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Der Rassismus in Staffel 2 von Love Is Blind ist schmerzhaft realistisch

Foto: bereitgestellt von Netflix.
Achtung: Spoiler zur zweiten Staffel von Netflix’ Love Is Blind direkt voraus! 
In Staffel 1 von Netflix’ supererfolgreicher Dating-Show Love Is Blind (Liebe macht blind) bekamen wir einen im TV seltenen Anblick präsentiert: eine Schwarze Frau, die geliebt, akzeptiert und gut behandelt wurde. Lauren und Cameron Hamilton, die mittlerweile seit drei Jahren verheiratet sind, verband schon vor den Kameras eine Liebe, die warm, leidenschaftlich, respektvoll, engagiert und intim wirkte. Wir als Zuschauer:innen waren begeistert, weil die Lovestory der beiden nicht bloß zuckersüß mitanzusehen war, sondern weil es eben auch eines der bisher nur wenigen TV-Beispiele einer gesunden, liebevollen Romanze einer Schwarzen Frau war. Die Beziehungen Schwarzer Frauen werden im Fernsehen ansonsten eher als Kampf dargestellt. Entweder werden wir quasi dafür „gelobt“, das Schlimmste zu ertragen, was die Männerwelt zu bieten hat – oder dafür bemitleidet, dass wir am Ende allein dastehen, wenn wir ebendiesen Männern den Rücken kehren. 
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Als ich die deutlich diverseren Teilnehmer:innen der zweiten Staffel von Love Is Blind sah, freute ich mich darauf, mehr Frauen of color in diesen märchenhaften Lovestorys zu erleben. (Naja, so märchenhaft eine Verlobung mit einer Person hinter einer Wand halt sein kann.) Aber obwohl es drei Frauen of color durch die erste Dating- und Verlobungsphase der Show schaffen, werden sie in der Serie schlimmer behandelt als noch in Staffel 1. In zwei Fällen sind die Verantwortlichen dafür dann auch noch Männer of color – eine riesige Enttäuschung, die mich daran erinnert, wie Diamond in Staffel 1 von Carlton behandelt wurde, der sie verbal dafür fertigmachte, dass sie lediglich Fragen zu seiner Bisexualität stellte, nachdem er die vor ihr verborgen hatte.
In dieser neuen Staffel ist es aber unfassbar schmerzhaft mitanzusehen, wie Abhishek (Shake) Chatterjee seine Verlobte Deepti Vempati behandelt. Als sie sich in den Kabinen kennenlernen, informiert er sie direkt darüber, dass er bisher nur „Blondinen“ gedatet habe – scheinbar sein Euphemismus für weiße Frauen. Klar, die Produzent:innen der Serie haben aus diesem Gespräch eventuell wichtigen Kontext rausgeschnitten, um den Drama-Faktor zu pushen; es kommt letztlich aber so rüber, als wolle er Deepti warnen, dass er sich nur für weiße Frauen interessiere.
Als sich die Beziehung der zwei aber vertieft, fühlen sie sich zueinander hingezogen, verbunden durch ihre geteilte Kultur. Auch Deepti hat vorher nur weiße Männer gedatet, und zwischendurch wirkt es so, als hielten die beiden ihre gemeinsame indische Kultur für das einzig Wichtige in einer guten Ehe. Und obwohl sich zwischen ihnen eine echte Freundschaft und Zuneigung entwickelt, betont Shake schon nach Kurzem, dass er körperlich quasi überhaupt nicht auf Deepti stehe.
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Frauen of color bekommen manchmal nicht das Happy End, das uns zustünde – aber nicht wegen unserer eigenen Fehler, sondern wegen dessen, was uns die Gesellschaft zugesteht.

Shakes Verhalten ist definitiv kein Einzelfall. Zahlreiche Männer of color daten ausschließlich oder mit Vorliebe weiße Frauen und verwerfen oder missverstehen ihre eigene Kultur. Sobald sie diesen Kreislauf satt haben, suchen sie hingegen nach dem Vertrauten: nach Frauen, die sie an ihre Mütter und Tanten erinnern. Sie verbringen ihre Jugend und ihre „wilden“ Jahre mit weißen Frauen, setzen dann aber mit Frauen of color ihre Kinder in die Welt, lassen sich von diesen Frauen emotional unterstützen, sich bei der Karriere helfen und den Haushalt managen.
