Bevor uns TikTok vom „clean girl“-Look überzeugte und wir versuchten, das perfekte „No-makeup“-Make-up hinzubekommen, galt in Sachen Make-up lange eher „Mehr ist mehr“. Durch den Aufstieg der Kardashian-Jenners und Influencer:innen wie Huda Kattan (a.k.a. Huda Beauty) gehörten zu einem typischen Make-up-Look meistens eine ordentliche Portion Foundation, Contouring, betonte Augenbrauen und dramatischer Lidschatten. Dazu noch ein Statement-Lippenstift, ein paar dramatische künstliche Wimpern – ta-dah, „schon“ fertig.
Um maximalistisches Make-up führte auf Instagram jahrelang kein Weg drumrum. (Vielleicht hast du selbst auch noch ein paar Selfies mit vollem Make-up in deinem Account rumzuliegen.) Obwohl sich die Trends seitdem geändert haben und nur wenige Beauty-Fans noch heute jeden Tag auf „full glam“ setzen, sind die glamourösen Looks dennoch nicht ganz verschwunden. Heute sind sie aber eher etwas für besondere Anlässe – und haben daher auch einen neuen Namen verpasst bekommen: „birthday makeup“. Und das wird langsam zu einem der meistgehassten Beauty-Looks im ganzen Internet.
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Der Begriff „birthday makeup“ wird jetzt genutzt, um Frauen dafür zu beschämen, die gerne dramatisches Make-up tragen. Urban Dictionary definiert das Ganze folgendermaßen: „Wenn eine Frau zu viel schlecht aufgetragenes Make-up trägt, typischerweise an ihrem Geburtstag.“
Heterosexuelle cis Männer verurteilen das Aussehen von Frauen schon seit Jahrhunderten (Frauen mit kurzen Haaren dürften das wissen). Ihre Abneigung für „birthday makeup“ ist dahingehend aber merkwürdig spezifisch. Dieser Hass hat definitiv einen Unterton von Misogynie und Sexismus, findet die Make-up Artist Tilly Doody-Henshaw. „‚Birthday makeup‘ ist bloß Make-up, das du an deinem Geburtstag tragen würdest und das ein bisschen mehr Zeit und Mühe erfordert“, erklärt sie. Und warum auch nicht? Immerhin ist der Geburtstag einer der seltenen Tage im Jahr, an dem sich alles um dich dreht, meint Tilly. „Vielleicht kommen dabei extraviel Glitzer, ein edler Lippenstift und mehr Contouring zum Einsatz. Alles Dinge, die du vielleicht nicht jeden Tag tragen würdest.“ Leider, so Tilly, können die meisten Sachen, die Frauen für sich selbst tun – wie glamouröses „birthday makeup“ –, auf Männer bedrohlich wirken.
@noahhfosterr ya look like you hydro dipped your face. We love all natural over here🤝😌#birthday #makeup #joke #funny #girls ♬ original sound - Lano
Wenn du dich in den sozialen Medien mal umhörst, wirst du dort über zahllose „hot takes“ (meistens von Männern) stolpern, die „birthday makeup“ als total abtörnend abstempeln. Auf Twitter wird der Look unter anderem als „hässlich“ und „gruselig“ verurteilt. Und auch auf TikTok sammeln einige Videos Tausende von Views. Der Hashtag #birthdaymakeup hat derzeit über 143 Millionen Views. „Wenn sie Geburtstag hat und du dich in der Öffentlichkeit mit ihr und ihrem ‚birthday makeup‘-Gesicht zeigen musst“, betitelt ein TikToker sein Video mit 1,5 Millionen Views. „Ich habe kein Problem mit Make-up“, behauptet ein Gast in einem viralen TikTok von The Disruption Podcast, und kritisiert das „birthday makeup“ trotzdem während des ganzen Videos.
