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Wo sind die Schwarzen Frauen in Emily in Paris und Lupin?

Foto: bereitgestellt von Netflix.
In den letzten Jahren erweitern Streamingdienste ihre Produktionen um immer mehr französische Geschichten. Und während Netflix’ internationales Team schon seit einiger Zeit französischen Content lizensiert und selbst produziert, war Emily in Paris wohl die größte Goldgrube – eine (vielleicht sogar zu) heitere Serie mit Lily Collins in der Hauptrolle der Emily. Die ist eine rehäugige 08/15-Amerikanerin und will der Stadt der Liebe ihren amerikanischen Stempel aufdrücken. Ein paar Monate nach Emily in Paris’ Premiere erschien im Januar 2021 dann Lupin, eine Thriller-Serie mit Omar Sy, inspiriert vom beliebten Buch-, Comic-, Cartoon- und Film-Charakter Arsène Lupin. Der Meisterdieb wurde bisher allerdings fast immer als weißer Mann dargestellt. 
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Obwohl beide Shows enorm erfolgreich waren, wurden sie beide dafür kritisiert, kein realistisches Bild von Frankreich darzustellen – insbesondere, weil keine der Serien eine Schwarze Frau in einer Sprechrolle besetzte. Diese reflexartige Verärgerung ist verständlich; schließlich lässt sich die Bedeutung einer Bevölkerungsgruppe für eine Story gut daran ablesen, wie präsent sie auf dem Bildschirm ist. In französischen Medien ist diese deutliche Auslassung aber tatsächlich ziemlich normal.
In Emily in Paris, dessen zweite Staffel letzten Monat mit einem neuen Schwarzen männlichen Hauptcharakter (Lucien Laviscount als Alfie) online ging, sind Schwarze Frauen schon kaum im Hintergrund der Pariser Straßen zu sehen, abgesehen von einem gelegentlichen Auftritt ganz am Bildrand, weit weg. Das ändert sich mit der Fashion-Show in Versailles. Doch selbst in den Hallen dieses historischen Schlosses dienen die Frauen nur als stumme Dekoration für die Ästhetik eines queeren, Schwarzen Designers (gespielt von Jeremy O. Harris), der die schlichte Präsenz ihrer Körper und ihre twerkenden, voguenden Verrenkungen ausnutzt, um sich als Außenseiter in der französischen Modewelt durchzusetzen. Die Schwarzen Frauen waren ein Spektakel, mehr nicht.

Repräsentation nur der Repräsentation halber könnte der jeweiligen Schwarzen Darstellerin schaden und täte wenig dafür, die unausgesprochene französische Gesellschaftshierarchie anzufechten.

