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Netflix’ Sons of Sam: Die besessene Jagd nach Verschwörungstheorien

Foto: bereitgestellt von Netflix
Achtung: Spoiler für Netflix’ True-Crime-Dokuserie Sons of Sam direkt voraus!
Wer bei Netflix auf Sons of Sam: Ein Abstieg in die Dunkelheit klickt, in der Hoffnung, am Ende eine spektakuläre Enthüllung präsentiert zu bekommen, wird überrascht. In der neuen True-Crime-Dokuserie zum Fall des berüchtigten Serienmörders „Son of Sam“ geht es nämlich gar nicht wirklich um den Killer, David Berkowitz, selbst – sondern um Maury Terry, den Mann, der verzweifelt zu beweisen versuchte, dass Berkowitz nicht der einzige „Son of Sam“ war. Und während du am Ende der Serie vielleicht nicht ganz von seiner Theorie überzeugt bist, zeigt Sons of Sam auf jeden Fall eindrucksvoll, was echte True-Crime-Besessenheit für Konsequenzen haben kann.
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Terry war ein investigativer Journalist, dessen Faszination für den Mörder, der New Yorks bisher größte Verbrecherjagd auslöste, sein ganzes Leben einnahm. Zwischen Juli 1976 und Juli 1977 schoss „Son of Sam“ auf 13 Menschen und tötete dabei sechs von ihnen. Im August 1977 wurde Berkowitz verhaftet, damals ein 24-jähriger Postangestellter aus Yonkers, New York, und später für schuldig befunden. Berkowitz sitzt gerade seine +300-jährige Haftstrafe ab und ist der einzige Mensch, der je für die „Son of Sam“-Morde angeklagt wurde.
Terry glaubte jedoch nie, dass Berkowitz allein gehandelt habe. Dafür gibt es handfeste Indizien; zum Beispiel ähnelte Berkowitz den Fahndungsbildern überhaupt nicht, die auf Augenzeugenberichten basierten. Als Terry dann zu ermitteln begann, stieß er außerdem auf eine Verbindung zwischen Berkowitz und einem satanistischen Kult namens „The Children“. Bald war er davon überzeugt, dieser angeblich mit Charles Manson zusammenhängende Kult sei für die „Son of Sam“-Morde verantwortlich und Berkowitz sei nur der Sündenbock für den Kult, zu denen auch die Söhne von Berkowitz’ Nachbarn Sam Carr gehörten – des Nachbarn, von dessen Hund Berkowitz später behauptete, er habe ihn zu den Morden gedrängt. (Diese Story vom dämonischen Hund zog Berkowitz später zurück.)
Terrys Funde brachten ihn schließlich dazu, 1988 ein Buch über die Morde zu schreiben. Mit The Ultimate Evil, behauptete er, teilte er die furchteinflößende Wahrheit hinter den „Son of Sam“-Verbrechen. Viele seiner Freund:innen und Kolleg:innen, die in Sons of Sam erscheinen, bestätigen dabei, dass all die von Terry gesammelten Indizien eigentlich hätten ausreichen müssen, um den Fall erneut zu eröffnen. Gleichzeitig gestehen sie aber auch: Terry war von seiner eigenen Theorie wie besessen.
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„Ich glaube, dass die Carr-Brüder definitiv involviert waren und es eindeutig ein paar Irre gab, die den Teufel als Ausrede für böse Taten benutzten“, betonte der Macher von Sons of Sam, Josh Zeman, kürzlich gegenüber der New York Post. „Wenn es aber darum geht, dahinter ganze Netzwerke an Kriminellen zu vermuten, werde ich skeptisch.“
Terry war zielstrebig darauf aus, seine Theorie von mehreren „Son of Sam“-Täter:innen – „Sons of Sam“ – publik zu machen. Er hatte allerdings Schwierigkeiten, die Polizei davon zu überzeugen. Die nahm ihn nicht sonderlich ernst, und Terry tat sich auch selbst keinen Gefallen damit, dass er in Talkshows auftrat, um seine Theorien zu verbreiten. Viele dieser Shows waren aber eher daran interessiert, die Angst der Zuschauer:innen zu schüren, anstatt die Wahrheit rauszufinden, und Terrys Glaubwürdigkeit litt stark unter diesen Auftritten.
Einige in Terrys Umfeld, inklusive des „Son of Sam“-Opfers Carl Denaro, glauben bis heute, dass ihn die New Yorker Polizei lächerlich machen wollte, um den Fall nicht erneut öffnen zu müssen. Dadurch hätten sie ihre eigenen Fehler bei der Ermittlung eingestehen müssen – unter anderem den, dass sie Carr und seine Söhne nie befragt hatten, bevor die Söhne auf mysteriöse Art verstarben. 
