Wieso geht’s in Gilmore Girls eigentlich nur um die Gilmore Boys?
Und wieso können wir Frauen immer noch nicht unabhängig von ihrer Partnerwahl betrachten?
20 Jahre sind mittlerweile seit der ersten Folge Gilmore Girls vergangen, doch bis heute beschäftigt uns im Zusammenhang mit der Serie vor allem eine Debatte. Und die hat ironischerweise nur wenig mit Rory (Alexis Bledel) oder Lorelai (Lauren Graham) Gilmore zu tun – dem Mutter-Tochter-Duo im Herzen der Show, die ihren Namen trägt.
Welcher von Rorys Freunden war der beste?
Dean, Jess oder Logan – inzwischen ist diese Frage beinahe zu einer Art Persönlichkeitstest geworden. Rorys drei Jugendlieben, verteilt über sieben Staffeln, sind dabei so unterschiedlich, dass sie effektiv für drei verschiedene Männer-Archetypen stehen, denen du auch im echten Leben begegnest. Welchen du bevorzugst, verrät daher vielleicht mehr über dich als über Rory selbst. – Und was soll das sein?
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„Dean ist der Mann für die Bodenständigen unter uns“, meint die 28-jährige Drehbuchautorin Kate. Dean (Jared Padalecki) ist Rorys erste Liebe, und im Laufe der Show kommen die beiden insgesamt dreimal zusammen. Er ist der verlässliche Typ, treu und beschützerisch, jungenhaft-süß. Zwar ist er nicht so belesen wie Rory, dafür aber Hals über Kopf in sie verliebt. Und so hilfsbereit: Dean ist die Art Mann, die dir zwar keine schmalzigen Gedichte vorträgt, dafür aber liebend gern deine Kaffeemaschine entkalkt. Doch kommt es, wie es in vielen ersten Beziehungen kommen muss, und die Liebe zwischen ihm und Rory zerbricht an seiner Unsicherheit und Eifersucht, als sich Rory und Jess (Milo Ventimiglia) näher kommen. Schließlich kostet Rory Dean sogar die Ehe, nachdem er seine Frau mit seiner ersten Ex betrügt.
„Ich habe Dean immer geliebt. Er hat Rory gut behandelt, und er liebte sie so, wie sie war“, sagt Olivia, 28, die die Serie immer wieder durchsuchtet. „Zum Ende hin wurde er aber etwas zu anhänglich. Dass er seine Frau betrogen hat, war auch echt nicht okay.“
„Jess ist hingegen der Favorit von Leuten, die sich nach einer Beziehung sehnen, in der die Partner*innen einander wirklich brauchen“, erzählt Kate. Jess ist Luke Danes’ (Scott Patterson) Neffe und wirft direkt ein Auge auf Rory, sobald er in Stars Hollow auftaucht. Er liebt Bücher genauso sehr wie sie, kann intellektuell mit ihr mithalten und holt Rory auf den Boden der Tatsachen zurück, als sie ihr Studium in Yale abbricht – doch ist er auch unzuverlässig, voreilig und zeigt einige Male, wie wenig er Rorys Meinung tatsächlich respektiert. Typisch für einen emotional unterentwickelten Bad Boy eben.
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„Ich habe ihn anfangs gehasst – aber er war der einzige Freund, der Rory wirklich gefordert hat“, meint Olivia. „Sie waren auf demselben Level und er war ihr gegenüber sehr beschützerisch, das war süß… aber er war auch einfach viel zu launisch.“
Und dann wäre da noch Logan (Matt Czuchry), Rorys hübschen College-Freund aus wohlhabendem Hause. Er bringt Rory bei, ihr Studium etwas lockerer zu sehen – vielleicht ein wenig zu locker; schließlich hält er sie nicht davon ab, ihr Studium abzubrechen, als ihr Selbstbewusstsein zum ersten Mal einen Knacks abbekommt. Er ist intelligent und liebt sie, gibt sich letztlich aber damit zufrieden, in den Tag hineinzuleben. Er ist es gewöhnt, alles auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, und schließlich zerbricht ihre Beziehung an seiner Überheblichkeit. „Logan ist ziemlich unreif. Er begegnet Rory nie auf Augenhöhe und gibt ihr dadurch das Gefühl, weniger wert zu sein. Ihre Beziehung macht sie letztlich sogar zu einem schlechteren Menschen“, meint Olivia. Kate fügt hinzu: „Logan ist der Mann für all diejenigen, die auf die Fuckbois dieser Welt stehen. Eine wirklich gute Beziehung hatte Rory in dieser Serie eigentlich nie, finde ich. Vielleicht wäre Marty, der Nackte, die beste Wahl für sie gewesen, wenn der nicht irgendwann so creepy geworden wäre.“
Die Debatte rund um Dean, Jess oder Logan hat mittlerweile fast alle anderen Diskussionen rund um die Serie aus dem Rampenlicht verdrängt. Nur ein Beispiel: Der offizielle Account von Twitter TV postete zum 20. Jahrestag der Pilotfolge Bilder von Logan, Dean und Jess und schrieb dazu: „Es sind jetzt 20 Jahre vergangen. Entscheide dich.“ Und sogar das TIME Magazine hat ein eigenes „definitives Ranking von Rorys glücklosen Freunden“ veröffentlicht.
