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Netflix’ Cecil Hotel: eine wichtige Lektion für True-Crime-Fans

Foto: Damian Dovarganes/AP/Shutterstock
Achtung: Spoiler zur Netflix-Dokuserie Verschwunden: Tatort Cecil Hotel direkt voraus!
In der dritten Folge von Netflix’ Verschwunden: Tatort Cecil Hotel gibt es eine Szene, die durchblicken lässt, dass der Fall von Elisa Lam möglicherweise nicht ganz so mysteriös sein könnte, wie ihn die Serie anfangs darstellt. In der ersten Hälfte der Episode stürzen sich von Elisas Verschwinden Besessene auf das Cecil Hotel in Los Angeles, um dort Antworten auf die makabere Verschwörung zu finden, die sie dahinter vermuten. An diesem Punkt in der Doku wissen wir bereits, dass Elisa Lam tot ist; ihr nackter Körper wird 18 Tage nach ihrem Verschwinden im Jahr 2013 in einem Wassertank auf dem Hoteldach entdeckt. Die Frage lautete jetzt nicht mehr, was geschehen war, sondern: Wie war ihre Leiche dort gelandet?
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Die Internet-„Fans“ des Falls waren sich jedenfalls sicher: Irgendjemand musste die junge Frau im Hotel manipuliert haben, erklärt der Journalist Josh Dean. Laut dieser Verschwörungstheorie habe sich der Aufzug im inzwischen berüchtigten Video der letzten bekannten Minuten in Elisas Leben ewig lange nicht geschlossen. Die Erklärung für das merkwürdige Verhalten der Aufzugtüren war aber in Wahrheit viel simpler: Elisa hatte beim Betreten des Aufzugs versehentlich den „Door Hold“-Knopf gedrückt, der die Türen  für zwei Minuten blockierte, wie der YouTuber John Lordan in der Serie erklärt. Niemand hatte Elisa kontrolliert. Sie hatte einfach den falschen Knopf gedrückt.
Und genau darum geht es dann auch im Finale der vierteiligen Show: Für die Tragödie von Elisas Verschwinden gibt es eine deprimierende, aber doch sehr pragmatische Erklärung. Diese erstaunliche Einsicht führt letztlich zur finalen Message von Verschwunden: Tatort Cecil Hotel: Wird ein True-Crime-Fall mittels bizarrer Verschwörungstheorien zum Mysterium aufgebauscht, hat das Ganze irgendwann womöglich gar nichts mehr mit der (ohnehin schon tragischen) Wahrheit zu tun – und kann währenddessen unzähligen Menschen Leid zufügen.
Die letzte Folge wirft dann einen genauen Blick auf Elisas tatsächliche Todesursache. Der Forensiker Dr. Jason Tovar erklärt, dass die Autopsie keine eindeutige Antwort lieferte; Elisas Leiche wies keine Anzeichen von Gewalteinwirkung auf und wirkte auch nicht, als sei sie erst nach ihrem Tod in den Wassertank geschleppt worden. Noch dazu ergaben Untersuchungen einige Monate nach dem Tod, dass die junge Frau weder betrunken gewesen war noch unter Drogeneinfluss gestanden hatte – trotz ihres seltsamen Verhaltens im Video der Überwachungskamera. Allerdings ergab der Befund auch, dass die Konzentration der mindestens vier Medikamente, die Elisa wegen ihrer bipolaren Störung hatte nehmen müssen, in ihrem Blut ungewöhnlich niedrig gewesen sei. Das passte auch zu den Medikamenten, die die Polizei in ihrem Hotelzimmer gefunden hatte; es waren weniger Tabletten weg, als Elisa eigentlich bereits hätte einnehmen müssen. Insgesamt war der Verdacht also klar: Alles deutete darauf hin, dass Elisa ihre Medizin nicht regelmäßig genug eingenommen hatte, meint Tovar. Und da stimmt ihm auch die Neuropsychologin Dr. Judy Ho zu.