Diese Dynamik versuchen viele Frauen of color zu bewältigen, indem sie weiße Frauen „slutshamen“, sie also für ihre offene(-re) Sexualität verurteilen. Dabei sind wir uns häufig nicht bewusst, wie sehr wir uns damit selbst schaden, weil wir wegen unserer Hautfarbe und unseres Genders ohnehin schon einer besonders benachteiligten Randgruppe angehören. Ich selbst habe schon unzählige Male gehört, wie Frauen of color die Vorliebe für weiße Frauen unter Männern of color als ausschließlich sexueller Natur abstempeln. Sie unterstellen weißen Frauen, sie seien „leichter zu haben“ und würden sich auf sexuelle Handlungen einlassen, die sie „beschmutzen“ würden, wie (regelmäßiger) Oral- und Analsex. Mithilfe dieser Argumentation stellen sich Frauen of color oft als „Preis“ dar, weil wir die Ehefrauen von Männern of color werden, die ihre prägenden Jahre damit verbracht haben, ausschließlich mit weißen Frauen zu schlafen und sie zu lieben.
Obwohl dieses Slutshaming kontraproduktiv und beleidigend ist, lässt sich sein sexueller Aspekt nicht ignorieren. Männer of color betrachten weiße Frauen oft als Statussymbol und „Widerstand“ gegen eine Welt, in der sie seit Jahrhunderten dafür verurteilt oder sogar getötet werden, die Körper weißer Frauen „besudelt“ zu haben, und werden andersherum von weißen Frauen fetischisiert. Beide Seiten politisieren die Körper der jeweils anderen.
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Auch Colorismus und Fatphobia sorgen dafür, dass den Körpern weißer Frauen mehr Wert zugemessen wird als denen von Frauen of color. Zu Beginn der Serie lässt Shake einige Kommentare zum Gewicht und Aussehen von Frauen ab (die alle auf seine eindeutige Besessenheit von eurozentrischen Schönheitsidealen hindeuten), bis Deepti ihn schließlich konfrontiert und ihm ihr eigenen Körperbildprobleme anvertraut. Er entschuldigt sich, scheint daraufhin tatsächlich nachzudenken und „schämt“ sich laut eigener Aussage. An diesem Punkt keimt in mir die Hoffnung auf, uns könne hier ein echtes Beispiel für persönliches Wachstum im TV erwarten – doch zu früh gefreut.
Im Urlaub in Mexiko fängt Shake damit an, den Produzent:innen und seinen Co-Kandidat:innen von seinen Schwierigkeiten zu erzählen, eine „animalistische“ Anziehung zu Deepti zu entwickeln. Er fühlt sich, als sei er mit seiner Tante zusammen, sagt er. Im Laufe der Serie beklagt er sich wiederholt gegenüber mehreren Leuten – inklusive seiner Mutter Sita –, er fühle sich einfach nicht körperlich zu Deepti hingezogen, trotz ihrer starken emotionalen Verbindung. In einer herrlich erfrischenden Szene kritisiert ihn seine Mutter dafür ganz direkt. „Ganz ehrlich: Ich identifiziere mich jetzt gerade mehr mit ihr als mit dir“, sagt sie. „Sie könnte jemanden finden, der sie so liebt, wie sie ist. Sie ist eine wundervolle Person… Sie verdient niemanden, der ihr auch nur ein halbes Prozent weniger gibt [als sie ihm].“
Dabei ist Shakes Verhalten so deprimierend typisch. Vor allen in den Medien werden Desi-Frauen von südasiatischen Männern oft als weniger begehrenswert dargestellt. Diese Männer drücken dabei häufig den Wunsch aus, sich ihrer Kultur nicht „anpassen“ zu wollen, und fühlen sich quasi als „Rebellion“ zu weißen Frauen hingezogen. Desi-Frauen gelten daher stereotypisch als kulturell rückständig und als Symbol der gesellschaftlichen Verpflichtung, wohingegen weiße Frauen mit aufregendem Fortschritt verbunden werden. Shakes Kommentare, in denen er Deepti mit seiner „Tante“ gleichsetzt, erinnern mich an die schmerzhafte Darstellung von Desi-Frauen in The Big Sick, die der Autor des Films, Kumail Nanjiani, inzwischen bereut. Basierend auf Nanjianis eigener Begegnung mit seiner Frau zeigt der Film, wie der Mann einer Reihe pakistanischer Frauen-Karikaturen vorgestellt wird – gekleidet in den traditionellen Salwar Kamiz, mit Fake-Akzent, gesellschaftlich unbeholfen, ignorant gegenüber seiner eigenen (amerikanischen) Kultur, superanhänglich und verzweifelt auf der Suche nach einem Ehemann.
