Catherine Deneuve – gemeinsam mit 99 weiteren Frauen aus Filmbranche, Journalismus, Wissenschaft und Kultur – haben sich in einem offenen Brief gegen die Entwicklung der #MeToo-Kampagne ausgesprochen. Sie befürchten, die Auswirkungen der Bewegung hätten schon jetzt eine Hetzkultur gegen Männer ins Leben gerufen und würden einen Eingriff in die sexuelle Freiheit der vermeintlich emanzipierten liberalen Gesellschaft bedeuten.
„Eine Vergewaltigung ist eine Straftat. Beharrliches Baggern oder tollpatschiges Verhalten sind jedoch keine, ebenso ist Galanterie kein Machismo“, schreiben die 100 Frauen in der französischen Tageszeitung Le Monde am 9. Januar 2018. Die Ausweitung der #MeToo-Debatte hätte „Hass auf Männer und die Sexualität“ als Konsequenz und bereits viele „Opfer“ gefordert – und das, obwohl besagte Opfer doch lediglich „ein Knie anfassen, einen Kuss stehlen, über intime Dinge bei einem beruflichen Dinner sprechen wollten oder Nachrichten mit sexuellen Anspielungen an Frauen verschickt haben, welche diese Anspielungen schlicht nicht erwidert haben“.
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Eine „Kultur“, die in den 1950ern hätte enden sollen
Männer, denen oben Genanntes nachgesagt wird, mit „Sexualverbrechern“ auf eine Ebene zu stellen, halten die Verfasserinnen für falsch, denn genau solche Taten, also das Bedrängen, das Aufzwingen, das ungefragte Flirten, seien notwendig für eine freie, sexuelle Kultur. Angesichts der Argumentation von Deneuve und ihren Mitstreiterinnen fragt man sich jedoch, was das für eine vermeintliche Kultur ist, die unerbetene Hände auf Knien, aufgezwungene Küsse und intime Anspielungen beim Geschäftsessen gutheißt. Es ist eine „Kultur“, die das Ausnutzen von Machtverhältnissen ignoriert. Eine „Kultur“, die in den 1950ern hätte enden sollen.
Auch die Verfasserinnen selbst betrachten sich als Angegriffene: Wenn sich all jene mitschuldig gemacht haben, die in den vergangen 30 Jahren hier und da mal eine solche Situation mitbekommen, jedoch nichts dagegen gesagt oder getan haben, dann.... ja, dann, was dann? Korrekt: Dann gibt es ganz schön viele Frauen, wie auch Männer, die somit, wenn auch nur für einen Moment, in die Rolle der Komplizen geschlüpft sind. Das kann man nun bejammern und in die Defensive gehen und mit einhundert Frauen in den Krieg gegen einen schrecklichen Feminismus ziehen. Genauso gut könnte man allerdings auch einfach mal innehalten und das eigene Verhalten reflektieren, die eigenen Aktionen hinterfragen, Unangenehmes eingestehen und es fortan besser machen.
Eingeständnisse, wie auch Entschuldigungen, erfordern Kraft, laut aufzuschreien fällt dagegen einfacher – den Opfern sexueller Gewalt und Nötigung ist man jedoch zumindest den Anstand schuldig, ihre Erfahrungen nicht herabzuwürdigen. Doch auch hierfür haben Deneuve und Co. natürlich einen Konter parat, im Deckmantel eines viel eleganteren und erhobeneren Feminismus versteht sich: „Vorfälle, in denen der Körper einer Frau betroffen ist, beeinträchtigen nicht unbedingt ihre Würde, und dürfen, so schlimm ein solcher Fall auch sein mag, die Frau nicht zu einem ewigen Opfer machen. Denn eine Frau ist mehr als ihr Körper. Ihre innere Freiheit ist unverletzlich. Und diese Freiheit, die wir so schätzen, kommt eben auch mit Risiken und Verantwortung.“ Kurz: Hey, ihr, die ihr belästigt wurdet und noch immer darüber redet, heult nicht so rum, und wenn doch, dann bitte leise, sonst können wir unsere sexuelle Freiheit in Form von altmodischen Avancen der Männer nicht mehr ausleben.
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Die Differenzierung zwischen Flirt und Missbrauch kriegen sogar wir noch hin, die nicht für einen Oscar nominiert sind und keiner elitären Clique angehören.
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Deneuve und die weiteren 99 Verfasserinnen bemängeln außerdem, dass die #MeToo-Kampagne höchstens „Puritanern und religiösen Extremisten“ in die Hände spielt, indem sie fortan alle verwirrt hinterlässt und das Recht auf einen ordentlichen Flirt beschneidet. Habe ich gerade geflirtet oder habe ich mich schon strafbar gemacht? – fragen sich demnach jetzt reihenweise Männer und das scheint wohl das größte Problem zu sein. Für Deneuve und ihre Co-Autorinnen gehöre zum Recht zu flirten nämlich automatisch auch das Recht zu belästigen. Man müsse schließlich unterscheiden zwischen einer schief gelaufenen Avance und einem sexuellen Übergriff.
Van Badham reagiert in The Guardian mit angebrachtem Entsetzen: „Genau deshalb sind wir [die Befürworter*innen der #MeToo-Kampagne] so wütend – nicht etwa, weil wir puritanisch leben, sondern weil wir uns von sexuellen Interaktionen Spaß und Freude erhoffen, keinen Missbrauch, keine Ausnutzung auf Kosten einer anderen Person. Die Differenzierung [zwischen Flirt und Missbrauch] kriegen sogar wir noch hin, die nicht für einen Oscar nominiert sind und keiner elitären Clique angehören. Auch Kellner*innen, Verkäufer*innen, Soldat*innen, Wissenschaftler*innen, Studierende (und alle anderen) haben ‚Nein‘ gesagt, sich gewehrt, versucht zu gehen, kein Einverständnis gezeigt – und wurden trotzdem ignoriert.“
Catherine Deneuve und ihre Mitstreiterinnen katapultieren sich mit ihrer Streitschrift damit nicht nur ins Aus, sondern geradewegs in das Feld der Angeklagten. Barbara Kostolnik schreibt für die Tagesschau nieder, was dringend gesagt werden muss, immer und immer wieder: „Was die 100 Frauen komplett ignorieren, ist, dass es bei Kampagnen wie #MeToo eben nicht um Sexualität, also um Anmache, Flirt oder Galanterie geht, sondern schlicht um Macht und den Missbrauch dieser Macht. Von Mächtigen – meist Männern – gegenüber Abhängigen, Ohnmächtigen – meist Frauen.“
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Ob Deneuve und ihre 99 Mitverfasserinnen jemals einsehen, was sie Opfern sexueller Gewalt mit ihrer Streitschrift antun, ob sie die Rückständigkeit ihrer Aktion jemals fassen, bleibt fraglich. Was der offene Brief jedoch klar macht, ist, dass die Diskussion über sexuelle Übergriffe trotz #MeToo, trotz #TimesUp und trotz all der Entlassungen von Angeklagten noch lange nicht beendet ist. Nein, sie fängt gerade erst an.
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