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Sexuelle Belästigung: Was Zimmermädchen in Hotels ertragen müssen

Illustration: Paola Delucca
Cecilia klopfte an die Tür. Sie fragte, ob sie reinkommen dürfe. Die junge Frau arbeitete in einem Hotel und wollte die Minibar auffüllen. Eine männliche Stimme bat sie herein: „Du kannst eintreten.“
Als Cecilia die Türe aufmachte, sah sie den Mann vor seinem Laptop sitzen. „Er hat masturbiert“, sagte sie. Sie stand unter Schock und schämte sich. Dem zufriedenen Gesichtsausdruck des Hotelgasts nach zu schließen, war das jedoch von Anfang an sein Plan gewesen.
„Ich habe mich so schäbig gefühlt“, gab Cecilia zu. „Ich habe nicht erwartet, dass mir so etwas bei der Arbeit passiert. Ich hatte das Gefühl, weinen zu müssen.“
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Ihren Nachnamen und den Namen ihres Arbeitsplatzes will Cecilia nicht preisgeben. Die Geschichte schildert das erste Mal, als sie bei der Arbeit sexuell belästigt wurde. Sie arbeitet seit fast drei Jahrzehnten in der Hotelbranche und es ist nicht bei diesem einen Mal geblieben.

„Die Öffentlichkeit versteht nicht, was Zimmermädchen durchmachen“

Einmal machte Cecilia ein männlicher Hotelgast nackt die Tür auf. Erst vor einem halben Jahr vertraute ihr eine jüngere Kollegin an, dass ein Gast versucht hätte, sie zu umarmen, als sie in seinem Zimmer war. Cecilia begleitete das verängstigte Mädchen zum Sicherheitsdienst, um den Vorfall zu melden.
Seitdem die Vorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein vergangenen Monat bekannt wurden, wagten immer mehr Frauen den Schritt und erzählten ihre Erlebnisse von sexueller Belästigung bei der Arbeit.
Ihr Mut, das Thema anzusprechen, hat die Karrieren einiger mächtiger Männer in Hollywood, Silicon Valley und Washington zerstört.
Weinstein, der Journalist Mark Halperin, der Komödiant Louis C.K - sie alle dekorierten in den vergangenen Wochen als Aufmacher die Tageszeitungen. In den Beiträgen ging es dann um mächtige Männer, die in Hotelzimmern Kolleginnen oder untergebene Frauen belästigten.
Nichts, was ein Zimmermädchen überraschen würde. Wenn viele der berühmtesten Schauspielerinnen unerwünschten Annäherungsversuchen ausgesetzt sind, wie geht es dann einer schüchternen Migrantin, die für einen Mindestlohn Hotelzimmer putzt?
„Offen gestanden, ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit versteht, was Zimmermädchen durchmachen müssen - wenn sie ihre Arbeit machen und Zimmer putzen“, sagte Maria Elena Durazo, Gewerkschaftsführerin des Gastronomie-Verbands Unite Here.

Das Problem ist das Machtgefälle zwischen Tätern und Opfern

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Seit Jahren kämpft Durazos Verband in einigen amerikanischen Städten für portable Notfall-Knöpfe für jedes Zimmermädchen. Damit sollen sie einen Alarm beim Sicherheitsdienst auslösen können, wenn sie sich bedroht fühlen. Allein das zeigt, wie groß die Bedrohung durch sexuelle Belästigung in der Hotelindustrie ist.
Durazo zufolge sollen die Notfall-Knöpfe aber vor allem auf das fundamentale Problem aufmerksam machen: Das Machtgefälle zwischen den Tätern und ihren Opfern. Das ist besonders groß, wenn die Opfer an der Armutsgrenze leben und arbeiten.
„Wir müssen dieses Gefälle irgendwie ausgleichen. Frauen müssen die Möglichkeit haben, sich zu wehren, ohne ihren Job zu riskieren“, sagt sie. „Das gilt nicht nur für Hausmädchen, sondern auch für Kellnerinnen und genauso für gut bezahlte Schauspielerinnen.“
Die Idee, Zimmermädchen mit einem System auszustatten, das das Sicherheitspersonal alarmieren kann, entstand 2011 in Frankreich. Damals wurde der französische Politiker Dominique Strauss-Kahn beschuldigt, ein Zimmermädchen in einem New Yorker Hotel belästigt zu haben.
Im Folgejahr schloss der New Yorker Hotelrat einen Vertrag, mit dem Notfall-Knöpfe für 30.000 Arbeiterinnen garantiert werden konnten. Doch auch in anderen Städten werden die Knöpfe dringend gebraucht.
Letztes Jahr befragte Unite Here 500 Gewerkschaftsmitglieder aus der Gegend um Chicago, die in Hotels und Kasinos als Zimmermädchen oder Kellnerinnen arbeiten, nach ihren Erfahrungen mit sexueller Belästigung. Viele von ihnen waren lateinamerikanische oder asiatische Migrantinnen. Die Ergebnisse der Untersuchung schockierten:
• 58 Prozent der Zimmermädchen und 77 Prozent der angestellten Frauen im Kasino gaben an, schon einmal von einem Gast sexuell belästigt worden zu sein.
• 49 Prozent der Zimmermädchen sagten, sie hätten schon einmal erlebt, dass ihnen ein Gast nackt die Türe geöffnet hat
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• 56 Prozent der Zimmermädchen, die angaben, am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden zu sein, sagten, sie fühlten sich nach dem Vorfall nicht mehr sicher im Job.
• 65 Prozent der Kellnerinnen im Kasino, die angaben, sexuell belästigt worden zu sein, sagten, dabei hätten Gäste versucht, sie ohne Erlaubnis anzufassen.
• Fast 40 Prozent der angestellten Frauen im Kasino gaben an, schon einmal um ein Date oder einen sexuellen Gefallen gebeten worden zu sein.