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In romantischen Geschichten aus der Feder von Männern of color, wie Nanjianis The Big Sick, wird weiße Haut häufig als Symbol der Lust und Freiheit dargestellt, wohingegen Desi-Frauen als Symbole der Rückläufigkeit und in manchen Fällen sogar als abstoßend präsentiert werden. Es ist herzzerreißend mitanzusehen, wie Shake diese schädlichen Vorstellungen immer wieder reproduziert und es ihm dabei scheinbar egal ist, dass ihm dabei Millionen von Menschen zuhören – und auch Deepti seine Worte und Taten früher oder später mitbekommen wird. Das beweist einen schockierenden Mangel an Respekt. 
Ein mangelnder Respekt, den Deepti aber zum Glück selbst bemerkt. Sie zieht Konsequenzen und gibt Shake am Altar ein „Nein“, was ihn eindeutig – und amüsanterweise – aufregt. Ihr dabei zuzuhören, wie sie ganz ruhig davon spricht, sich für sich selbst zu entscheiden, während ihre Mutter sie in die Arme schließt, ist stark – und vielleicht sogar viel bedeutsamer als die romantischste Lovestory.
Leider ist Deeptis Erfahrung in der Show nicht die einzig enttäuschende. Eine weitere Frau of color, der in Love Is Blind erschreckend wenig Respekt gezollt wird, ist die koreanisch-amerikanische Natalie Lee, die sich mit dem weißen Shayne Jansen verlobt. Obwohl sich auch Natalie an ihrem Hochzeitstag für sich selbst entscheidet – die Frauen treten in dieser Staffel echt für sich ein! –, ist ihre Beziehung mit Shayne schon von Anfang an von schmerzlichen Momenten durchzogen. Shaina Hurley, eine weiße Frau, ist während der ersten Dating-Phase an Shayne interessiert, und wohingegen sich Shayne geduldig Shainas Fragen zu seinen Gefühlen für Natalie anhört, verliert er gegenüber Natalie die Nerven, als sie ähnliche Fragen stellt. 
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Diese Dynamik ist unter Männern, die Frauen of color lieben, keine Seltenheit: Weiße Frauen werden von ihnen oft sanft und rücksichtsvoll behandelt, wohingegen ihre Partnerinnen of color sämtlichen Frust abbekommen. Als Schwarze Frau habe auch ich schon Ähnliches erlebt. Ich war mit Männern of color zusammen, die absolut höflich und sogar lieb gegenüber rassistischer weißer Frauen blieben – deren Diskriminierung sich teilweise gegen mich richtete –, mich dann aber dafür fertig machten, wenn ich ebenjenen Rassismus ansprach.
Als Shaina schließlich beschließt, ihre eigene Verlobung mit Kyle Abrams aufzulösen, eröffnet sie Shayne, dass sie ihn will. Shayne lehnt sie sanft und scheinbar reuevoll ab und kommentiert, sie hätte „früher was sagen“ sollen, bevor er Natalie einen Antrag macht. Shaina versucht daraufhin, sich zwischen Natalie und Shayne zu drängen und behauptet, Natalie könne für Shayne nie eine „echte Ehefrau“ sein – was verdächtig so klingt, als wolle sie damit andeuten, Natalie sei durch ihre asiatische Identität in irgendeiner Form „ungeeignet“ für Shaynes extrem weiße „Bro“-Persönlichkeit.

