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Warum kommen Frauen in Zukunftsdystopien immer so schlecht weg?

Foto: Courtesy of Netflix.
Warnung: Dieser Artikel enthält Spoiler für die Serie Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm.
In einem der gewalttätigsten Momente in Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm – und sei gewarnt, davon gibt es viele – wird Takeshi Kovacs (Joel Kinnaman) in eine Virtual-Reality-Kammer voll Horror gefangen und zu Tode gefoltert. Wieder. Und wieder. Und wieder.
Wenn du dich jetzt fragst: „Moment – wie kann eine Person mehr als einmal zu Tode gefoltert werden?“, empfehle ich jetzt mit dem Lesen aufzuhören, denn es folgen Spoiler.
Die Serie, die auf Richard K. Morgans Cyberpunk-Noir-Roman aus dem Jahr 2002 basiert, spielt in einer dystopischen Zukunft, in der das menschliche Bewusstsein digital in einem „Stack“ bewahrt und daraufhin in verschiedene Körper inseriert werden kann. Wer sich den hohen Preis leisten kann, muss demnach nie sterben. Auf der anderen Seite kann das komplette Wesen digital in eine virtuelle Realität heruntergeladen werden, wo man Dinge durchlebt, die der menschliche Körper nie überleben würde – wie, etwa in Kovacs Fall, Folter durch eine Lötlampe.
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Die Szene ist schwer anzusehen (ich verdiene mein Geld damit, Game of Thrones zusammenzufassen und musste trotzdem mehrmals wegschauen), aber es hätte viel, viel schlimmer sein können. In der Buchversion dieses Ereignisses wird Kovac virtuell in einen neuen Körper gesteckt, und zwar in den einer Frau – gibt es einen besseren Träger für Schmerzen? Nachdem er als Frau gefoltert wird, kommt Kovacs als Mann zurück, um sich an denen zu rächen, die ihm Unrecht angetan haben. Ich muss dir nicht erklären, wie problematisch dieser Twist im Fernsehformat gewesen wäre und wir haben es einer Frau (welch Überraschung!) namens Laeta Kalogridis zu verdanken, dass sie herausgelassen wurde.
„Ich verstehe die Absicht dahinter“, sagte Kalogridis, die Showrunnerin von Altered Carbon, in einem Telefoninterview mit Refinery29. „Dadurch, dass man [im Buch] immer weiß, was in Kovacs Kopf vorgeht, erlebt man diesen Cut nicht so und denkt sich nicht: ‚Oh, ich bin jetzt eine Frau’. Aber wenn man die Szene aus dieser literarischen Umgebung nimmt, in der man alles durch die Augen des Erzählers betrachtet, bleibt nur noch ein Folter-Porno mit einer Schauspielerin“. Wenn es jemals ein Argument dafür gab, wie wichtig es ist, eine Frau hinter der Kamera zu haben, dann ist es das hier.
Kalogridis hat ihre Karriere als Autorin, Produzentin und Regisseurin in den Männerdominierten Genres einer Männerdominierten Filmindustrie aufgebaut. Sie hat bei Projekten wie Avatar (als Executive Producerin), Shutter Island (Autorin und Executive Producerin) und Terminator: Genisys (Autorin und Executive Producerin) mitgearbeitet und James Camerons bevorstehenden Sci-Fi Epos Alita: Battle Angel geschrieben.
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Trotzdem war der Weg zu ihrem eigenen Netflix Projekt nicht leicht. „Ich habe nonstop an Filmen und Serien mit weiblichen Hauptrollen gearbeitet und es nicht geschafft, irgendetwas davon umsetzen zu lassen“, sagte sie. „Der Grund, warum ich bei Bionic Woman gefeuert wurde - und das ist noch immer mein Lieblingszitat aller Zeiten - war, dass sie ,wirklich nicht das Gefühl haben, dass ich weibliche Charaktere schreiben kann’. Sie haben mich mit einem Mann ersetzt.“
Durch diese Art von seltsamem Sexismus, den sie erlebt hat, hat sie sich zu der Altered Carbon Story hingezogen gefühlt. „[Das] Buch enthält eine vernichtende Verurteilung dessen, wie Frauen in dystopischen Zukunftsvisionen behandelt werden. Es adressierte das erschreckende Konzept, dass wir mit dieser unglaublichen Technologie voranschreiten würden und dass es die schlimmsten Dinge unserer Gesellschaft festigen würde, unter anderem wie Frauen und entrechtete Menschen behandelt werden, und es quasi unmöglich machen würde, dies zu ändern. Für mich war es ein Handmaid’s Tale Moment.“
Trotzdem behandelt Altered Carbon seine Frauen nicht immer gut. Wie in den meisten Sci-Fi Welten - Blade Runner kommt direkt in den Sinn - sind sexuelle und körperliche Gewalt im Überfluss und einige Parts stellen weibliche Nacktheit á la Game of Thrones zur Schau. In einer Show, in der alle Körper eine Ware sind, werden weibliche Körper disponibler als andere. Und doch, nachdem man alle 10 Folgen gesehen hat, sind die weiblichen Charaktere diejenigen, die als am stärksten, vielfältigsten und komplexesten hervorstechen. Drei der vier weiblichen Hauptcharaktere sind Women of Color, ein seltenes Ereignis in sowohl Sci-Fi als auch Fernsehen im Allgemeinen. Aber wie bringe ich das mit all den Brüsten in Einklang? Ich habe Kalogridis gefragt, welche Herausforderungen es mit sich bringt, eine Welt zu zeigen, die so feindselig mit Frauen umgeht, sich in einem Männerdominierten Raum zu beweisen und ob sie sich selbst als „weibliche Filmemacherin“ bezeichnet.