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Ich wollte einige der Männer, die diesen Look öffentlich in den sozialen Medien runtergemacht haben, fragen, wieso. Obwohl sich die meisten von ihnen nicht dazu äußern wollten oder mich einfach ignorierten, ließen sich doch einige auf ein Gespräch mit mir ein – unter der Bedingung, anonym bleiben zu dürfen. Das kannst du deuten, wie du möchtest. Ich selbst glaube, es ist ihnen peinlich, von mir derart herausgefordert zu werden. „‚Birthday makeup‘ ist zu besonderen Anlässen okay“, meinte einer. „Die meisten Typen bevorzugen an der Frau, die sie daten, aber eher einen natürlichen Look.“ Dann fügte er noch ganz dreist hinzu: „Am Ende des Tages kommt die Schminke ab, und dann gefällt uns eben gerne, was wir da zu sehen bekommen.“
Hier möchte ich etwas klarstellen: Frauen sind Männern überhaupt nichts schuldig. Und gerade, als ich dachte, es könnte nicht schlimmer werden, sagte mir ein anderer: „Ich glaube, Männer mögen einfach generell kein starkes Make-up. Warum hast du den Drang, dich so heftig zu schminken? Sind das gesellschaftliche Standards oder fühlst du dich in deiner Haut einfach nicht wohl?“
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Eine Studie untersuchte die Wirkung einer Frau mit stark geschminktem Gesicht. Sie wurde von den Befragten als weniger kompetent, weniger herzlich und weniger moralisch empfunden. Dieses Ergebnis trieft nur so vor Frauenhass.
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@georgia.barratt Reply to @_material_gworrl_ one of my fave glams #makeup #beauty #xyzbca ♬ original sound - georgia barratt
Die Hautpflege-Expertin und kosmetische Chirurgin Dr. Lubna Khan-Salim glaubt, die Kritik am „birthday makeup“ sei ein Hinweis darauf, dass Männer der Meinung seien, die Körper oder Schönheit von Frauen kommentieren zu dürfen. Diese sexistischen Standards begleiten uns schon seit Jahrtausenden; im alten Griechenland wurde Frauen beispielsweise davon abgeraten, Lippenstift zu tragen. Nur Sexarbeiterinnen durften ihn öffentlich tragen.
In ihrem Buch Lipstick: A Celebration of the World's Favourite Cosmetic schreibt Jessica Pallingston, dass Frauen im mittelalterlichen England, die Make-up trugen, als „Inkarnation des Teufels“ betrachtet wurden. Berichten zufolge habe das Parlament daraufhin sogar Gesetze entworfen, die die Verwendung von Make-up bestraften, um „einen Engländer in die Ehe zu locken“. Später, im viktorianischen Zeitalter, galt „offensichtliches“ Make-up als Tabu. Frauen kauften ihre Schminke heimlich und versteckten sie zu Hause.
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Ein weiterer Mann, dem ich meine Fragen stellen durfte, behauptete, „birthday makeup“ könne die Gesichtszüge einer Frau „verzerren“. Er sagte mir: „Wir wollen nicht das Gefühl haben, als seien wir so getäuscht worden, wie du alle anderen betrügst, wenn du in der Öffentlichkeit so viel Make-up trägst. Natürliche Looks sind einfach so viel angenehmer.“
Traurigerweise (wenn auch wenig überraschenderweise) ergab eine US-Studie, dass 63 Prozent der befragten Männer glaubten, Frauen würden Make-up vorrangig tragen, um anderen Menschen vorzugaukeln, sie seien attraktiv. In einem R29-Artikel von Parisa Hashempour erwähnte die Professorin Dr. Brooke Erin Duffy von der Cornell University ein frustrierendes Dilemma: Von Frauen werde „erwartet, mühelos und natürlich schön zu seien – eine Schönheit, für die du aber Dinge wie Make-up und Filter bräuchtest“, meint Dr. Duffy und fährt fort: „Wenn du es aber übertreibst, wirst du als fake, als Betrügerin oder Narzisstin wahrgenommen.“ Das sorgt dafür, dass sich Frauen jederzeit prüfenden Blicken unterzogen fühlen – und immer Angst haben, zu „scheitern“.