„Ich würde gerne wissen, wie du ohne diese Uniform aussiehst“

Nereyda Soto, 25 Jahre alt, arbeitete in einem Hotelrestaurant in Long Beach, Kalifornien, als ein Hotelgast anfing, sie zu stalken. Der Mann rief Soto beim Abendessen an seinen Tisch und fing an, ihr persönliche Fragen zu stellen. Sie war zu diesem Zeitpunkt noch neu im Job und traute sich nicht, ihn abzuweisen.
Als Soto eines Abends an seinen Tisch kam, um abzukassieren, fand sie neben dem Geld eine Schlüsselkarte und die Notiz: „Ich würde gerne sehen, wie du ohne diese Uniform aussiehst. Du solltest auf mein Zimmer kommen.“ Soto war gedemütigt, berichtete den Vorfall jedoch nicht ihrem Chef. „Ich habe nichts gesagt. Schließlich hat er mich nicht angefasst. Und der Kunde ist doch immer König in diesem Geschäft“, erklärte sie.
Selbst wenn sie es jemandem gesagt hätte, hätte sie nicht erwartet, dass die Hotelleitung etwas dagegen unternehmen würde. Sie wollte keinen Ärger machen: „Ich wollte einfach nicht, dass man über mich spricht - also hab ich nichts gesagt.“

In Long Beach lehnte der Stadtrat die Einführung der Notfall-Knöpfe ab

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Letztendlich entschied sich Soto nach diesem Erlebnis aber dazu, sich an der Kampagne für die Notfall-Knöpfe in Long Beach zu beteiligen.
Dort hatte die Gewerkschaft ein großes Ziel: Sie kämpfte dafür, die Einführung der Notfall-Knöpfe gesetzlich zu regeln, sodass jedes Zimmermädchen in der Stadt damit ausgestattet werden konnte - nicht nur die, die durch einen Gewerkschaftsvertrag geschützt sind.
Die örtliche Handelskammer protestierte jedoch gegen diese Regulierung, weil es Hotels angeblich zu viel Geld kosten würde. Nach einem jahrelangen Kampf lehnte der Stadtrat von Long Beach vor zwei Monaten die Einführung der Notfall-Knöpfe ab.
In Chicago hat der Verband Unite Here einen ähnlichen Vorschlag gemacht - und konnte ihn durchsetzen. Der Stadtrat erließ letzten Monat eine Anordnung namens „Hands Off, Pants On“, was soviel bedeutet wie „Hände weg, Hosen an“.
Laut dieser Anordnung müssen nun in Chicago bis ersten Juli 2018 alle Zimmermädchen, die alleine arbeiten, mit einem Notfall-Knopf ausgestattet werden.Weiterhin fordert die Anordnung Hotels auf, Richtlinien für sexuelle Belästigung einzuführen, die den Zimmermädchen zeigen, wie sie mit Vorfällen richtig umgehen sollen.

„Man sollte keine Angst vor der Arbeit haben“

Im Gegensatz zu den Anordnungen in New York richtet sich in Chicago die Anordnung an alle Hotels in der Stadt - unabhängig davon, ob die Angestellten gewerkschaftlich organisiert sind. In den USA ist es die erste Anordnung dieser Art. Das ist ein Grund, zu feiern.
Unter den Feiernden ist auch Cecilia, die viele Kolleginnen für die Kampagne begeistert konnte. Sie hofft, dass die neuen Notfall-Knöpfe den Zimmermädchen mehr Sicherheit bieten - gerade den Anfängerinnen.
„Es ist eine größere Sicherheit, eine Unterstützung für uns“, sagte Cecilia. „Glaubt mir, man sollte keine Angst vor seiner Arbeit haben.“

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