Ich hatte noch nie lange Haare. Nicht weil ich es nicht wollte oder durfte, ganz im Gegenteil, sondern ganz einfach weil meine Haare so oll sind, dass sie es nicht zu lassen lang getragen zu werden. Als Kind habe ich mir zu Hause beim Spielen einen Schal um den Kopf gebunden, um das Gefühl von Länge vorzutäuschen. Und wenn sie dann doch mal ein paar Zentimeter länger gewachsen sind, dann hat das eh niemand mitbekommen, weil ich sie in einem Zopf versteckt habe. Veränderungen haben nur in Form von Farbe, Scheitelposition und Pony stattgefunden. Und jeder, der mich seit den letzten zehn Jahren kennt, weiß, wie ich ihm begegne; Mit hohem Dutt, dazu wahlweise Stirnfransen oder Haare aus dem Gesicht. So kennt man mich, so mag man mich, nur ich eben nicht mehr.
Tag ein, Tag aus, immer die selbe Frise. Mal mehr ätzend, mal weniger. „Was hat sie denn?“, fragen sich jetzt sicher die meisten, „Soll sich mal nicht so anstellen!“ Ich habe extrem feines, leicht krauses Haar und dazu auch noch sehr wenig davon. Schlechte Mischung. Und jedes Mal wenn ich mich halbwegs damit abgefunden habe und zum dreimonatigen Spitzenschneiden beim nächstbesten Friseur (alles andere lohnt nicht, schon probiert) aufschlage, werde ich immer und immer mit der bitteren Wahrheit konfrontiert; „Das sind wirklich die dünnsten Haare, die ich je gesehen habe...hmmm, da kann man nicht viel machen. Aber der Dutt steht dir gut.“ Ja, er steht mir, aber muss ich ihn deshalb jeden Tag tragen? Für den Rest meines Lebens? Bei der Vorstellung bin ich froh, dass Dutts besonders bei Omis sehr beliebt sind und auch in grau ganz schick aussehen. Aber selbst die haben dickere Haare. Alles schon beobachtet.
Denn das ist wohl mein größtes Hobby, der Haarneid. Egal wo ich sitze und gerade nicht im Gespräch bin, beobachte ich Haare und ihre unterschiedlichen Einzigartigkeiten. Es gibt sie in so vielen Facetten und alle sind sie schön, nur ich wurde aus irgendwelchen Gründen für irgendwas bestraft. Na gut, ein bisschen ist es Veranlagung, dazu kommen einige Experimente in der Jugend, an die ich gar nicht mehr denken mag. Es muss also eine Veränderung her. Jetzt. Sofort. Und zwar in Form einer professionellen Haarverdichtung. „Ach sie will sich Extensions machen lassen..., warum sagst sie das denn nicht gleich. Na viel Spaß! Das sieht ja meist immer richtig kacke aus und schädlich für die Haare ist es auch.“ Ganz bestimmt einer der Gründe, warum ich mich nicht schon viel früher dazu entschieden habe, mir Echthaar in mein Eigenes zu tackern, die Vorurteile. Und ich kann sie sogar verstehen, kennen wir Extensions doch meist im Zusammenhang mit blondiertem, verfilzten Haar und Acrylnägeln. Was natürlich völliger Mumpitz ist, denn Haarverlängerungen können natürlich auch ganz anders aussehen und ich möchte nicht wegen ein paar Klischees auf mein persönliches Haarglück verzichten. Der andauernde Bad Hair Day soll eine Ende haben. Endlich erfahren, wie es ist offenes Haar zu tragen, sich auch mal hinter seinem Haar verstecken zu können oder sich besonders weiblich durch die Mähne zu fahren. Natürlich weiß ich, dass Haare kein Indiz für Weiblichkeit und Wohlbefinden sind, doch stimmen mir sicher viele Frauen zu, dass ein gut sitzender Schopf für bessere Laune sorgt. Unser Haar kleidet uns, gibt uns einen Look und manchmal zeigt es auch wie wir uns fühlen. Bei mir jedoch sagt mein Haar so was wie „Ich gehe gerade zum Sport“ oder „Ich komme gerade aus der Dusche“. Bye Bye sportliche Frisur, der Dutt muss weg und eine richtige Frisur samt Haarverdichtung muss her. Mir egal was die anderen sagen. Ne stimmt nicht ganz, ist mir nicht egal, aber das wird schon noch.