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Zu dieser Theorie einer „psychotischen Episode“, wie Dr. Ho sagt, passen auch weitere Hinweise, von denen der Detective Greg Kading und die Managerin des Cecil-Hotels in der Serie erzählen. Elisa habe sich gegenüber ihren Zimmermitbewohner:innen merkwürdig verhalten und paranoide Zettelbotschaften auf deren Betten hinterlassen, sei wegen ihres Benehmens vom Security-Personal aus einem TV-Show-Publikum entfernt worden und habe mitten in der Hotellobby verkündet, sie sei „verrückt“. Noch dazu bestätigte auch die Familie, Elisa habe immer wieder ihre Medikamente nicht genommen. Einige Male habe sie daraufhin halluziniert und sich aus Angst unter dem Bett versteckt, sei sogar einmal ins Krankenhaus eingewiesen worden. All diese Informationen teilte die Polizei aber nicht mit der Öffentlichkeit. 
Durch all diese Beweise beurteilte die Polizei Elisas Tod im Juni 2013, vier Monate nach dem Fund der Leiche, als Unfall. Sie glauben, Elisa habe sich aus Angst vor ihren krankheitsbedingten Halluzinationen aufs Dach des Hotels geflüchtet (wohin sie aus dem 14. Stock, wo sie laut der Kameraaufnahmen zuletzt gesehen wurde, leicht gekommen wäre) und sich schutzsuchend im Wassertank versteckt. Dort sei sie aber nicht mehr rausgekommen, weswegen sie ihre Kleidung ausgezogen habe, um besser schwimmen zu können oder wärmer zu bleiben. Letztlich sei sie ertrunken. 
„Nicht alle Hintergrunddetails, die das Ganze als Unfall bestimmten, wurden mit der Öffentlichkeit geteilt“, erklärt der Forensiker Dr. Tovar. „Als Person im Internet bekommst du einfach nicht die ganze Geschichte. Du hast nicht alle Fakten.“
Während sich die letzte Episode dem Ende neigt, sehen sich die Journalist:innen und Internet-Interessierten dazu gezwungen, der Wahrheit rund um Elisas Tod ins Auge zu blicken. Trotz aller vermeintlich „mysteriösen“ Wendungen lässt sich jede einzelne davon mithilfe des Beweismaterials erklären. Hier gibt es keine Verschwörung – egal, wie sehr sie sich manche wünschen würde. Indem Elisas tragischer Tod zur Sensation aufgeblasen wurde, wurde die schrecklichste Tatsache einfach überschattet: Eine Familie hatte ihre Tochter wegen einer psychischen Krankheit verloren. „Alle, die Elisa kannten und liebten, betrachten diesen Fall völlig anders. Für sie war das alles die Hölle, ein Trauma“, meint der Journalist Josh Dean.
Elisas Tod ist kein Spiel, kein Rätsel – sondern eine Katastrophe, die mehr Leben ruiniert hat als „nur“ die der Lam-Familie. Zum Beispiel das des Death-Metal-Musikers Pablo Vergara (alias „Morbid“), dem der Mord an Elisa unterstellt wurde. Er bekam Morddrohungen; seine YouTube-, Email- und Facebook-Accounts musste er schließlich deaktivieren. Als Reaktion auf den ganzen Hass zog er schließlich sogar einen Suizid in Betracht – dabei war er zum Zeitpunkt des Todes von Elisa in Mexiko. Bis heute lebt er unter den traumatischen Folgen des Cybermobbings, obwohl Elisas Tod längst als Unfall gilt. 
Ganz egal, wie viele investigative YouTube-Videos du dir ansiehst oder wie viele True-Crime-Podcasts du dir anhörst – selbst bei der dramatischsten Internet-Verschwörung wirst du niemals alle Fakten kennen können. Indem du dir das immer vor Augen hältst, kannst du verhindern, dass du anderen mit deiner Faszination womöglich Schaden zufügst. 
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