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Ich wünschte, Thomas Hayo hätte mir diesen Satz vor meinem ersten Job gesagt

Foto: Anna Sudit
Das endlose Sommergefühl der sechs Wochen Schulferien sah ich als 16-Jährige ganz genau vor mir: durch die vierzehn Schlitze der Jalousie im Ablageraum einer mittelgroßen Filiale eines großen Unternehmens. Dort sortierte ich am Nachmittag die Papiere der vergangenen fünf Jahre. Ein klassischer Ferienjob, schließlich will man mal den Führerschein machen oder vielleicht doch die eine Reise nach dem Abi. Neben dem Rechnungsordner mit den Unterlagen von A-C leistete mir ein Tischkalender Gesellschaft. Mal empfahl er Rezepte, mal informierte er über über wenig beachtete Tage (Der Tag des Butterbrots existiert tatäschlich), mal gab er einfach nur einen guten Ratschlag mit auf den Weg. Wenn ich nicht im Minutentakt auf die Uhr schauen wollte – vor allem, um mich später selbst damit zu überraschen, dass es doch schon 16:42 Uhr war – fixierte ich seine Botschaft und überlegte, wie mein richtiger Berufsalltag einmal aussehen würde. In einem Büro mit Jalousiendunkel, Schreibtischlampe und Tischkalender zu sitzen, passte genauso so wenig zu mir wie die Idee, an einem Wochenende im Jahr 2004 keinen knallblauen Lidschatten zu tragen. Die Germany's Next Topmodel-Kandidatinnen sind ungefähr so alt wie ich damals und arbeiten in der zweiten Folge traditionell zum ersten Mal unter realen Bedingungen. Das erste Shooting steht an. Man befindet sich auf einem Kreuzfahrtschiff, das Boat Camp genannt wird. Diese Tatsache wird so oft wiederholt, dass sie sich irgendwann wie ein dumpfer Kopfschmerz anfühlt: Er stört nicht wirklich, ist aber doch vorhanden. Sobald die Folge weiterläuft, wird überraschend deutlich, dass ein Dampfer gar keine so schlechte Idee ist. Immerhin vereint er Laufsteg, Set und Mini-Villa auf engstem Raum. Die erste Challenge findet direkt am Pool statt. Eine Kandidatin aus Team Thomas fotografiert jeweils mit einer Kandidatin aus Team Michalsky und bekommt für das finale Bild exakt einen Versuch mit dem Selbstauslöser. Man muss nicht der Showrunner von Black Mirror sein, um zu ahnen was jetzt kommt: Maja aus Team Thomas drückt versehentlich zu früh und hat nun ein Foto, auf dem ihr Gesicht von ihren Haaren verdeckt wird. „Hab ich gedrückt?“, fragt sie, sichtlich irritiert. „Ja? Ja!“, entgegnet Heidi Klum und kann sich das Grinsen nicht verkneifen. Es ist nicht fies gemeint, sondern entspannt. Ein „Kann ja mal passieren“-Grinsen. In Majas Gesicht bricht währenddessen eine kleine Welt zusammen. Die Regeln legen trotzdem fest, dass keine Wiederholung möglich ist und Konkurrentin Brenda schließlich mit dem Punkt für ihr Team zurück in die Kajüte geht. Getreu des klassischen Storyverlaufs einer Castingshow bricht Maja daraufhin in Tränen aus. So hat sie sich die Situation mit Heidi Klum nicht vorgestellt. Teamchef und Juror Hayo erkundigt sich bestürzt, was vorgefallen sei. Für einen Moment ist man sich sicher, dass eine Situation folgt, in der Hayo not amused ist. Milde formuliert. Schließlich kann auch in diesem Jahr nur eine Germany's Next Topmodel werden. Stattdessen sagt der Juror den Satz, den ich heute meinem 16-jährigen Ich im Ferienjobbüro mit den Jalousien auf den Tischkalender kritzeln würde: „Klar, man muss Respekt haben, aber doch nicht in dem Maße, dass du nicht performen kannst.“ Es mag sein, dass Hayo damit in die Kategorie der großen Philosophen fällt, deren Worte man ein paar Mal lesen sollte, bevor man zur Botschaft durchdringt. Diese bringt allerdings auf den Punkt, wie das Bein aussieht, das man sich im Job gerne selbst stellt: Alles ist groß und insgeheim ist man sich sicher, dass jemand nur einmal laut schnippen muss, bis festgestellt wird, dass damals der Lebenslauf vertauscht wurde und man gar nicht zu recht auf dem Stuhl oder am Meetingtisch sitzt. Was hilft? Einmal tief ein- und ausatmen und weitermachen – weil ein kleiner Weltuntergang in der eigenen Welt anderswo ungefähr so dramatisch ist wie ein Wasserglas, das man weit entfernt von seinem Macbook umkippt. Deshalb sollte Hayos Satz öfter mal in den Google-Kalendern und iCals dieser Welt aufploppen oder auf dem guten alten Tischkalender auf dem Schreibtisch in Sichtweite stehen. Alternativ hilft auch auf einen Zettel schreiben und ihn in einen Umschlag zu stecken, den man in Situationen öffnet, die sich anfühlen wie der Selbstauslösermoment am Pool – wie ein Glückskeks, nur weiser.

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