Fünf Jahre nach dem Serienfinale von Degrassi: Die nächste Klasse – der fünften Auflage der beliebten kanadischen Originalserie – verkündete der Streamingdienst HBO Max, er würde die Show schon wieder wiederbeleben. Die Vorstellung, wieder ins Chaos der berühmten Degrassi Street einzutauchen, fanden viele Fans total aufregend; andere von uns gruselten sich hingegen vor diesem x-ten Reboot. Wenn du eher zu den Leuten gehörst, die langsam die Schnauze voll von all diesen Neuauflagen unserer Jugendklassiker haben, bist du höchstwahrscheinlich ein:e Millennial – und dann habe ich eine traurige Neuigkeit für dich: Wir sind gar nicht mehr das Zielpublikum solcher Produktionen. Aber das ist okay.
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Das Leben als Teenager im Jahr 2022 ist ein völlig anderes als damals zu unserer Zeit (uff, hörst du meine Knochen knirschen?), weil unsere aktuelle Realität deutlich apokalyptischer ist. Klar, die Teens sehen besser aus als die meisten von uns damals – hey, in den frühen 2000ern trug ich Kleider über Jeans! –, aber besser geht’s ihnen nicht unbedingt. Sieh dich doch bloß mal um: Die Welt steckt im mittlerweile dritten Jahr einer globalen Pandemie, die Millionen von Menschenleben gekostet hat und nie enden zu wollen scheint. Der letzte US-Präsident war ein Reality-TV-Star. Der Klimawandel bedroht unseren ganzen Planeten. Und trotzdem schaffen es die Teenies von heute immer noch irgendwie, Tag für Tag zu überleben.
All diese Probleme ließen sich theoretisch durch eine Kamera einfangen, klar. Trotzdem konzentriert sich der aktuell beliebteste Teen-Content auf ein fast schon berechenbares Level von Drama: harte Drogen, harter Sex, harte Traumata – und alles nochmal von vorne. Insbesondere HBO Max hat dieses Genre perfektioniert: Serien wie Euphoria, Generation und das Reboot von Gossip Girl konzentrierten sich auf diese finstere Seite des Teenagerlebens. Und selbst in meinem fortgeschrittenen Alter schaue ich mir diese ganzen Serien weiterhin an. Anstatt mich dabei aber mit diesen Charakteren zu identifizieren, mache ich mir jetzt Sorgen um sie – und wünsche mir, die Erwachsenen in ihren Leben würden mal was unternehmen. Irgendwas!
Ich schaute mit weit aufgerissenen Augen zu, wie Rue (Zendaya) während der ersten Staffel von Euphoria immer und immer wieder rückfällig wurde. Ich wünschte mir, irgendjemand hätte Lara Jean (Lana Condor) aus To All The Boys I’ve Loved Before mal drauf hingewiesen, dass John Ambrose (Jordan Fisher) und nicht Peter Kavinsky (Noah Centineo) ihr perfektes Match war, und dass die wenigsten Lovestorys aus Schulzeiten das erste Unijahr überstehen. Ich brauchte einen starken Drink, ein Nickerchen und eine Notfall-Therapiesitzung, nachdem ich die ganze Staffel von Grand Army durchgesuchtet hatte. Und mir wurde klar, dass ich wirklich alt war, als ich Mitleid mit erschöpften Lehrer:innen der Constance-Billard-Schule im Gossip-Girl-Reboot hatte. (Bevor sie ihre Macht brutal missbrauchten, versteht sich.)
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Das moderne Teenager-Dasein ist hart – aber selbst, obwohl es sich stark von unserer eigenen Millennial-Erfahrung unterscheidet, erinnern wir uns doch an dieselbe überwältigende Unsicherheit und Unruhe, die damals wie heute zum Erwachsenwerden gehört. Manche von uns wollten einfach reinpassen und ein Teil des großen Ganzen sein; andere wollten gegen den Strom schwimmen und sich einen eigenen Namen machen. Diese Herausforderungen – die durch unsere individuellen Kombinationen aus Identität, Familie, Freundschaften und gesellschaftlicher Rolle nur noch komplizierter wurden – sind spannend. Und genau deswegen lassen uns diese Teenie-Shows einfach nicht los.
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Als Teenager, die versuchten, unser Leben auf die Reihe zu kriegen, brauchten wir diese Filme und Serien, um uns beim komplizierten, emotionalen Erwachsenwerden zu helfen.
Ineye Komonibo
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Aber die Pubertät währt nicht ewig. Deine Teenager-Jahre sind irgendwann vorbei, das Erwachsenenleben beginnt – und konfrontiert dich mit ganz neuen Problemen. Und obwohl dich einige davon in abgewandelter Form ein Leben lang begleiten werden (wie Fragen der Identität, Zugehörigkeit oder Liebe), ändert sich im Laufe der Jahre, wie wir darüber nachdenken. Je mehr Zeit vergeht, je mehr Erfahrungen wir sammeln, desto stärker verschiebt sich unser Blick darauf – und ohne es selbst zu bemerken, sind wir plötzlich selbst die Erwachsenen.
Es kann ein saurer Apfel sein (insbesondere für uns Millennials), plötzlich nicht mehr im Zentrum des Universums (oder zumindest Zielgruppen-Marketings) zu stehen und zu akzeptieren, dass es manche Dinge geben wird, mit denen wir uns einfach nicht mehr identifizieren können. Deswegen lösen Ankündigungen von Reboots geliebter Franchises wie Degrassi oder Der Prinz von Bel-Air häufig eine so starke Reaktion aus. Jedes neue Remake wird bemeckert, und viele von uns tun sich schwer mit der Andeutung, dass unsere einstigen Favoriten heute vielleicht als veraltet gelten. Und das ist auch irgendwie verständlich; schließlich kommen uns die Lektionen, die wir damals aus diesen Filmen, Serien und Co. lernten, heute noch so relevant vor wie eh und je. Durch Girls United setzten sich viele von uns zum ersten Mal mit kultureller Aneignung auseinander. Einfach zu haben zeigte uns, welche Konsequenzen Slutshaming haben kann. 10 Dinge, die ich an Dir hasse brachte uns Shakespeare näher. Und Degrassi – in all seinen Formen – lehrte uns… naja, einfach alles. Warum also sollten die Klassiker es nötig haben, immer und immer wieder neu aufgesetzt zu werden?
Trotzdem: Als Teenager, die versuchten, unser Leben auf die Reihe zu kriegen, brauchten wir diese Filme und Serien, um uns beim komplizierten, emotionalen Erwachsenwerden zu helfen. Dasselbe gilt für die Generationen an Jugendlichen vor uns – und nach uns. Wenn Teenie-Drama oder traumatische Shows wie Euphoria einfach nicht so dein Ding sind, kannst du ja einfach umschalten (oder den Streaming-Dienst wechseln, oder wie auch immer die Kids das heute nennen). Diese Schulstorys werden niemals wirklich verschwinden – weil die Jugend sie für immer brauchen wird.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns eingestehen, dass Teenie-Storys einfach nicht mehr unsere Storys sind. Und das ist – wie gesagt – auch völlig okay.