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breaking through the covid 19 pandemic wall

Gruppenchats waren noch nie wichtiger als zu Corona-Zeiten

Im Dezember 2020 war Martha krank und nervös. Sie war so nervös, dass es sie krank machte. Nein – sie war krank und das machte sie nervös. 
Martha hatte einen Husten und leichtes Fieber. Corona jährte sich zu diesem Zeitpunkt schon bald zum ersten Mal; kein Wunder also, dass sie sich direkt Sorgen machte, sich das Virus eingefangen zu haben. Sie hatte große Angst vor den Folgen dieser Krankheit – aber auch davor, in ihrer WhatsApp-Gruppe dafür verurteilt zu werden. 
Früh im letzten Herbst schloss sich Martha, 25, mit vier anderen Freund:innen zu einer „COVID-Gruppe“ zusammen. Das hieß: Untereinander treffen war okay – aber mit niemandem außerhalb dieser Clique. Für Martha war es so schön, die anderen sehen zu können, ohne sich dabei immer den Kopf über das Gesundheitsrisiko zerbrechen zu müssen. Im Zentrum dieser Gruppe stand der gemeinsame Chat, in dem Pläne geschmiedet, Memes geteilt und liebe Nachrichten verschickt wurden. Als Martha vermutete, sich COVID-19 eingefangen zu haben, hing ihr ganzes Herz an diesem Chat – und sie hatte plötzlich Angst davor, dass eine positive Diagnose in der Gruppe für solche Spannungen sorgen könnte, die ihr in den letzten Monaten so viel Trost geschenkt hatte. Und natürlich wollte sie auch niemandem von ihnen Angst machen.
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Irgendwann gab sie sich einen Ruck und schrieb in die Gruppe, dass sie ein bisschen kränkelte. Anfangs schien sich darüber niemand große Sorgen zu machen; alle meinten, dass es bestimmt was Harmloses sei. Doch dann, drei Tage später, bekam Martha ihr Testergebnis: positiv. Und da war sie schon wieder, die Nervosität, das der Gruppe zu erzählen. Aus lauter Aufregung rief sie sogar ihrer Mutter an. „Die sagte mir aber, ich sollte einfach ehrlich sein. Gute Freund:innen würden mich ja nicht verurteilen oder verunsichern.“ 
Also legte sich Martha ins Bett und schrieb „eine Million Entwürfe“ einer Nachricht, in der sie ihren Freund:innen sagte, sie sollten sich besser testen lassen. „Es fühlte sich an, als würde ich mit jemandem Schluss machen“, meint sie. „Ich wollte unbedingt ehrlich sein, fühlte mich aber gleichzeitig total schuldig und gestresst, weil ich jetzt die Person war, die das Ganze in die Gruppe brachte.“ Schließlich war sie mit ihrer Nachricht zufrieden, tippte auf „Senden“ und wartete.
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Martha ist mit dieser Abhängigkeit von ihrem Gruppenchat nicht alleine. Im vergangenen Jahr der Isolation sind diese Gruppen für viele von uns so eine Art Rettungsring geworden. Ob wir nun via WhatsApp, iMessage, Signal und Co. miteinander schreiben – dieses gemeinsame Ventil bietet uns die Chance auf ein bisschen Leichtigkeit und ist gleichzeitig eine lockere Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben.
„Man sollte meinen, dass uns in dieser Zeit eher Video-Calls wichtig wären, aber die haben wir irgendwann satt – Zoom-Fatigue ist echt“, meint Dr. Carla Bevins, Professorin für Businesskommunikation, spezialisiert auf Gruppenchats und zwischenmenschliche Kommunikation. „Video-Calls verlangen uns viel geistige Arbeit ab. Du musst der anderen Person zuhören, ihre Körpersprache über einen Bildschirm deuten und wirst gleichzeitig mit deinem eigenen Bild konfrontiert.“ Die besten Gruppenchats fordern nicht so viel von dir: Du kannst dich so viel (oder so wenig) beteiligen, wie du eben möchtest. Du fühlst dich immer als Teil eines Ganzen. Du verstehst die Insiderwitze. Und du kannst dir selbst aussuchen, wann du gerade Lust zum Chatten hast. Im Idealfall ist es auch egal, ob du zu fertig warst, um auf das Meme zu reagieren, das jemand vor 12 Stunden in die Gruppe gepostet hat – irgendjemand anderes reagiert schon, und du kannst dann später wieder „reinspringen“. 
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Noch ein Vorteil des Gruppenchats: Er kann die schwer definierbaren, aber so wichtigen Mini-Kontakte ersetzen, die wir vor der Pandemie zu anderen Menschen hatte. „Corona hat viele der 20-sekündigen Gespräche eliminiert, die wir vorher im Alltag geführt haben“, erklärt Dr. Bevins. Viele von uns haben gar nicht mehr die Gelegenheit, jeden Tag dem:der Rezeptionist:in im Büro einen guten Morgen zu wünschen oder im Hausflur mal das eine oder andere Wort mit den Nachbar:innen auszutauschen. „COVID hat diese Verbindungen gekappt. Dabei war uns vermutlich gar nicht klar, wie wichtig sie uns waren“, sagt Dr. Bevins. Und genau diese oberflächliche Kommunikation findet jetzt eben in Gruppenchats statt – ob nun in Form eines geteilten TikTok-Videos oder einem lieben „Habt einen schönen Montag“. 
„Das Tolle an Gruppenchats ist, dass sie auch ohne tiefschürfende Gespräche sehr sinnvoll sein können“, betont der Psychologe Dr. Jim Jackson. „In meinen zum Beispiel melden wir uns regelmäßig und schicken einander positive Nachrichten. Und weil wir wissen, dass es uns manchmal nicht gut geht, schreiben wir statt ‚Wie geht’s?‘ eben sowas wie ‚Ich denke heute an euch‘ oder ‚Ich bin für euch da‘. Kurze, aber regelmäßige Austausche wie diese machen es uns möglich, in Kontakt zu bleiben, ohne uns davon überwältigt zu fühlen.“