Wir können hier also gar nicht gewinnen. Das bestätigt auch die Beziehungspsychologin und Global Director bei der Dating-Agentur Berkeley International, Mairead Molloy. Sind Social Media die treibende Kraft hinter diesem Hass auf starkes Make-up? „Wenn eine Frau Make-up trägt, bekommt sie vielleicht zu hören, sie sei ohne Schminke bestimmt ‚hässlich‘“, meint Mairead. „Insbesondere in den sozialen Medien habe ich schon gesehen, dass Männer Kommentare schreiben wie: ‚Einmal übers Gesicht wischen und alles ist vorbei.‘ Wenn eine Frau aber kein Make-up trägt und sich mit ihrem ‚nackten‘ Gesicht wohl fühlt, bekommt sie oft zu hören, sie sollte welches tragen, um ‚hübscher‘ auszusehen.“
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Frauen, die sich nicht oft schminken, haben ebenfalls oft das Gefühl, dafür verurteilt zu werden, „zu wenig“ Make-up zu tragen. Linda Egwuegkwe, Model und Moderatorin, erzählt mir, ihr sei von ihrem engsten Umfeld empfohlen worden, sie sollte an ihrem Hochzeitstag mehr Make-up tragen als sonst – was sie ungern täte.
Bei meinen Gesprächen mit Männern, die ihren Hass für „birthday makeup“ öffentlich verkündet hatten, zeigte sich schnell ein gemeinsamer Nenner: Sie alle bevorzugten angeblich den „natürlichen“ Look. Aber was bedeutet „natürlich“ denn überhaupt laut männlicher Meinung? Ich habe meine männlichen Freunde und Instagram-Follower gebeten, mir Fotos von prominenten Frauen zu schicken, die ihres Erachtens nach „natürlich geschminkt“ seien.
Daraufhin bekam ich Fotos von Selena Gomez, Margot Robbie, Addison Rae und den Kardashian-Jenners zugeschickt, die allesamt „soft glam“-Looks trugen (das heißt, immer noch ein ganzes Gesicht voller Make-up). Klar, niemand von ihnen hatte funkelnden Glitzer oder grelle Farben im Gesicht. Trotzdem erkannte ich Contouring, dezentes Rouge, smoky Eyeliner und Wimpern-Extensions – vielleicht sogar Injectables wie Botox und Filler. Und natürlich waren die Bilder gefiltert und clever ausgeleuchtet.
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Der Trend zum Hass aufs „birthday makeup“ sagt mehr über Männer und unsere Gesellschaft – und insbesondere über deren unmögliche Erwartungen an uns – als über jede Frau, die gern glamouröses Make-up trägt.
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Es ist keine neue Theorie, dass manche Männer keine Ahnung davon haben, wie „natürliches“ Make-up eigentlich aussieht. In einem viralen TikTok-Video war einer sichtbar schockiert, als er erfuhr, wie viel Mühe ein „no-makeup“-Look wirklich erfordert. In einem anderen viralen Clip ist ein Mann davon überzeugt, die Models und Stars auf diversen Fotos hätten überhaupt kein Make-up im Gesicht. Haben sie aber. Und zwar jede Menge.
Dr. Khan-Salim betont zurecht, dass Frauen die Freiheit bekommen sollten, hinsichtlich ihrer Outfits, Schminke oder allem anderen, was mit ihrer Identität und Individualität zusammenhängt, genau das zu tun, was sie möchten. Der Trend zum Hass aufs „birthday makeup“, sagt sie, sagt mehr über Männer und unsere Gesellschaft – und insbesondere über deren unmögliche Erwartungen an uns – als über jede Frau, die gern glamouröses Make-up trägt. Das zeigt auch eine Studie, die die Wirkung einer Frau mit stark geschminktem Gesicht untersuchte. Sie wurde von den Befragten als weniger kompetent, weniger herzlich und weniger moralisch empfunden. Dieses Ergebnis trieft nur so vor Frauenhass.
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Das Problem liegt aber nicht ausschließlich bei den Männern. Hinsichtlich glamouröser Schminke ist auch verinnerlichter Frauenhass ein riesiger Grund zur Sorge. Ich muss immer noch an die Love-Island-Teilnehmerin Danica Taylorvon 2022 denken, die für ihren goldenen Smoky-Eye-Look immer und immer wieder ausgelacht wurde. Jeden Abend kursierten in den sozialen Netzwerke zahllose beleidigende Memes und Witze rund um ihr Make-up – auch von Frauen. Manche forderten Danica dazu auf, auf das „birthday makeup“ zu verzichten, weil sie „ohne bestimmt schöner“ aussähe. Andere behaupteten, ihr Look wirke abschreckend auf Männer und sei der Grund dafür, dass sie von den teilnehmenden Männern nur so wenig Aufmerksamkeit bekam.