Wenn wir uns weigern, solches herabwürdigende Verhalten zu akzeptieren, drohen uns schmerzhafte Einsamkeit und die gesellschaftliche Entwertung als unverheiratete Frauen ab einem gewissen Alter. […] Scham gehört für so viele von uns zur Dating-Erfahrung dazu.

Zu Deeptis und Natalies Geschichten gesellt sich das traurige Beispiel von Iyanna McNeely, einer Schwarzen Frau. Ihr Verlobter Jarrette Jones baut in den Kabinen eindeutig eine tiefe Verbindung zu ihr auf, nachdem sich die beiden über ihre jeweiligen Traumata unterhalten und humortechnisch auf derselben Wellenlänge zu sein scheinen. Jarrette ist allerdings zwischen Iyanna und der Latinx-Kandidatin Mallory Zapata hin- und hergerissen, mit der er (zumindest anhand der zusammengeschnittenen Szenen) eine viel oberflächlichere Beziehung knüpft. Dennoch macht er Mallory einen Antrag. Die sagt Nein, und Jarrette stellt daraufhin Iyanna dieselbe Frage – mit dem Ring, den er für Mallory ausgesucht hat. Während Iyanna überlegt, ob sie seinen Antrag annehmen soll – in dem Wissen, dass sie nur seine zweite Wahl ist –, sinkt sie auf die Knie und fängt an zu schluchzen.
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Dieses Bild von Iyanna hat sich seitdem in mein Hirn gebrannt, und ich finde, dass es die Behandlung der Frauen of color in Staffel 2 von Love Is Blind ziemlich gut repräsentiert. Sie stehen vor einem Dilemma: Sollten sie eine demütigende, normalisierte Behandlung wie diese akzeptieren, mit der viele Frauen of color leider inzwischen schon automatisch rechnen? Oder sollten sie die Serie verlassen und den Spott des Publikums auf sich ziehen? Solche unmöglichen Entscheidungen bestimmen das Liebesleben vieler Frauen of color. Wenn wir uns weigern, solches herabwürdigende Verhalten zu akzeptieren, drohen uns schmerzhafte Einsamkeit und die gesellschaftliche Entwertung als unverheiratete Frauen ab einem gewissen Alter. Und wenn wir bleiben, werden wir als „dumm“ oder „nicht selbstrespektvoll genug“ abgestempelt. Scham gehört für so viele von uns zur Dating-Erfahrung dazu.
Okay, um fair zu bleiben: In gewisser Hinsicht thematisiert Love Is Blind diese Dynamik durchaus, indem auch Szenen mit problematischem Verhalten seitens der Männer (oder, in Shainas Fall, der Frauen) sowie die Reaktionen darauf gezeigt werden. Es ist irgendwie tröstend zu sehen, wie Mit-Kandidat:innen wie Shayne und sogar Shakes Mutter ganz deutlich klarmachen, dass sie das Verhalten gegenüber Deepti, Iyanna und Natalie unfair finden. So etwas zaubert vielen Zuschauer:innen – inklusive mir – ein breites Lächeln ins Gesicht und bringt sie sogar dazu, laut loszujubeln, als sich Deepti und Natalie für sich selbst entscheiden. Und bis zu einem gewissen Punkt ist es sicher auch gut, die Realität solcher Situationen und Dynamiken zu präsentieren. Frauen of color bekommen manchmal nicht das Happy End, das uns zustünde – aber nicht wegen unserer eigenen Fehler, sondern wegen dessen, was uns die Gesellschaft zugesteht. Wir müssen also eigene, andere Pfade einschlagen. Aber geht es in Reality-Shows überhaupt wirklich um „Reality“? Solche Serien sollen uns dem Alltag entfliehen lassen und uns amüsieren, nicht deprimieren. Solche Serien sollen uns von der Liebe träumen lassen.
Und obwohl uns diese Staffel von Love Is Blind definitiv davon überzeugt, wie wichtig es ist, für dich selbst einzutreten, bietet sie uns nicht die romantische Unterhaltung, die wir uns wünschen. Stattdessen konfrontiert sie uns mit deprimierenden Realitäten und erinnert Zuschauerinnen of color wieder einmal daran, welches unfaire Verhalten uns selbst in unseren intimsten Beziehungen entgegenschlägt – und das auch von Männern, die unsere Identitäten teilen.
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