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Gina-Lisa Lohfink exklusiv: „Ich kämpfe für alle Frauen, dafür gehe ich auch ins Gefängnis”

Gina-Lisa Lohfink und Edith Lu00f6hle beim Gespru00e4ch nach der Verurteilung
„Gina-Lisa scheinheilig gesprochen", titelt der Berliner Kurier. „Alles gelogen", schreit mich die Hamburger Mopo mit ihren großen Lettern heute morgen am Zeitungsstand an. Das Urteil im Fall Gina-Lisa Lohfink ist gesprochen, gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten – schon seit langem von vielen Deutschen. 20.000 Euro soll sie nun bezahlen, weil sie laut der Richterin zwei Männer zu Unrecht der Vergewaltigung beschuldigte. Als ich die vielen Schlagzeilen rund um Gina-Lisa heute Morgen auf mich wirken lasse, kann ich noch nicht ahnen, dass ich Stunden später am Tisch mit der Frau sitzen werde, die immer und immer wieder beteuert, dass sie keine Lügnerin sei. Mit der Frau, deren Fall mich schon so lange beschäftigt, der mich aufregt und aufwühlt. Für diese Geschichte muss ich ein wenig ausholen: 2012 war ich Redakteurin eines bekannten People-Magazins in Deutschland, mein Telefon klingelte und ein Mann mit gebrochenem Deutsch pries ein Video zum Verkauf an. Hauptdarstellerin Gina-Lisa, gefilmt beim Sex. Das Gespräch war meinerseits sehr schnell beendet, ebenso war es bei den Boulevardkollegen, die damals den gleichen Anruf erhielten und nicht auf das dubiose Angebot eingingen. Vier Jahre später dreht es sich um eben jenes Video, das deutschlandweit Schlagzeilen macht. Das Feministinnen Futter liefert und Politiker auf den Plan ruft.
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Als Verurteilte in der Presse zu stehen, ist peinlich für mich. Ich bin keine Lügnerin!

Gina-Lisa Lohfink
Der erste Artikel, den ich über diesen Fall geschrieben habe, schlug ordentlich Wellen. Gina-Lisa teilte den Artikel auf ihrer offiziellen Facebookseite und bedankte sich namentlich bei mir, obwohl sie mich nicht kannte. Ich bin kein Fan von Gina-Lisa, ich bin ein Fan von Menschenrechten. Dass ein Zeugnis von 28 Sekunden im Internet nicht reicht, um ein „Hör auf" zu verstehen, ging mir einfach nicht in den Kopf. Immer mehr Medien wurden aufmerksam, das ganze Thema im Zusammenhang mit der Gesetzesänderung zu "Nein heißt Nein" nahm Fahrt auf, die ehemalige „Germany's Next Topmodel"-Teilnehmerin wurde zur Galionsfigur für Frauenrechte. Nicht nur Feministinnen zeigten Solidarität – standen mit #TeamGinaLisa-Plakaten an jedem der vier Prozesstage zur Stelle – Bundesminister Heiko Maas und Familienministerin Manuela Schwesig von der SPD forderten die verschärfte Anpassung des Sexualstrafrechts. Mit Erfolg. Jetzt, nach der Urteilssprechung haben die Menschen plötzlich ein anderes Bild. Viele Publikationen haben die Richtung gewechselt, die einstige Stimme der modernen Frauenbewegung taugt für sie nun nicht mehr. Es ist eben ein heikles Thema, denn die Sachverständigen haben den Fall sorgfältig geprüft und entschieden. Ein Gutachter entkräftete die Vermutung von Gina-Lisa, ihr seien k.O.-Tropfen in den Drink gemischt worden. SMS-Verkerhr von Gina-Lisa und dem Mann, den sie als ihren Peiniger anzeigt, machten die Sache auch nicht besser für sie. Aber was ist mit dem herabwürdigen Auftritt des mutmaßlichen Vergewaltigers vor Gericht? Oder mit den drei weiteren Zeuginnen, die diesen mit dem selben Vorwurf belasten? Oder warum wurden die Befangenheitsanträge von Gina-Lisa abgelehnt, nachdem die Richterin ihr von Anfang an zu verstehen gegeben hat, dass sie nicht an ihre Unschuld glaubt?
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Am Anfang habe ich mich für diese Videos geschämt, mittlerweile sage ich: Schaut sie euch alle an und bildet euch euer eigenes Urteil