@adrianxortiz The “Natural Look” IS MADE WITH MAKEUP 😳😳 #fyp #foryoupage #foryourpage #girls #beauty #makeup ♬ Classical Music - Classical Music
Die TikTokerin Des ging letztens mit einem Video viral, in dem sie Frauen anzweifelte, die das „birthday makeup“ verurteilen, und behauptete, ihnen ginge es dabei nur um männliche Anerkennung. „Kommt mir sehr komisch vor. So als hättet ihr nur damit angefangen, euch drüber lustig zu machen, weil Männer gesagt haben, ihnen gefällt es nicht“, schrieb Des dazu. „Nein nein nein“, kommentierte jemand einen anderen Clip, der dramatisches Make-up als unschmeichelhaft, aggressiv und streng kritisierte. „‚Birthday makeup‘ macht Spaß und soll dir ein glückliches, gutes Gefühl geben. Ich stimme [diesem Clip] nicht zu!“
Ein großer Teil des Online-Hasses gegen glamouröses Make-up richtet sich leider spezifisch gegen Schwarze Frauen. Es ist kein Geheimnis, dass viele derzeitige Beauty-Trends auf eurozentrischen, ausgrenzenden Schönheitsidealen aufbauen. Es ist daher umso frustrierender, dass ein Make-up-Look, den viele Frauen of color schon seit langer Zeit lieben, jetzt so viel Hass abbekommt.
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Glücklicherweise sind uns die rassistischen, misogynen und paradoxen Schönheitsideale in unserer Gesellschaft heutzutage viel bewusster, und wir neigen auch viel eher dazu, sie anzuprangern. Als Konsequenz geht es bei Make-up-Trends immer weniger um den:die Betrachter:in und mehr um die Person, die sich schminkt, sowie um ihren Stil. „Ich bekomme fast jeden Tag gesagt, ich trage zu viel Make-up“, erzählt die TikTokerin Miah Carter. „Mir wurde sogar schon geschrieben, man sollte bei einem ersten Date mit mir ins Schwimmbad gehen, damit das ganze Make-up abgeht. Diese Kommentare kommen meistens von Männern.“
@miahhcarter Reply to @queen_hood21 here ya have it this is how i do my black eyeshadow look 🥰 tag someone who needs to see this #makeup #makeupartist #tutorial ♬ To Do List - Muni Long
Für Miah bedeutet ein „full glam“-Look, dass sie kreativ sein und ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen kann. „Es ist mir ganz ehrlich total egal, was Männer – oder sonst wer – von meinem Make-up hält“, erzählt sie gegenüber R29, „weil ich Make-up für mich und sonst niemanden trage.“ Und tatsächlich haben auch schon mehrere Studien eine positive Verbindung zwischen dem Tragen von Make-up und dem Selbstwertgefühl festgestellt. Mairead jedenfalls glaubt, wir würden uns unsere Macht langsam zurückholen. Sie findet, wenn jemand dreist genug ist, um dein Äußeres zu kommentieren (insbesondere, wenn er:sie der Meinung ist, dein Look sei „zu viel“), ist das ohnehin nicht die Art von Mensch, mit der du gern deine Zeit verbringen würdest.
Wir leben in einer patriarchalischen Gesellschaft, die den Selbstausdruck durch Make-up nicht zu schätzen weiß. Die Zeit, Mühe und Kosten, die in einen glamourösen Look fließen, sollten dabei aber nicht unterschätzt werden. Jede:r Make-up Artist wird dir versichern, dass der perfekte „cut crease“-Lidschatten eine wirklich fähige Hand erfordert. Ganz zu schweigen von den Fähigkeiten, du du brauchst, um den dezenten Glow vom „no-makeup“-Make-up zu meistern.
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Frauen sind Männern keine Authentizität in Form von nackter Haut schuldig. Sie sind ihnen gar keine Authentizität schuldig, Punkt. Frauen (und ihr Make-up) existieren nicht, um Männern zu gefallen. Natürlich ist es schwierig, sich der Verurteilung durch andere komplett zu entziehen und sich nichts zu Herzen zu nehmen, vor allem, wenn es um das eigene Aussehen geht. Mit Make-up herumzuexperimentieren (ob nun mit viel oder wenig), kann aber so viel Spaß machen. Das lasse ich mir von niemandem nehmen – ganz egal, ob ich nun gerade einen Hauch Lipgloss oder dramatisches Contouring im Gesicht trage.
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