Bei meiner Recherche wird schnell klar, wenn schon denn schon. Natürlich gibt es in Berlin eine Menge Anbieter, sogar bei Ebay Kleinanzeigen (siehe schlechtsitzende Bondings zu Acrynägeln), doch ich entscheide mich für jemanden, der es können muss. Hallo Herr Walz! Ich bin mir sicher Udo versteht nicht nur was von seinem Handwerk, sondern auch vom Haare anschweissen. Bzw. anschweissen ist das falsche Wort, vielmehr entscheide ich mich gerade für seinen Salon, weil sie dort mit einer neuen Technik arbeiten. Die Strähnen werden völlig unkompliziert und ungefährlich mit Tapes ins eigene Haar geklebt. Wachsen dann nach und nach raus, werden dann schonend gelöst und anschließend wieder am Ansatz hoch gesetzt. Bei guter Pflege lässt sich die Prozedur bis zu drei mal wiederholen. Das heißt die Investition lohnt sich und man hat erst mal Ruhe.
Mein Termin ist schneller gemacht als gedacht und zwei Tage später sitze ich schon im neuen Salon von Udo auf dem Kudamm und werde von der herzallerliebsten Selma beraten, betreut und die letzten Ängste werden mir auch genommen. Dann muss ich noch mal eine Woche warten, bis es wirklich los geht und kann kaum schlafen vor Aufregung. Wie wird das mein Leben mit neuen Haaren wohl sein? Ich stelle mir die wildesten Sachen vor und google immer wieder „Long Bob“. Denn der soll es am Ende werden. Vorne ein bisschen länger als hinten, mit Pony und das ganze extra dick und glänzend. Eine Woche später sitze ich wieder bei Selma und sie verpasst mir in Windeseile Haare, von denen ich mein ganzes Leben geträumt habe. Völlig überdreht und taub vor Glück warte ich die ersten Reaktionen ab und siehe da, sie sind alle durchweg positiv. Noch besser, den meisten fällt es gar nicht auf bzw. gehen davon aus, dass ich die Haare nun endlich offen trage. Dass es sich um Extensions handelt, merkt keiner. Auch beim Streichen über den Kopf ist nichts zu fühlen, beim Liegen im Bett allerdings schon, aber einige Nächte später hat man sich auch daran gewöhnt. Und auch der anstehende Urlaub, wird mit großer Freude erwartet. Denn der große Vorteil ist, dass man morgens aus dem Bett hüpft und die Haare einfach immer gut aussehen. Hier und da muss eine Strähne mal zurecht geglättet werden, oder mit Trockenshampoo am eigenen Haaransatz nachgeholfen werden, doch das Haar sitzt. Die Waschtage (die sich easy rauszögern lassen, da das neue Haar ja nicht fetten kann) sind etwas zeitintensiver; vorsichtiges Waschen mit Spezialshampoo, danach viel Feuchtigkeit ins Haar (sonst können sie schnell sehr trocken aussehen), sehr langes Föhnen (das ist der Moment, wo ich meine Spaghetti-Haare von früher vermisse) und anschließendes Glätten oder Stylen. Kann aber auch sein, dass ich mich besonders doof anstellen und ich mich einfach noch an dem Umgang mit so viel Haaren gewöhnen muss.
Aber wie lebt es sich denn nun mit der neuen Mähne? Nach dreiwöchigem Fazit, muss ich am Ende dann doch über mich selbst lachen. Habe ich doch wirklich gedacht, dass schöne Haare einen so viel glücklicher machen und sich dauerhaft und rund um die Uhr auf das Wohlbefinden auswirken. An manchen Tagen kann ich sagen: ja, das tut es. Weil es ein schönes Gefühl ist, die Haare endlich offen tragen zu können und zu wissen, dass sie am Abend noch genau so aussehen, wie am Morgen. Schöne Haare sind aber kein Superheldenschutzschild vor schlechter Laune, Unwohlsein oder Menstruations-Bedingtem-Hässlich-Fühlen. „Na, was hat sie denn gedacht, dass ihr jetzt nur noch die Sonne aus dem Ar... schein, wenn sie sich paar Haare ankleben lässt?“ Ja, so naiv war ich wirklich. Denn wenn man sich etwas so sehr wünscht, was man einfach nicht hat, dann kann es, für einen selbst, schon fast zu etwas Anbetungswürdigem werden. Kennt sicher jeder, der Wunsch von größerem Jenen oder kleinerem Diesen. Um so beruhigender die Feststellung, dass es am Ende des Tages nicht die Haare sind, die mich strahlen lassen, sondern wie ich mich fühle. Sicher ist es keine neue Erkenntnis, dass Schönheit von innen kommt, doch manchmal glaubt man es halt eben erst, wenn man es gesehen hat und ausprobiert hat.
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