Ein Jahr. Das war das Ziel, das ich mir gesteckt hatte, als ich im Dezember 2018 den Salon verließ – nur wenige Minuten nachdem ich mir zehn Zentimeter meiner hüftlangen Haare wegschneiden lassen hatte.
Nachdem ich meine Locken fast mein ganzes Leben lang praktisch jede Woche geglättet hatte – was in der Latinx-Gemeinschaft quasi die Normalität ist – beschloss ich, dass es endlich Zeit war, meine Locken zu akzeptieren und sie zu lieben. Für mich bedeutete das, mich mindestens 365 Tage für eine hitzefreie Routine zu verpflichten.
Ich wollte die Locken, die ich als Kind hatte – sprunghaft, geschmeidig und seidig glänzend. Stattdessen war mein Haar durch die jahrelange Hitzebelastung (einschließlich der Qualen, die ich ihnen in meiner Zeit als Misswahlteilnehmerin zugefügt hatte) eine seltsame Mischung aus Wellen, schlaffen Locken und zufällig glatten Partien. Nachdem mir mehrere Freund*innen sagten, ich solle endlich die kaputten Haarspitzen abschneiden lassen, saß ich dann im Salonstuhl von Lockenexpertin Mona Baltazar. Sie schnitt mein mittellanges Haar zu einem kinnlangen Bob. Und siehe da: Meine Locken sahen schon viel besser aus!
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Aber das war erst der Anfang meiner Reise zur Wiederbelebung der Locken. Nachdem all der Spliss weggeschnitten wurde, kümmerte ich mich darum, die Hitzeschäden zu behandeln. „Viele glauben, sie müssen ein Produkt finden, dass ihre Haare lockig macht“, sagt Baltazar. „Aber wenn du dich in einer Übergangsphase befindest, dauert es auch, bis du deine natürliche Lockenstruktur wieder herrichtest“, so die Expertin. Doch den wohl wichtigsten Tipp gab mir Baltazar, als sie mich nach Hause schickte: „Du musst Geduld haben“. Und wie recht sie damit hatte!
Als ich nach dem Haarschnitt nach Hause kam, warf ich sofort mein Glätteisen und meinen Lockenstab in eine Tüte, um die Geräte zu spenden. Meinen Föhn und meinen Diffusor behielt ich erst Mal, weil ich meine Haare bei der Dezemberkälte nicht an der Luft trocknen lassen wollte. Dann besorgte ich mir die nötigen Produkte für die Pflege meiner Haare, sprich: Tiefenreinigungsshampoos, Haarkuren und andere Mittel, die meinem Haar helfen und es nähren sollten.
Ich hatte zwar schon gehört, dass es eine Menge Arbeit sein würde, meine Locken endlich zu lieben, aber mir war nicht klar, dass ich auch so viel mehr Aufwand in die Pflege der Locken stecken würde als in meiner vorherigen Routine. Früher benutzte ich schnell ein paar Cremes, die meine Locken definierter machten, oder ließ meine Haare im Salon glätten, damit ich sie für ein paar Tage nicht mehr stylen musste. Doch ohne Glätteisen und Co. musste ich meine Haare jetzt richtig gründlich waschen und mit Conditioner behandeln. Ich musste die Einwirkzeit der Produkte verlängern, damit sie auch wirklich etwas bewirkten und nach dem Waschen noch etwas Mousse oder Gel einmassieren. Wenn ich es vermasselt und zu viel Gel aufgetragen hatte, musste ich von vorn anfangen und meine Haare noch mal waschen.
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Um ehrlich zu sein, gab es in diesen ersten Wochen viele Momente, in denen ich meine Locken hasste. Sie waren nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Weil sie so kurz waren, hatte ich oft das Gefühl, ich sehe aus wie ein nasser Pudel, und manchmal bereute ich es, alles abgeschnitten zu haben.
Einer der schwierigsten Momente war für mich, als ich mit diesen Locken zu meiner ersten Hochzeitsfeier gehen musste. Schon immer war die Einladung zu so einem Fest für mich gleichbedeutend mit dem Besuch in einem Salon – vor allem wegen des weit verbreiteten Glaubens in der Latinx-Gemeinschaft, dass lockige und natürliche Texturen als “unprofessionell“ oder “weniger elegant“ gelten. Als ich für die Feier in den Norden von New York fuhr, fiel es mir schwer, den Gedanken aus meinem Kopf zu kriegen, dass meine Locken für die formelle Veranstaltung nicht passend waren. Am Tag vor der Hochzeit kaufte ich mir sogar einen Mini-Curler in einem Geschäft in der Nähe des Hotels und wollte sie damit so stylen, dass sie den Erwartungen der Menschen gerecht werden konnten.