Terry machte aber selbst diverse Fehler. 1993, nachdem er schon seit Jahren versucht hatte, Zugang zu Berkowitz zu bekommen, durfte er sich endlich von Angesicht zu Angesicht mit ihm unterhalten. In diesem Gespräch verriet Berkowitz, dass er tatsächlich Mitglied eines Kults gewesen sei. „Ich legte einen Eid ab“, sagte er. „Einen kleinen Blutschwur.“ (Im Laufe der Jahre hat Berkowitz auch diese Geschichte zurückgezogen, bestätigte 2020 aber, er sei sehr wohl in einem Kult gewesen.) Im selben Interview erzählte er außerdem, er habe tatsächlich nicht alle „Son of Sam“-Morde begangen. „Ich war immer dabei“, sagte er. „Ich habe aber nicht jedes Mal den Abzug gedrückt.“
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Terrys Meinung nach war das ein riesiger Durchbruch in dem Fall; einige fanden aber, seine Fragen seien sehr suggestiv gewesen. Andere wiederum wollten einem verurteilten Mörder prinzipiell nicht glauben. Erzählte Berkowitz seinem begeisterten Interviewer nur, was der hören wollte? Am Ende dienten die Erkenntnisse aus diesem Gespräch eher als Schlagzeilen-Futter, als dass sie den Fall weiter vorangebracht hätten.
1997 bekam Terry eine zweite Chance, Berkowitz zu befragen und endlich „Frieden zu finden“. Aber auch hier „kam es zu einigen Suggestivfragen“, meint die investigative Journalistin Sarah Wallace, obwohl sie Terry „solide Fakten“ zugesteht. „Ich weiß noch, wie ich dachte: ‚Berkowitz erzählt uns hier nicht die ganze Wahrheit‘“, sagt sie in Sons of Sam.
Dieses zweite Interview war Terrys Chance auf journalistischen Respekt – und als er den nicht bekam, fiel er nur noch tiefer in seine Besessenheit. Er war irgendwann so erpicht darauf, eine große Verschwörung hinter den Morden zu beweisen, dass er selbst anfing, Unwahrheiten zu glauben. Er sah Verbindungen, wo keine waren, und spann ein Netz aus Theorien, über das er nach und nach die Kontrolle verlor. Das hinterließ tiefe Narben: Er trank und rauchte stark, bis er 2015 mit 69 Jahren verstarb.
Wenn du dir Sons of Sam so anschaust, bekommst du durch Terrys Schicksal das Gefühl, die Mordopfer seien nicht die einzigen Leidtragenden dieser ganzen Geschichte. Terry litt enorm, während er nach der Wahrheit suchte.
Seit seinem Tod gab es keine großen Durchbrüche im „Son of Sam“-Fall. Obwohl Berkowitz angedeutet hat, dass er womöglich Kompliz:innen hatte, scheint er nicht daran interessiert, mehr zu erzählen. Das heißt jedoch nicht, dass der Fall für immer abgeschlossen ist. Einige von Terrys Freund:innen – bekannt als die „Pine Street Irregulars“ – suchen noch immer nach Antworten auf die Fragen, die er sich zu stellen traute. Ihre Hoffnung ist es, ein Indiz zu finden, das das NYPD dazu zwingt, die Akte nochmal aufzuschlagen.
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„Natürlich musste die Polizei sagen, [Terry] sei einfach ein Verschwörungsfantaiker, und manchmal glaube ich das selbst“, meint ein ehemaliger Detective und Freund von Terry in der letzten Episode von Sons of Sam. „Fakt ist aber: Er lag häufiger richtig als falsch.“
Der große Twist am Ende der Netflix-Serie scheint genau das zu unterstreichen. Die Show kann nicht zweifelsfrei beweisen, dass es die „Sons of Sam“ wirklich gab oder gibt – doch zeigt sie eben auch, dass Terrys Instinkte bei einem anderen Fall, dem Mord von Arlis Perry 1974, absolut richtig lagen. Damals hatte Terry geglaubt, dass Stephen Blake Crawford – ein Security-Angestellter der Stanford University, der Perrys Leichnam entdeckt hatte – für den Mord verantwortlich war, und dass der Mord an der 19-jährigen Frau ebenfalls mit dem „The Children“-Kult zusammenhing. Für diese Verbindung konnte er aber nie eindeutige Indizien liefern. 2018 sorgten jedoch neue DNA-Beweise dafür, dass Crawford zum Hauptverdächtigen erklärt wurde. Bevor die Polizei den Mann allerdings verhaften konnte, nahm er sich selbst das Leben – und in seinem Schrank wurde später Terrys Buch Ultimate Evil gefunden. 
Dieser letzte Twist beweist: Terrys Intuition und Funde können und sollten nicht ignoriert werden. Gleichzeitig dient Sons of Sam aber auch als Warnung an all diejenigen, die es Terry gleichtun und sich in eine besessene Theorie stürzen: Wenn du zu tief hineinfällst, kommst du womöglich nie wieder raus.
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