Gina-Lisa Lohfink
Man begibt sich auf moralisches und rechtliches Grundeis, in diesem Fall zu urteilen. Spricht Gina-Lisa die Wahrheit, dann ist es einfach unfassbar, dass in Deutschland so ein Justizskandal seinen Lauf nehmen kann. Lügt sie, dann müssen einem die Männer leid tun, die sich in diese Abwärts-Sexspirale filmten. Und wenn auch so viele schreiben, dass es in diesem Fall nur Verlierer gibt, dann muss ich sagen, dass die Solidarität für mich der größte Gewinn ist. Zum ersten Mal seit den 70ern sind Frauen wieder mit Plakaten hierzulande auf die Straße gegangen und haben wegen eines Vergewaltigungsfalles Flagge gezeigt. Es wurden wichtige Themen angesprochen und sich mit Täter- und Opferrollen auseinandergesetzt, das Sexualstrafrecht wurde verändert – auch wenn das nicht nur auf dem Fall Gina-Lisa Lohfink fußt, sondern durch die Vorfälle der Silvesternacht in Köln einen anderen Rang auf der Prioritätenliste bekam.
FOTO: Getty Images
Als ich Gina-Lisa also einen Tag nach ihrer Verurteilung, nachdem ihr die Richterin die Strafe von 80 Tagessätzen zu je 250 Euro auferlegt hat, mit ihrem Anwalt Burkhard Bennecken direkt neben dem Büro von Refinery29 in Berlin Mitte im Restaurant sitzen sehe, muss ich einfach hin. „Setz dich doch dazu", sagt sie herzlich und zieht einen Stuhl ran. Bietet mir sogar ein Stück ihres Flammkuchens an. Die beiden erklären mir, dass Anwalt Benecken morgen die Berufung fürs Landgericht fertig machen wird. Das Fax soll so schnell wie möglich rausgehen, denn Gina-Lisa will nicht aufgeben. Erst mal soll aber etwas Ruhe einkehren, aus dem Grund schlägt Lohfinks Manager auch am Telefon mein spontanes Interviewgesuch aus. Immerhin wollen gerade alle Medien an sie ran, „da habe er schon ganz anderen abgesagt", ist seine kurze Begründung. Nach ein paar Minuten mit hitzigen Diskussionen über die Urteilssprechung und den Verlauf des Verfahrens lenkt sie dann ein und stimmt dem Interview zu:

Gina-Lisa, welches Zeichen möchtest du nach deiner Verurteilung an junge Mädchen geben?
Nicht aufzugeben, immer weiter zu kämpfen und sich nichts gefallen zu lassen! Es gibt viele Arten, wie einer Frau weh getan werden kann und wenn etwas nicht möchte, dann sollte das akzeptiert werden. Das kann nicht sein, dass Frauen sich nicht mehr trauen, zur Polizei zu gehen und etwas anzuzeigen aus Angst, selbst zur Angeklagten zu werden. Was geht nun nach dem Urteil in dir vor?
Ich bin erschüttert und erschreckt: Ich hätte nie gedacht, dass das so ausgeht. Es steht Aussage gegen Aussage, aber mich so zu verurteilen, das ist für mich ganz schlimm. Dass der Gutachter gesagt hat, dass keine K.o.-Tropfen im Spiel sind: War er dabei? Nein! Ich kenne meinen Körper und ich weiß es. Ich sage nicht, dass es der eine war, oder der andere, vielleicht hat es auch eine Frau ins Glas getan? Ich habe keine Namen gesagt, ich weiß nur wie ich mich gefühlt habe. Ich bereue, dass ich nicht ins Krankenhaus gegangen bin, denn vor Gericht brauchen sie für alles Gutachten, Formulare – etwas in Schwarz auf Weiß. Nur dann glauben sie es. Ich weiß nicht, warum ich mir das ausdenken soll? Das ist kein Spaß, sondern ein ernstes und heikles Thema. Da sollte man mich auch ernst nehmen. Und wenn ich sage, ich möchte keinen Sex haben, dann muss das akzeptiert werden. Welches Gefühl hast du heute in Bezug auf die Videos?
Am Anfang habe ich mich für diese Videos geschämt, mittlerweile sage ich: Schaut sie euch alle an und bildet euch euer eigenes Urteil. Bildet euch eure Meinung, da erkennt man, dass ich nicht lüge. Das sieht jeder. Nur weil ich optisch so aussehe, wie ich aussehe, glauben mir viele nicht. Weil ich gemachte Brüste habe, Extensions und Gel-Nägel hat das nicht zu heißen, dass man mich anders behandeln darf als andere. Einem natürlichen Mädchen vom Dorf wäre garantiert mehr geglaubt worden als mir. Aber bei mir denkt man: 'Schlampe, Nutte, Hure'. Ich musste mir auch anhören, dass ich eine Pornodarstellerin sei. Das ist eine Frechheit, ich bin weder Pornodarstellerin noch Prostituierte.

Wäre der Prozess deiner Meinung nach anders verlaufen, wenn es sich bei Staatsanwaltschaft und Richter um Männer gehandelt hätte?
Ich habe eigentlich gedacht, dass es von Vorteil ist, dass Frauen den Fall beurteilen, weil wir Frauen meiner Meinung nach zusammenhalten müssen. Jede Frau ist wunderschön und hat etwas ganz Besonderes, da brauchen wir ja nicht gegeneinander zu gehen. Das hat mich geschockt, dass die Richterin und die Staatsanwältin mir nicht in die Augen gucken konnten.
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Du hast schon gesagt, dass du die Geldstrafe von 20.000 Euro nicht bezahlen wirst und in Berufung gehst...
Ich kämpfe auf jeden Fall weiter, ich muss mich jetzt erst mal ausruhen und dann gehe ich in Berufung. Und im schlimmsten Fall werde ich in den Knast gehen und das aussitzen. Ich werde das Geld an Frauen geben, die selbst Opfer von sexueller Gewalt wurden und lieber hinter Gittern sein. Es geht bei mir um die Ehre, den Stolz und meinen Charakter – ich mach das für alle Frauen da draußen. Apropos Frauen da draußen: Wie erlebst du die Solidarität?
Ich bin froh, dass so viele Leute auf meiner Seite sind. Dass Alice Schwarzer sich hinter mich stellt und mir den Rücken stärkt, ist unglaublich. Ich habe sie noch nicht getroffen und trotzdem verteidigt sie mich, als wäre sie Mutter und ich ihr Kind. Das ist mir eine ganz große Ehre. Sie kämpft für die Frauen und ist wie eine Ikone, ein Vorbild. Dass sie für mich spricht und hinter mir steht, ist so toll. Oder die Unterstützung vor Gericht von den vielen Frauen, die an mich glauben. Das bedeutet mir so viel. Auch wenn es noch ein langer Weg wird, ich weiß, irgendwann wird alles gut.

Ich bin ein Mensch mit Herz und Charakter, ich will für jeden das Beste. Ich habe kein Motiv, mir so eine Geschichte auszudenken

Gina-Lisa Lohfink
Während wir sprechen kommt die Besitzerin des Restaurants und spricht Gina-Lisa an: „Ich stehe hinter dir!", sagt sie und wirft ihr einen Luftkuss zu.

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