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Deswegen hasse ich es, mit anderen Leuten Serien zu schauen

Photo by Chelsea Victoria/EyeEm
„Oh Gott, hast du das gesehen? Scheiße, was machst sie denn da?“ Ich seufze und versuche, meinen Frust in Schach zu halten. Das sind jetzt die mindestens fünfte und sechste Frage, die meine Freundin mir ins Ohr schreit, während wir House of Cards schauen. Ich habe schon die ersten Störungen ignoriert, weil mir etwas an unserer Freundschaft liegt. Aber so langsam reißt mir der Geduldsfaden. Ich atme tief ein und versuche, so ruhig und wenig sarkastisch wie möglich zu sagen: „Weiß ich gerade auch nicht. Aber wenn wir weiterschauen, werden wir es sicher rausfinden.“
Sehr gut, sie scheint vorerst ruhiggestellt. Ich vergrabe mich tiefer ins Sofa und versuche, wieder in die machtbesessene Welt des Weißen Hauses einzutauchen. Die Spannung baut sich immer weiter auf und ich frage mich, wann die Intrige endlich ans Licht kommt – gibt es einen Showdown beim gesetzten Dinner mit den internationalen Staatschefs? Es ist soweit, die Szene beginnt. Eine lange Tafel, elegante Abendroben, vielsagende Seitenblicke, gleich platzt die Bombe. Da höre ich es auf einmal Rascheln. Und kurz darauf fröhlich laut neben mir knuspern. Die hat sich jetzt nicht ernsthaft eine Handvoll Choco Crossies geschnappt, oder?
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Bevor ich jetzt wie ein schlechter Mensch mit einer lächerlich tiefen Toleranzgrenze wirke oder ihr der Meinung seid, dass ich meine Mitmenschen auch einfach so sein lassen muss, wie sie sind, dann gebt mir die Chance, mich zu erklären. Ich liebe Snacks. Wenn ich abends auf der Couch fernsehe, gibt es nichts Schöneres, als dazu Süßigkeiten, Schokolade oder Chips zu essen. Und auch gerne mal ein Glas Wein zu trinken. Und ich bin sicher auch kein Monster. Ich möchte, dass auch meine geliebten Freunde in den gleichen Genuss kommen. Aber für mich ist der Genuss leider sehr schnell am Ende, wenn ich jemanden kauen höre. Schmatzen, Spucketröpfchen und unkontrolliertes Mahlen mit den Zähnen versauen mir einfach jeglichen Fernsehgenuss. Den intimen Moment, wenn Frank Underwood Claire in die Augen blickt und sie beide wissen, was hier gerade abgeht, lasse ich mir einfach nicht von lautem Gekaue versauen, verdammt nochmal! Nein, Spaß, so schlimm ist es auch wieder nicht. Aber irgendwie schon.

Den intimen Moment, wenn Frank Underwood Claire in die Augen blickt und sie beide wissen, was hier gerade abgeht, lasse ich mir einfach nicht von lautem Gekaue versauen, verdammt nochmal!

Dabei war ich nicht immer so. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, vor dem Fernseher zu sitzen und mit meiner Familie und meinen Freunden zu quatschen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Ich habe mich geändert. Und daran ist auch ein bisschen Netflix schuld.
Eine komplett neue Entertainment-Welt hat sich uns in den letzten Jahren eröffnet. So viel Auswahl an Serien und Filmen und so wenig Zeit, alles anzuschauen. Kein Wunder, dass sich unsere Sehgewohnheiten da geändert haben. Der Aufstieg der Streamingdienste bedeutete gleichzeitig den Niedergang der gemeinsam verbrachten Zeit vor dem Fernseher. Heutzutage schauen viele von uns lieber alleine Serien, und zwar gar nicht unbedingt auf dem großen Bildschirm: Die Mobilansicht ist unser ständiger Begleiter geworden. Wer pendelt, weiß, wie viele Menschen auf dem täglichen Arbeitsweg Serien auf dem Handy schauen. Und nicht nur im Zug, auch im Café und Wartezimmer sieht man Menschen gebannt auf ihre winzigen Screens schauen.
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Laut einer britischen Studie sehen 45% der Menschen jeden Tag alleine fern, bei neun von zehn passiert das immerhin einmal die Woche. Außerdem fanden die Forscher*innen heraus, dass mindestens die Hälfte von uns im Schlafzimmer fernsieht. Kurz gesagt, wo sich früher die ganze Familie vor den Empfangsgeräten zusammenfand, wird heute alleine im Bett geschaut – Fernzusehen wird so zu einer der intimsten und gleichzeitig isolierendsten Aktivitäten unseres Alltagslebens. Alleine im Bett liegen, den Pyjama schon angezogen, ein strategisch klug positioniertes Kissen im Rücken, halb unter der Decke, mit Chipskrümmeln auf dem Oberteil und keinem Licht an außer dem blau scheinenden Laptopbildschirm in einem ansonsten pechschwarzen Schlafzimmer – hört sich für mich ziemlich perfekt an. Keiner, der was von mir will und niemand da, dem ich antworten muss.

Fernzusehen ist zu einer der intimsten und gleichzeitig isolierendsten Aktivitäten unseres Alltagslebens geworden.

Versteht mich nicht falsch. Es gibt durchaus auch Sendungen, die man mit anderen zusammen sehen sollte. Kochshows mit mehreren Teilnehmern zum Beispiel: Können wir kurz drüber sprechen, wie lächerlich die letzte Challenge war? Oder Castingshows: War das Outfit des Kandidaten wirklich so eine gute Idee? Dagegen steht aber eindeutig ein Genre, das in den letzten Jahren immer und immer besser geworden ist: Die Drama-Serie. Über diese sollte man maximal NACH dem Sehen sprechen, aber sicher nicht währenddessen.
Vielleicht bin ich eine Spielverderberin, aber ich will selber herausfinden, wer der Mörder ist. Wenn jemand neben mir sitzt und sagt: „Sie hat ihm gerade etwas in Geheimsprache gesagt. Wahrscheinlich war das sein Todesurteil, weil sie in Wirklichkeit ein Maulwurf ist“, macht mir das alles kaputt. Ich will bis zum Ende, bis zur Auflösung warten und mir, bis es soweit ist, meine eigenen Theorien spinnen, vielen Dank. Und genau deswegen schaue ich so gerne alleine fern. Ich liebe meine Freunde und ich will Zeit mit ihnen verbringen. Aber wenn es um eine spannende Serie geht, will ich wirklich einfach nur mal kurz alleine sein. Und Choco Crossies essen, wenn ich Lust drauf habe – ohne störende Nebengeräusche.

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