Zurück in meinem Hotelzimmer kämpfte ich schließlich gegen diesen Drang an. Da wurde mir klar, dass es bei dieser Herausforderung um so viel mehr ging als nur um meine Locken. Es ging darum, strenge kulturelle Normen abzuschütteln und für etwas einzustehen, das mir wichtig war. Natürlich dachte auch meine Mutter, die in einem dominikanischen Haushalt aufwuchs, sie tue nur das Beste für mich, wenn sie mir jeden Sonntag meine Haare glätten ließ. Aber heute weiß ich, dass das Beste für mich etwas ganz anderes ist.
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Da wurde mir klar, dass es bei dieser Herausforderung um so viel mehr ging als nur um meine Locken. Es ging darum, strenge kulturelle Normen abzuschütteln und für etwas einzustehen, das ich für mich tun wollte.
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Als ich mit meinem Lockenkopf in die Hochzeitslocation eintrat, war ich zugegebenermaßen ein wenig nervös. Aber schon bald bekam ich so viele Komplimente von Frauen, die es bewunderten, dass ich als einzige Person im Raum natürliche Locken trug. Und so wurde ich im Laufe des Abends immer selbstbewusster und zelebrierte sogar meine Individualität.
Rückblickend bin ich froh, dass ich dem Druck, meine Haare mit Hitze zu behandeln, nicht nachgegeben habe, denn das hätte bedeutet, ich hätte einen großen Schritt rückwärts gemacht. „Jedes Mal, wenn du chemische Glättemittel in dein Haar tust oder es glättest, manipulierst du seine natürliche Beschaffenheit, was logischerweise deinem Haar schadet“, sagt Baltazar.
Im Laufe der Zeit bemerkte ich, wie sich die natürliche Lockenstruktur meines Haares entwickelte. Die Strähnen im Vorderteil, die einst einfach schlaff herunterhingen, waren nach sechs Monaten in perfekte Spiralen gedreht. Mein Haar hatte insgesamt mehr Glanz und Fülle. Es war bis zu den Schultern gewachsen, und in meinem Duschabfluss sammelten sich nach dem Waschen viel weniger lose Haare an.
Meine Haare veränderten sich, und so auch meine Styling-Routine. Während es mir früher wichtig war, die Locken zu definieren, kümmere ich mich jetzt nur noch darum den Frizz loszuwerden und meinen Locken genug Feuchtigkeit zu geben. Außerdem habe ich komplett die Lust daran verloren, meine Haare mit dem Föhn, einem Glätteisen oder anderen haarschädigenden Geräten zu stylen. Selbst wenn ich sie mal föhnen muss, benutzte ich die Kaltlufteinstellung, um den Schaden zu verringern. Seit dem achten Monat dieses Experiments wasche ich meine Haare kurz vor dem Schlafengehen und lege meinen Kopf dann auf ein Kissenbezug aus Seide, und wenn ich morgens aufwache, habe ich luftgetrocknete Locken.
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Als die 365 Tage dann vorbei waren, konnte ich nicht glauben, dass ich es so weit geschafft hatte, ohne meine Haare zu glätten. Damals hatte ich geplant, meine Haare wieder in einem Salon glätten zu lassen, wenn ich das Jahr überstanden hatte. Aber als es soweit war, hatte ich keine Lust mehr darauf. Ich liebe meine Locken und ich habe gelernt, sie als Teil meiner Identität zu sehen.
Nach 365 Tagen ist mein Haar gesünder – und ich bin es auch. Frei von den kulturellen und gesellschaftlichen Normen, von denen ich mich einst unterdrückt fühlte, trage ich meine Locken jetzt bei Geschäftstreffen, vor der Kamera und bei besonderen Anlässen. Ich bin auch bei der Arbeit engagierter, habe vor kurzem erst eine Beförderung bekommen und mich mit anderen Latinxkolleg*innen zusammengetan, die wie ich eigentlich immer Probleme mit ihren natürlichen Locken hatten. Als ich endlich die Kraft in mir fand, selbstbewusster zu sein und aus meiner Komfortzone herauszutreten, schlug das in jedem Aspekt meines Lebens Wellen.
Geduld war bei jedem Schritt entscheidend, und jetzt sind meine Locken definierter, als ich es mir je hätte vorstellen können. Im vergangenen Jahr habe ich mir zweimal die Haare schneiden lassen, meine Haarroutine perfektioniert und neue Pflegetechniken gelernt.
Sicher, es gibt Tage, an denen meine Locken einfach nicht so wollen, wie ich will, aber die meiste Zeit liebe ich sie. Es ist ein kontinuierlicher Lernprozess, der alles umfasst, was mit diesem neuen Kapitel der Selfcare einhergeht. Mein Haar wächst und verändert sich, und ich auch.
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