Repräsentation ist nicht bloß eine Widerspiegelung demografischer Zahlen, sondern auch eine der deutlichsten Darstellungen davon, wie ein:e Regisseur:in seine:ihre eigene Story im kollektiven Bewusstsein des Publikums vertreten sieht. Denjenigen, die einige der diversesten Ecken von Paris kennen – wie zum Beispiel Chateau Rouge (umgangssprachlich bekannt als Quartier Africain) oder das vorrangig nordafrikanische Barbès im 18. Arrondissement – oder im Alltag viel mit nicht-weißen Communitys in Kontakt kommen (wie in der Métro, im Kino oder in der Schule), kommt dieses Fehlen von Schwarzen Frauen auf dem Bildschirm vielleicht absurd vor. Wenn du aber das französische Kino kennst und weißt, wie Paris darin typischerweise dargestellt wird, ist es wenig überraschend, dass diese Communitys auch hier ausradiert werden. Historisch betrachtet hat Frankreich nämlich keinen guten Ruf darin, ethnische Minderheiten in den Medien zu repräsentieren. Schon seit Beginn des 21. Jahrhunderts wird in den Medien kritisiert, wie nicht-weiße Menschen, wenn sie dann doch ganz selten mal vor der Kamera zu sehen sind, häufig als „anders“, als Opfer und Wilde dargestellt werden.
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Das weiß auch der Mann hinter Emily in Paris, Darren Star. Der versucht seine Entscheidungen folgendermaßen zu rechtfertigen: „Ich entschuldige mich nicht dafür, dass ich Paris durch eine glamouröse Brille betrachte… Ich wollte eine Serie drehen, die diesen Teil von Paris zelebriert.“ Und so krass sich dieses Statement auch anhören mag: Es entspricht schlichtweg dem, was wir auf dem Bildschirm zu sehen bekommen – eine sehr ehrliche, unterbewusste Widerspiegelung der Interaktionen vieler weißer Menschen mit Blackness und Schwarzer Kultur in Frankreich durch eine Kombination aus Casting-, Drehbuch- und Regieentscheidungen. Diese Interaktionen sind häufig Transaktionen und weitestgehend unsichtbar, im wahren Leben wie auch auf dem Bildschirm; daher reagieren viele Tourist:innen überrascht, wenn sie bei einem Besuch in Paris feststellen, wie viele Schwarze Menschen dort tatsächlich leben. Als Konsequenz dieses sowohl kommerziell als auch staatlich geförderten fiktiven Bilds eines größtenteils weißen Frankreichs erwarten viele Tourist:innen, Paris müsse aussehen wie eine klassische Parfumwerbung von Yves Saint Laurent, in der Whiteness erwartet wird, Blackness hingegen quasi nicht existiert.
Während Paris weltweit als „Stadt der Liebe“ und für seine malerischen Sehenswürdigkeiten und romantischen Ausblicke an der nächtlichen Seine bekannt wurde, sind die meisten – wenn nicht sogar alle – Bilder von Frankreich, die uns in der Werbung, im Film und Fernsehen verkauft werden, auffällig weiß, obwohl postkoloniale Einwanderungswellen vom afrikanischen Kontinent und aus der Karibik in den 70ern, 80ern und 90ern stark zulegten. Das sind die einzigen Daten, anhand derer wir die wachsende Präsenz nicht-weißer Menschen in Frankreich messen können, da Hautfarbe und Abstammung in der Volkszählung bis heute nicht abgebildet werden dürfen. In Frankreich bedeutet die französische Staatsangehörigkeit, sich der Whiteness anzupassen. Das Gefühl, eine Nation zu sein, überwiegt gegenüber der gelebten Erfahrung ihrer Individuen. 
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In Episode 5 von Emily in Paris erzählt der Paris-Neuling Alfie gegenüber Emily, sein größtes Problem mit der Stadt sei, dass sie eine Fantasie verkaufe – etwas nicht Reales. Im Kontext der Serie ist das ein augenzwinkerndes Eingeständnis, dass diese Show – wie andere, die in London, Rom, Mailand, New York, und so weiter spielen – ein künstliches Universum erschafft, das außerhalb der Realität einer solchen Metropole existiert. Weil Emily in Paris aber eben in Frankreich spielt, schwingt dabei unabsichtlich im Subtext mit, dass die französische Entertainment-Industrie Schwarze Frauen sowohl bewusst als auch unbewusst aus dem Mainstream-Narrativ verbannt hat, um dessen Identität als Fantasie zu erhalten.

Viele Tourist:innen erwarten, Paris müsse aussehen wie eine klassische Parfumwerbung von Yves Saint Laurent, in der Whiteness erwartet wird, Blackness hingegen quasi nicht existiert.