„Das Tolle an Gruppenchats ist, dass sie auch ohne tiefschürfende Gespräche sehr sinnvoll sein können.“

Dr. Jim Jackson, Psychologe
Die Studentin Fatima, 19, sieht das auch so: Chats müssen nicht übermäßig emotional oder detailliert sein, um uns gut zu tun. Sie glaubt jedenfalls, dass sie der Gruppenchat mit ihrem Freundeskreis, „Tea Time“ genannt, während der Pandemie „gerettet“ hat. Er half ihr dabei, mit anderen in Kontakt zu bleiben, selbst als ihr Schulabschluss abgesagt wurde und ihr erstes Unisemester nur virtuell stattfinden konnte. „Wir haben alle denselben Humor. Deswegen kann uns selbst das dümmste TikTok-Video an Tagen wie irre zum Lachen bringen, an denen es uns nicht gut geht“, sagt sie. 
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Obwohl Dr. Jackson und Fatima durch ihre Gruppen regelmäßig zum Lachen gebracht werden, bieten solche Chats auch ernsteren, praktischen Support. In meinem Fall ermöglichte es eine solche Gruppe meiner Familie, in Kontakt zu bleiben, als mein Onkel nach seiner Corona-Infektion beatmet werden musste. Als er darum bat, die Maschine abzuschalten, die ihn künstlich am Leben erhielt, erfuhr der Großteil meiner Familie davon über den Gruppenchat – und die Gruppe wurde schnell zu unserer Möglichkeit, ernste Informationen weiterzureichen. Sie schenkte uns außerdem Zeit, unsere Nachrichten mit Bedacht zu formulieren und unabhängig voneinander zu trauern. 
Unsere Gruppe ist dabei kein Einzelfall. Die Ärztin Dr. Hafsa Akram verließ sich auf einen WhatsApp-Chat, um während der Pandemie mit ihren ehemaligen Kommiliton:innen aus dem Medizinstudium in Pakistan in Kontakt zu bleiben. Gerade zu Beginn von Corona tauschten sie dort die Geschichten ihres unterschiedlichen Alltags aus, als Krankenhäuser in aller Welt aus den Nähten platzten und von allen Seiten andere Informationen zum Virus bekannt wurden. Für Dr. Akram war das eine große Hilfe, da ihre Ex-Kommiliton:innen in zahlreichen Ländern arbeiteten. Einige teilten dort auch persönliche Schicksale von hospitalisierten oder sterbenden Eltern. „Wir benutzten diesen Gruppenchat, um uns zu zeigen, dass wir füreinander da waren – selbst wenn wir es nicht körperlich sein konnten“, erzählt Dr. Akram.
Als es auch in ihrer Familie zu einem Todesfall kam, teilten Dr. Bevins und ihre Familienmitglieder in ihrer Gruppe schöne Erinnerungen und verarbeiteten auf diese Weise gemeinsam ihre individuellen Gefühle. „Wir können unseren Emotionen via Text heutzutage so viel besser Ausdruck verleihen, als ich je gedacht hätte“, meint sie. „Zum Beispiel durch Emojis, Ausrufezeichen oder gar keine Satzzeichen. Gruppenchats haben sich während dieser Pandemie so stark weiterentwickelt, wie ich in der ‚Zeit davor‘ nie erwartet hätte.“
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Nachdem Martha ihrer Gruppe also geschrieben hatte, dass sie positiv getestet worden war, starrte sie die Fotos an, die an ihrer Wand hingen – ein Foto ihrer Familie vor Corona, ein Bild, gemalt von ihrer Oma –, und fühlte sich beschissen und allein. Dann vibrierte plötzlich ihr Handy. In der Gruppe schrieb jemand: „Ich bin für dich da! Gute Besserung!“ Dann ging es Schlag auf Schlag: Jemand bot Martha an, Hustenbonbons oder Snacks vorbeizubringen, nachdem sie sich alle selbst testen ließen. Und Martha begriff: Ihre Gruppe hatte, wie immer, bewiesen, wie wertvoll sie war.
„Alle waren total verständnisvoll und wollten mir helfen, wo sie nur konnten“, sagt sie. „Seitdem reden wir viel ehrlicher über Corona und sprechen über unsere Ängste und Sorgen. Das hat uns ganz neue Gesprächsthemen eröffnet.“
Martha hat sich inzwischen von Corona erholt und ist seit März geimpft. Sie und ihre Freund:innen, erzählt sie, schmieden per WhatsApp noch immer gemeinsame Pläne und teilen lustige TikToks. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern, bis alle von ihnen geimpft sind. „Insgesamt hat uns die Pandemie einander viel näher gebracht“, meint sie. „Corona ist schlimm – aber wir sind dadurch heute eindeutig enger befreundet.“

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