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Refinery29: Ich muss dich fragen: Warum sind alle dystopischen Zukunftsvisionen so schlimm zu Frauen?
Laeta Kalogridis: Kann ich dich etwas anderes fragen? Warum ist die Welt so schlimm zu Frauen?
Ha, gutes Argument.
Dystopische Werke sind ein Versuch, einen Weckruf auf eine Art zusammenzufassen, bei der die Menschen nicht das Gefühl haben, eine Dokumentation zu gucken, aber sie hoffentlich im Hinterkopf etwas ihre Meinung darüber formen lässt, wo einige ungebremste Dinge hinführen könnten. In unserem Fall gibt es sehr viel davon. Gesellschaftliche Einkommensungleichheit und Ressourcen. Denn, wie du sehen wirst, wird die schlimmste Gewalt in der Show, die absolut schlimmste Gewalt in der Show, einem Mann angetan. Es gibt nichts, was dem auch nur Nahe kommt, was wir Joel antun. Ich würde sagen, unsere Show trifft jeden schwer, der kein weißer Mann ist, aber ich würde auch sagen, dass unsere heutige Zeit jeden schwer trifft, der nicht Teil der 1/100, also der oberen 1% der Gesellschaft, ist. Diejenigen, die keine Steuervergünstigungen für ihre Yachten bekommen.
Foto: Courtesy of Netflix.
Es gibt sehr viel weibliche Nacktheit in dieser Show. Wie vereinst du als Showrunnerin das Bedürfnis, Nacktheit zu zeigen, um ein Argument zu machen, mit dem Risiko, dass es als Bekräftigung schädlicher Traditionen empfunden werden könnte?
Naja, es gibt auch sehr viel männliche Nacktheit. Deshalb sind wir in dieser recht interessanten Position, gleich viel Nacktheit zu haben. Man sieht einige unserer männlichen Hauptrollen nackt, und man sieht einige der weiblichen Hauptrollen nackt, genauso wie einige der Nebenrollen. Wir sind nicht davor zurückgewichen, beides zu zeigen. Für mich ist aber der wirklich wichtige Part das zentrale Konzept der Show, wie erschreckend es ist, den Körper als Ware zu betrachten. Nicht mehr oder weniger als ein Auto, das man fährt. Er ist getrennt von dir und gehört nicht mehr zu deiner Identität. Und das ist für mich etwas sehr beängstigendes, weil es uns in der Show dazu bringt, den Körper mit genauso viel unbedachtem Konsumismus zu betrachten, mit dem wir den Rest unseres Planeten betrachten. Wir behandeln alle wie Einwegbecher.
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Spielt Nacktheit denn dann überhaupt eine Rolle, wenn ein Körper so auswechselbar ist wie ein T-Shirt?
Ich denke schon, aber sie wird auf eine andere Art erlebt… Wie in anderen Shows, die ich liebe: In Game of Thrones ist Cerseis Nacktheit für ihren Walk of Shame eine Enthüllung ihres verwundbarsten Ichs. [Es] ist schrecklich, was ihr passiert, und man spürt ihre Scham, selbst wenn man ihren Charakter hasst. Es ist ihre Identität, ihr Körper, und dort kamen ihre Kinder her. Oder bei Maeve in Westworld, als sie herein kommt und den Tank voll mit den Körpern ihrer Freunde sieht, die abgespritzt werden als wären sie nichts: Das Erlebnis ihres Körpers wird fast, als wäre er erschreckend getrennt von ihr, weil ihr klar wird, dass sie keine Person ist - zumindest in den Augen der Menschen um sie herum. Man bekommt einen Eindruck davon, wie buchstäblich nackt ihr Kopf in dem Moment ist.