Wenn Kultur die gesellschaftspolitische Gegenwart einfangen soll, sollten wir unser Unwohlsein damit, was wir nicht auf dem Bildschirm gezeigt bekommen, als Indikator dafür sehen, wie sehr die französischen sozialen Normen doch durch die Anpassung an Whiteness bestimmt sind – trotz aller Behauptungen des Gegenteils. Das Gesamtbild, das einem internationalen Publikum auf Kosten Schwarzer Menschen (und insbesondere Schwarzer Frauen) verkauft wird, drängt diese umso weiter an den Rand der Gesellschaft, zum Beispiel als Straßendealer:innen oder Haushälter:innen. Diese Dynamik führt zu Szenen wie 2018 in Cannes, als die Schauspielerin Aïssa Maïga 16 ihrer Schwarzen französischen Kolleginnen den roten Teppich entlangführte, um auf ihre Entmündigung in der französischen Film- und TV-Branche aufmerksam zu machen – zwei Wochen nach der Veröffentlichung ihrer Essay-Sammlung „Noire n’est pas mon métier“ (z. Dt.: „Schwarzsein ist nicht mein Job“). 2020 setzte sie bei einer Preisverleihung auf der Bühne noch eins drauf. „Wir haben Whitewashing, Blackface, zahllose Rollen als Dealer:innen, Haushälter:innen mit Akzent, als Terrorist:innen oder hypersexualisierte Frauen überlebt“, sagte sie und versetzte das Publikum in betretenes Schweigen. „Aber wir werden das französische Kino nicht einfach so weitermachen lassen.“
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Genau deswegen ist die Unsichtbarkeit Schwarzer Frauen in Serien, die in Frankreich spielen, die zutreffendste Darstellung der französisch-Schwarzen Realität: Schwarze Frauen bekommen selten Rollen, und wenn doch, dann meist nur typisierte, klischeehafte Rollen. Die Ausnahmen sind Produktionen, in denen Schwarze Frauen mehr Kontrolle hinter der Kamera und über die Story haben. Aber selbst dann bekommen sie meist nicht die institutionelle Unterstützung, die sie bekommen sollten. Wenn es dann doch einmal zur Repräsentation im Mainstream reicht, ist diese Repräsentation selten schmeichelhaft, wie in Céline Sciammas Bande de filles/Girlhood, das von den Medien gefeiert, von vielen Franzosen:Französinnen jedoch stark kritisiert wurde. Sieh dir doch nur mal den Casting-Aufruf zum Film an. Darin werden jungen, Schwarzen Französinnen zwischen 18 und 28 Jahren für eine Woche Arbeit 105 Euro pro Tag angeboten. Die Rollen: Prostituierte, die ihre Dienste aktiv auf der Straße anbieten; oder halbnackte bis nackte Sexhandel-Opfer. Wer sich dazu bereit erklärte, sich in Unterwäsche oder ganz nackt zu zeigen, bekam extra Geld.
Bei solchen Löhnen dafür, sich als Opfer von Sexhandel darstellen zu lassen, stellt sich die Frage: Ist jede Form von Repräsentation wirklich gut? Wenn wir darum bitten, mehr Schwarze Frauen in französischen Serien zu sehen, sollten wir bedenken, worum wir dabei genau bitten – und für wen –, um Schwarze Menschen nicht in eine Branche zu drängen, die für sie von furchtbarer Bezahlung, coloristischem Casting und negativen Charakterisierungen geprägt ist und noch dazu nicht der Schwarzen Welt entspricht, in der sie tatsächlich leben.
Foto: bereitgestellt von Netflix.
Omar Sy als Lupin in Netflix' „Lupin“.
Während immer neue internationale Serien und Filme produziert werden, werden wir diese Gespräche weiter führen müssen. Und obwohl es wichtig ist, diese eindeutigen Ungerechtigkeiten anzusprechen, ist es genauso entscheidend, dabei zu kommunizieren, für wen wir dabei sprechen – und wen wir damit ansprechen. Rokhaya Diallos Dokumentation Où Sont Les Noirs (z. Dt.: „Wo sind die Schwarzen Menschen?“) lässt zum Beispiel nicht bloß Schwarze französische Schauspieler:innen, Regisseur:innen und Comedians:Comediennes dazu zu Wort kommen, welche institutionellen Probleme ihnen während ihrer Karriere im Weg standen; der Film setzte sich gleichzeitig auch damit auseinander, welche Hürden er in der französischen TV-Branche zu bewältigen hatte, um überhaupt ausgestrahlt werden zu können. Die Ungleichheiten in der französischen Repräsentation sind ein tief verwurzeltes soziales Versagen, das sich nicht allein dadurch beheben lässt, indem eine Schwarze Frau in einer Netflix-Serie mitspielt.
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Dabei gilt Lupin als Beispiel für positive Repräsentation der Schwarzen Identität in Frankreich, da Omar Sy die Hauptrolle spielt; Lupin existiert jedoch ansonsten in einem beinahe ausschließlich weißen Universum, frei von Schwarzen Frauen. Dennoch kann er darin als Meister der Täuschung agieren und nutzt die Ignoranz seines Umfelds gegenüber der Arbeiterklasse zu seinem Vorteil. In der Serie sind „Arbeiterklasse“ und „nicht-weiß“ oft gleichbedeutend. Dabei ist es eigentlich unvorstellbar, dass Sys Charakter absolut keine Schwarzen Frauen in seinem Leben haben könnte, selbst wenn er sie nicht datet (beide seiner Partnerinnen sind weiße Frauen). In Anbetracht der tragischen Vergangenheit seines Charakters (sein Vater stirbt im Gefängnis, nachdem er fälschlicherweise dafür verurteilt wird, den Schmuck seines Arbeitgebers geklaut zu haben, wodurch Lupin zum Pflegekind wird) liegt allerdings die Vermutung nahe, dass jede Schwarze weibliche Figur in der Serie nicht die Tiefe oder bedeutsame Storyline bekommen würde, die über traumatisches Leid hinausgeht. Auch sollten wir hier erwähnen, dass Sy selbst jede Menge rassistische Kommentare von Seiten des französischen Publikums kassierte, weil er es gewagt hatte, eine Rolle in einem so beliebten Universum anzunehmen, dessen Hauptcharakter bisher weitestgehend als weiß galt. Scheinbar war schon ein Schwarzer Mensch in dieser Serie ein Schwarzer Mensch zu viel.