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Hatte sich Amy Sherman-Palladino das Erbe der von ihr kreierten Show so vorgestellt? Sicher nicht. Schließlich dreht sich Gilmore Girls im Kern um die Freundschaften unter Frauen – die von Lorelai und Rory; von Lorelai und ihrer Mutter Emily (Kelly Bishop); von Rory und ihrer besten Freundin Lane (Keiko Agena); von Rory und ihrer Hassfreundin Paris (Liza Weil); von Lorelai und ihrer exzentrischen BFF Sookie (Melissa McCarthy).
Man könnte jetzt natürlich behaupten, die Fans seien schuld an der Verlagerung des Fokus der Serie. Und tatsächlich teilt Gilmore Girls dasselbe Schicksal mit einer weiteren Show, die ihrer Zeit in vielerlei Hinsicht weit voraus war – denn auch Sex And The City beschäftigt seine Fans bis heute mit einer offenbar entscheidenden Frage: Mr. Big, Aiden oder Steve? Es scheint, als seien wir noch immer nicht dazu imstande, Frauen unabhängig von ihrer Partnerwahl zu betrachten.
Das Gilmore-Girls-Revival von 2016 bestärkte dieses Problem nur noch weiter, indem es Rorys Handlungsstrang untrennbar mit ihren Exfreunden verwob. „Rory macht natürlich viel mehr aus als ihr Liebesleben. Aber man kann es Fans kaum vorwerfen, dass sie sich so sehr auf Rorys komplizierte Beziehungen konzentrieren, wenn ihre vergangenen und gegenwärtigen Romanzen im Revival dermaßen ins Rampenlicht gerückt werden“, schrieb TV Guide damals.
Und auch Rorys Charakter selbst kam im Sequel nicht gut an: Viele Zuschauer*innen empfanden sie als „unreif“ und blind gegenüber ihrem eigenen Privileg. In einer besonders brutalen Abrechnung der Washington Postschrieb Jenny Rogers: „Die neuen Folgen von Gilmore Girls betonen Rorys schlimmste Seiten: ihre impulsive Art, ihre Selbstsüchtigkeit, ihren Hang zur Selbstüberschätzung, ihre Tendenz, beim kleinsten Gegenwind aufzugeben. Nur ist sie jetzt eine erwachsene Frau, die scheinbar überhaupt nichts aus ihren Fehlern gelernt hat. Noch dazu ist Rory in diesem Revival neuerdings auch noch unmoralisch.“
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Rory-Hass hin oder her – wir hätten da noch eine andere Theorie: Die drei Männer in Rorys Leben waren genau das, was sie brauchte, um sich am Ende der Serie selbst zu finden und zu der Person zu werden, die sie sein wollte und sollte (ob uns diese nun gefällt oder nicht). Laut der Beziehungstherapeutin Dr. Danielle Forshee stehen Dean, Jess und Logan für die verschiedenen Persönlichkeits-Archetypen, die Rory auf ihrem Weg treffen musste, um sich selbst entdecken und ihr volles Potential entfalten zu können. „Persönliches Wachstum führt zur Selbstverwirklichung. Wenn du dein wahres Selbst findest, kannst du alles erreichen, wozu du imstande bist – das ist erfüllend“, meint Dr. Forshee. Aber genau da haben wir doch wieder das alte Problem: Die Serie zeigte uns anhand der Männer, mit denen sie zusammen war, wie Rory zu einer erwachsenen Frau wurde – anstatt sie selbst ihr eigenes Wachstum herbeiführen zu lassen. Das erklärt womöglich, warum es Fans so viel leichter fällt, Rorys Charakter anhand ihrer Beziehungen zu kommentieren, da sie in ihrem eigenen Leben eben eine eher passive Rolle spielte.
Obwohl Sherman-Palladino sich gegenüber der Fan-Besessenheit mit den Gilmore Boys immer nachsichtig gezeigt hat, setzte sie mit dem Ende des Revivals doch ein ganz eindeutiges Statement – indem sie die Serie in der letzten Szene auf die Beziehung fokussierte, die immer die wichtigste war: Die zu ihrer Mutter. Die letzten Bilder des Revivals zeigen Rory, Single-Frau, bald Single-Mutter, in den schützenden Armen ihrer Mutter – nicht denen eines Mannes.
Ach so, aber: Team Jess forever.
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