ihrem Video. Sie ließ sich auf ihn ein. "Ich dachte, er mag mich." Doch er war vergeben und seine Freundin bekam Wind davon. Sie lauerte Amanda auf, beschimpfte und verprügelte sie vor den Klassenkameraden. Amanda beschreibt, wie sie nach Hause ging und versuchte, sich mit Bleichmittel umzubringen. Doch der Krankenwagen kam rechtzeitig.
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Als sie nach ihrem Selbsmordversuch auf Facebook surfte, las sie die Kommentare einiger Mitschüler: "Sie hat es verdient" und "Ich hoffe, sie stirbt" stand dort. Amanda zog erneut um, doch entkam dem Mobbing nicht. "Wenn du auf eine neue Schule gehst (...), werde ich auch wieder da sein", drohte ihr Peiniger. Amandas Video auf Youtube endet mit den Worten: "Ich habe niemanden. Ich brauche Hilfe. Mein Name ist Amanda Todd." Einen Monat später nahm sie sich das Leben.
Ihr Peiniger in den Niederlanden vor Gericht
Der Fall von Amanda Todd ging 2012 um die Welt und warf ein Schlaglicht auf das damals noch in den Kinderschuhen steckende Cyber-Mobbing. Nun, fünf Jahre später, wurde ihr mutmaßlicher Peiniger verurteilt. Aus den Niederlanden soll der 38-jährige Aydin C. Amanda und Dutzenden anderen Teenagern das Leben zur Hölle gemacht haben. Facebook brachte die Ermittler 2014 auf seine Spur. Seine Opfer lebten unter anderem in den USA, Großbritannien, Norwegen und eben Kanada.
Für Internet-Betrug und Erpressung wurde er zur Höchststrafe von knapp elf Jahren Gefängnis verurteilt. Damit will das Gericht der "verheerenden Konsequenzen seines Handelns" gerecht werden und die Gefahr bannen, dass er so etwas wieder tun könnte.
Laut Anklage hat er 34 Mädchen und fünf homosexuelle Männer teilweise mit Fotos erpresst und zu sexuellen Handlungen vor der Webcam gedrängt. In Chats gab er sich als Gleichaltriger aus und überredete die Jugendlichen, sich für ihn auszuziehen. Dann immer wieder die selbe Masche, wie bei Amanda: Hatte er die Fotos, die er brauchte, recherchierte er persönliche Daten zu seinen Opfern und drohte die Bilder an Freunde und Familie zu senden - wenn sie ihm nicht gehorchten.
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Prozess in Kanada steht an
Im Gericht in Amsterdam saß auch Amandas Mutter. "Ich hoffe, dass diese Strafe dabei helfen wird, die Wunden der Opfer zu heilen", sagte sie. Es sei eine "lange Reise für uns alle auf der Suche nach Gerechtigkeit für Amanda". Bald wird sie wohl Gelegenheit bekommen, diese auch in Kanada zu finden. Aydin C. soll ausgeliefert werden. In Kanada soll ihm ein separater Prozess gemacht werden. Für den Tod von Amanda Todd.
Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
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