Ist jede Form von Repräsentation wirklich gut? Wenn wir darum bitten, mehr Schwarze Frauen in französischen Serien zu sehen, sollten wir bedenken, worum wir dabei genau bitten – und für wen.

Trotz alledem gibt es Möglichkeiten, die Schwarze Community und ihre kreative Arbeit zu unterstützen. Bitte sieh dir auf Netflix das Regie-Debüt von Maimouna Doucouré, Cuties, an – eine wunderschöne Coming-of-Age-Story über Schwarze Mädchen in Frankreich. Weitere Empfehlungen sind Serien wie Mortel, Plan Cœur (The Hookup Plan), Braquers und die Filme Tout Simplement Noir (Simply Black) und Les Misérables. Wer des Französischen mächtig ist, kann sich Podcasts wie Kiffe ta race und À L’Intersection anhören, die Themen wie Hautfarbe, Gender und Religion behandeln. Und wenn du die Gelegenheit bekommst, nach Paris zu reisen, gibt es auch Touren wie Le Paris Noir, die sich mit der Schwarzen Geschichte der Stadt auseinandersetzen. 
Es wäre nicht schwer, Schwarze Frauen in Emily in Paris mitspielen zu lassen. Weiße Regisseur:innen dürfen schon (viel zu) lange ihre romantische Version einer weißen Welt umsetzen – von Friends bis hin zu Sex and the City. Im amerikanischen Kontext gibt es als Reaktion darauf aber eben auch eigene Schwarze Geschichten, wie Living Single und Insecure. Uns dafür einzusetzen, Schwarze Frauen in alle populären französischen Storys reinzuquetschen – unabhängig vom Kontext oder der Einstellung der jeweiligen Serie zu Themen wie Hautfarbe oder Gender –, wäre ein riskantes Roulette: Woher sollen wir wissen, ob eine Rolle wirklich Tiefe bekommt oder schädliche Stereotypen vermeidet? Repräsentation nur der Repräsentation halber könnte der jeweiligen Schwarzen Darstellerin schaden und täte wenig dafür, die unausgesprochene französische Gesellschaftshierarchie anzufechten. 
Stattdessen sollte es uns eher darum gehen, Schwarzen Frauen die Chance zu geben, ihre eigenen Geschichten zu kontrollieren und Standards zu schaffen, die ihnen erfolgreiche und gesunde Karrieren im französischen Kino ermöglichen – sowohl hinter als auch vor der Kamera. Vielleicht würde es dann nicht so wehtun, Emily durch ihr fiktives, weißes Frankreich schlendern zu sehen. 
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