Am Dienstag wurde die Politikerin Souad Abderrahim zur Bürgermeisterin von Tunis gewählt – und ist damit nicht nur die erste Frau in der tunesischen Geschichte, die ein so hohes politisches Amt bekleidet, sondern die erste demokratisch gewählte Politikerin überhaupt. Ihre gewonnene Wahl ist nicht nur ein wichtiges Zeichen für die Gleichberechtigung der Frau, sondern zeigt auch, dass der Demokratisierungsprozess in Tunesien erfolgreich voranschreitet.
Abderrahim ist Mitglied der islamisch-konservativen Partei Ennahda, versteht sich selbst allerdings als Feministin. Für viele Abgeordnete des tunesischen Parlaments noch immer ein Widerspruch, wie er im Buche steht. Doch in den vergangenen Jahren hat sie die Modernisierung innerhalb ihrer Partei maßgeblich mit beeinflusst. Sie gibt sich weltoffen und engagiert sich für substanzielle Themen wie Bildung und die Umwelt. Außerdem setzte sie sich im Wahlkampf dafür ein, dass kriminell gewordene Jugendliche zukünftig Sozialstunden ableisten dürfen und damit langjährigen Gefängnisstrafen entgehen können. Ihre Wahl zur Oberbürgermeisterin der Hauptstadt Tunis, so sagt sie selbst, sei auch ein Sieg für alle Frauen, denen ein beruflicher Aufstieg bisher nicht möglich war. Bislang wurden politische Ämter in Tunesien nicht demokratisch gewählt, der Staatspräsident hatte diese nach eigenem Bemessen mit zumeist männlichen Kandidaten besetzt.
Auch wenn die 53-jährige Abderrahim sich nach ihrem Sieg als islamische Feministin präsentiert und sinnbildlich für den Fortschritt ihrer Partei und des gesamten Landes stehen will, so sorgte sie vor nicht allzu langer Zeit für Schlagzeilen, weil sie alleinerziehende Mütter als „Schande für die tunesische Gesellschaft“ bezeichnete. Ebenso positionierte sie sich in einer wichtigen Debatte über die Reform des islamischen Erbrechts, das Frauen noch immer nur einen halb so großen Anteil wie Männern zugesteht, bisher nicht. Trotz moderner Werte, für die sie in der medialen Berichterstattung gefeiert wird, gilt ihr Familienbild nach wie vor als streng konservativ.
Seit dem Arabischen Frühling und dem damit einhergehenden Sturz von Machthaber Ben Ali im Jahr 2011 wurden in Tunesien umfangreiche Reformen durchgesetzt. Die diesjährigen Kommunalwahlen stehen deshalb exemplarisch für den Fortschritt des Landes, da die Gemeinderäte erstmals demokratisch gewählt wurden. Doch eine Frau allein macht noch keine ganze Revolution, wenn damit einher keine reformierende Politik geht. Bleibt also abzuwarten, ob sich Tunis unter Abderrahim auch für andere Frauen öffnet.
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