„Winter is coming“ ist einer der berühmtesten Sätze aus
Game Of Thrones. Das Motto des Hauses Stark im Norden steht für konstante Wachsamkeit und Warnung vor drohender Gefahr. In diesem Serienuniversum bin ich zu Hause. Heute bewege ich mich aus meiner US-Produktion-mit-Originalton-Komfortzone. Die drohende Gefahr, die sich direkt vor mir befindet, heißt
Tatort.
Es ist 20 Uhr, als ich mein Fahrrad vor der beleuchteten Tür im Hinterhof abstelle. Meine Hände sind so kalt wie die tiefe Ablehnung, mit der ich der liebsten Sonntagabendunterhaltung der Deutschen gegenüberstehe. Ich stecke sie trotzig in meine Jackentasche. Dann nehme ich sie wieder heraus und drücke den Klingelknopf.
In genau 15 Minuten werde ich meinen allerersten
Tatort am Stück sehen.
Sich sonntags Viertel nach acht vor dem Bildschirm zu versammeln ist eine Tradition. Mehr noch: Die einzige bildungsbürgerlich akzeptierte Zeit, den Fernseher anzuschalten. Statt Sarah und Pietro oder Kim und Kylie gibt es verfilmte Gesellschaftskritik – und wenn
Bingen im Zentrum stehen sollte, dann ausschließlich als Stadt am Rhein. Für mich riecht der
Tatort nach penetrant gekochtem Mittagessen im Hausflur und fühlt sich an wie meine alte Dorfbushaltestelle, an der morgens exakt um 6:44 Uhr eine Verbindung in die Kreisstadt fuhr. Alles, was ich hinter mir gelassen habe, als ich vor fünf Jahren nach Berlin zog: Eine Filterblase voller Freiheit, in der das Wlan fließt, Essen grundsätzlich nur mit 90% Avocadoanteil gepostet wird und die einzige Sonntagskonstante das Berghain ist.
Ich bin 28 Jahre alt und in einer festen Beziehung. Deshalb muss ich an dieser Stelle zugeben, dass ich das Berghain vor allem aus Büroerzählungen am Montag kenne. Überhaupt besteht meine Freizeit größtenteils daraus, mir das wilde Leben bei Instagram anzusehen, während nebenbei Netflix läuft. Ich mache Sonntagabend streng genommen also nichts Anderes als tausend andere ARD-Zuschauer, nur gucke ich eben keine deutschen Krimis, sondern US-Serien und – das gebe ich ganz offen zu – fühle mich dadurch überlegen. Am Montag steige ich, vollkommen zerstört von zwei Staffeln
Black Mirror, in die Bahn und sehe zartbeschuhte Grazien oder coole Parkaträgerinnen mit der durchsichtigen Tüte der Humboldt-Unibibliothek. Das Gesprächsthema ist dasselbe: „Also der
Tatort gestern...“. Hippe Kneipen zeigen den
Tatort, hippe Twitterer beschreiben den
Tatort, gute Freunde lieben den
Tatort.
Das wirft eine berechtigte Frage auf: Sind
Tatort-Gucker eine Art Geheimszene, die
cool kids on the block, zu denen ich längst gehören könnte, wenn ich mich ihnen nicht freiwillig verschließen würde? Ich habe mir vorgenommen, genau das herauszufinden: bei einem Pärchenabend, bei Twitter, mit meinem Freund und mit mir selbst.