In unserer Show agiert jede Szene, in der Nacktheit gezeigt wird, aus einem bestimmten Grund. Wie Brancroft, als er das erste Mal nackt gezeigt wird: Es geht ihm absolut darum, was für ein perfektionierter Mann er ist - und [James] Purefoy ist ziemlich nah dran - und er schämt sich nicht. Er ist der Meister des Universums. Es ist ein Machtstatement. Und wenn Miriam ihr Kleid auszieht, ist es quasi genauso, als wäre sie in einem Maserati angefahren und hätte gesagt: ‘Das bin ich. Ich bin die Person, die das besitzen kann und es ist verdammt perfekt.’
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Lass uns über die Szene in der 8. Folge sprechen, in der Kristin Ortega (Martha Higareda) Dutzende von Raileens (Dichel Lachman) nackten Körpern bekämpft...
Für mich ist der ganze Sinn hinter der Szene – abgesehen davon zu zeigen, dass man Meths einfach nicht töten kann – dass sie etwas sehr spezifisches verkörpert, dass normalerweise nicht mit weiblicher Nacktheit assoziiert wird. Reileen qualifiziert sich erneut für eine meiner liebsten Margaret Atwood Zitate: ‘Vor allem aber sich zu weigern, ein Opfer zu sein’.
Reileen sind einige schlimme Dinge passiert und sie hat sich zu einer Kriegsgöttin entwickelt, eine echte, mystische Kriegsgöttin. Durch die Art, in der sie ihren Körper zu ihrem Eigentum macht, hat sie keine Zeit dafür, von irgendjemandem begafft zu werden. Ihr Charakter dreht sich absolut um Wut und Zorn darüber, was ihr passiert ist, und dadurch, wie sie damit umgeht, denke ich tatsächlich, dass dies eine der schwierigeren oder interessanteren Szenen für die Zuschauer ist. Um es so kurz wie möglich zu fassen, sie ist nicht für dich da. Sie ist nicht anzüglicher Blicke wegen da, sie ist für sich da.
Foto: Courtesy of Netflix.
Ich bin etwas hin und her gerissen, weil Sci-Fi noch immer ein sehr Männer dominierter Raum ist und ich hervorheben möchte, dass die Show eine weibliche Macherin hat, aber mir auch Sorgen mache, dass das reduzierend rüberkommen könnte. Als Frau in der Film- und Fernsehbranche, nennst du dich selbst Filmemacherin („female filmmaker“) oder findest du, dass das ein Begriff ist, den wir meiden sollten?
Ich lehne nur eine Sache ab und zwar die Vorstellung, dass Menschen darauf reduziert werden können, entweder männliche oder weibliche Filmemacher*innen zu sein. Wir sind verschiedene Kreuzungen vieler Perspektiven unserer Erfahrung. Das ist etwas, das wir schätzen sollen. Unter anderem bin ich also die Enkelin von Immigranten. Ich bin griechisch-amerikanisch. Ich bin aus Florida und Texas und North Carolina und Deutschland und jetzt Los Angeles und eine Zeit lang Südfrankreich. Ich bin bisexuell. Ich habe Kinder. Ich habe viele Hunde.
Wenn man anfängt, über die verschiedenen Einflüsse zu sprechen, die auf das Bedürfnis, eines Künstlers einwirken, etwas zu kreieren, dann finde ich ist nichts falsch daran zu sagen: ‘Steven Spielberg ist jüdisch, das ist Teil seiner Identität als Filmemacher.’ Das reduziert ihn nicht, genauso wenig macht es ihn größer, es ist einfach ein Teil davon, wer er ist. Ich würde sagen, dass die amerikanische Immigrationserfahrung zu einem großen Teil meine Identität ausmacht. Eine Frau zu sein ist ein großer Bestandteil meiner Identität. Nicht in die heteronormative Lebenserfahrung zu passen ist ebenfalls ein großer Teil dessen. Die Liste ist zu lang, um sie fortzuführen. Ich glaube fest an das Prinzip ‘If she can see it, she can be it’, deshalb ist es wichtig, dass die Leute wissen, dass ich eine Frau bin, weil wir momentan in einer Zeit leben, in der diese Art von Werken eher von Männern durchgeführt werden. Ich fühle mich persönlich zu dieser Art Werk hingezogen, deshalb werde ich es auch machen.
Intersektionalität ist unter anderem vor allem deshalb wichtig, weil eine größere Menge an unterschiedlichen Erfahrungen in einem Raum die Chancen erhöht, etwas zu schaffen, bei dem die Creator wegen ihrer Affinität zum Material ausgewählt werden, nicht aufgrund ihres Geschlechts.

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