Trump sagt, wir sollen keine Angst vor Corona haben – obwohl in seinem Land mehr als 200.000 daran starben
Am Montagnachmittag schrieb US-Präsident Donald Trump auf Twitter, er würde am Abend das Walter Reed Medical Center nach einem dreitägigen Aufenthalt verlassen, nachdem er zuvor positiv auf COVID-19 getestet worden war. „Ich fühle mich sehr gut!“, schrieb er. „Habt keine Angst vor Covid. Lasst es nicht euer Leben beherrschen. Unter der Trump-Regierung haben wir wirklich großartige Medikamente und Erkenntnisse entwickelt. Ich fühle mich besser als noch vor 20 Jahren!“
Auch wenn Trumps Tweets inzwischen kaum noch jemanden schockieren dürften, ist seine scheinbar grenzenlose Grausamkeit und die Geringschätzung anderer Menschenleben dennoch zutiefst bestürzend. Selbst nachdem er die schweren mit Corona einhergehenden Symptome nun am eigenen Leib erfahren hat – so musste er mit Sauerstoff versorgt werden, während sein Fieber auf 39,4 Grad Celsius anstieg –, zeigt er sich weiterhin unbesorgt um die Leben derer, die er eigentlich beschützen sollte. In seinem eigenen Land sind inzwischen über 210.000 Menschen an COVID-19 verstorben. Viele von ihnen, weil sie nicht die medizinische Versorgung bekamen, die sie benötigten; andere wiederum, weil sie auf die Anti-Masken-Propaganda und andere Fehlinformationen reingefallen waren, die die Trump-Regierung selbst in die Welt setzt.
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Abgesehen davon war Trumps Erfahrung mit dem Virus natürlich auch weit entfernt von der durchschnittlicher Corona-Patient*innen. Anstatt 30 Minuten zum Krankenhaus zu fahren, wurde er per Helikopter in eine erstklassige Klinik gebracht, wo er in einer speziellen Präsidentensuite rund um die Uhr von führenden Ärzt*innen versorgt wurde. Dort bekam er außerdem nur die beste medikamentöse Behandlung, mit der bisher kaum jemand anderes versorgt wurde und die medizinische Expert*innen wiederum besorgte – suggerierte sie doch einen deutlich ernsteren Zustand des Präsidenten, als das Weiße Haus vielleicht zugeben wollte. Tatsächlich bekam er Medikamente verabreicht, die typischerweise bei besonders kritischen COVID-Fällen verabreicht werden. Zu einem dieser Medikamentenhersteller hat Trump angeblich Verbindungen – daher also womöglich auch der Tweet zu „großartige[n] Medikamenten[n] und Erkenntnisse[n]“.
Währenddessen bekamen zahllose andere Amerikaner*innen zu hören, sie sollten nicht ins Krankenhaus gehen und würden auch keine Tests bekommen, bis sie wortwörtlich keine Luft mehr bekamen. Wegen überfüllter Krankenhäuser starben daher viele Erkrankte zu Hause – insbesondere Schwarze, Latinx und Menschen mit geringem Einkommen. Geschichten wie ihre hört und liest man überall: Im April berichtete beispielsweise ein Schwarzer Mann in Detroit, sein Vater sei mit Kurzatmigkeit, Fieber und Erschöpfung in mehreren Krankenhäusern gewesen und wiederholt mit einer Bronchitis-Diagnose nach Hause geschickt worden. Dort starb er schließlich an Corona, wie die Autopsie bewies. Vielleicht hätten er und viele andere überlebt, wenn sich ihre Regierung auch nur ansatzweise besser auf die Ausmaße dieser Pandemie vorbereitet hätte, von der sie schließlich schon im Dezember gewusst hatte. Tatsächlich war es laut Whistleblower-Berichten Trump selbst gewesen, der die Coronavirus-Taskforce davon abgehalten hatte, sinnvolle Maßnahmen in die Wege zu leiten. Und während Trump nun die weltbeste medizinische Versorgung bekommt, sterben am selben Virus jeden Tag weitere Menschen in seinem Land. Ihnen zu sagen, sie sollten sich nicht fürchten, zeugt nicht nur von Ignoranz, sondern auch enormer Grausamkeit, von Narzissmus und Eigennutz.
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Dass ihm abgesehen von seinem eigenen Image recht wenig etwas bedeutet, wurde insbesondere am Sonntag deutlich: Berichten zufolge überredete er seine Ärzt*innen, ihn in einem sicher versiegelten Auto vom Secret Service auf dem Klinikgelände in einer jubelnden Menge seiner Unterstützer*innen herumfahren zu lassen. Für viele von uns dürfte schwer nachvollziehbar sein, wie jemand etwas so Rücksichtsloses und Gefährliches überhaupt in Betracht ziehen könnte – und dennoch: Die Leute kamen, schwangen Flaggen und schienen sich nicht daran zu stören, dass ihr Präsident während seiner Behandlung eines tödlichen Virus die Quarantäne verließ und seine Genesung nutzte, um vor der Wahl weitere Corona-Lügen zu verbreiten. Auf diese Weise ermutigt Trump weiterhin das nachlässige Verhalten seiner Anhänger*innen gegenüber Corona – und sorgt so für weitere Infektionen.
Auch scheint ihn wenig zu kümmern, dass viele andere hohe Amtsträger*innen – inklusive der First Lady Melania Trump – inzwischen positiv auf Corona getestet wurden. Zu ihnen zählen die ehemalige Beraterin Kellyanne Conway, die Pressesprecherin des Weißen Hauses Kayleigh McEnany, die Senatoren Mike Lee (Utah) und Thom Thillis (North Carolina) sowie der Governor von New Jersey, Chris Christie. Wahrscheinlich infizierten sie sich alle bei der Supreme-Court-Nominierungsfeier der Richterin Amy Coney Barrett am 26. September. Auch heißt es, viele weitere Angestellte des Weißen Hauses seien mittlerweile positiv getestet worden; mal ganz abgesehen von all den Menschen, mit denen Trump in den vergangenen Wochen auch so in Kontakt kam. Kellner*innen, Sicherheitsangestellte, Reinigungspersonal – sie alle wurden womöglich dem Virus ausgesetzt, während sie einfach bloß ihren Job machten. Am Ende jedes Tages fuhren diese Menschen zu ihren Eltern und Großeltern nach Hause und reichten die Viren wiederum an sie weiter. Berichten zufolge war Trump sogar womöglich schon vor der Präsidentschaftsdebatte am letzten Dienstag infiziert – was heißen würde, dass er schon Hunderte Menschen angesteckt hatte, bevor das Weiße Haus seine Erkrankung bekannt gab.
Trump selbst war also womöglich ein echter Super-Spreader, und der dennoch sorglose Ton seiner Statements zeugt nicht nur von immensen Privilegien, sondern auch einem soziopathischen Mangel an Besorgnis für alle außer sich selbst. Viele sind nun wütend, fühlen sich vielleicht gar betrogen – und das ist eine völlig logische Reaktion.
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