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Jeans vs. Corona: Sorgt die Pandemie für den Untergang des Denim-Klassikers?

Der Jeanskauf ist für mich immer mit einer gewissen Panik verbunden – ein Überbleibsel einer Zeit, in der ich in die meisten nicht reinpasste. Der Besuch in der Jeans-Abteilung war für mich als Teenager jedes Mal eine Mutprobe und endete zwangsläufig in Scham und Schande. (Verzeih mir mein mangelndes Selbstbewusstsein: Ich war ein Teenie mit einem Plus-Size-Körper in der Ära der Low-Waist-Jeans – lange bevor der Begriff Body Positivity aufkam).
Ganz egal, wie dein Körper aussieht und wie du dich damit fühlst – ich wette, auch für dich ist Jeans kaufen eine Qual. Die Größen sind unberechenbar, die Preisschilder hauen einen um und sich auf der Suche nach dem richtigen Schnitt und der richtigen Waschung durch mehrere Stapel zu wühlen, erfordert fast schon überirdische Geduld. Und das passiert alles noch bevor du die Umkleide betrittst! Der Kauf einer neuen Jeans gehört zu diesen unliebsamen Modepflichten, die ich inzwischen einfach widerstandslos hinter mich bringe – wie die Suche nach dem richtigen Bikini oder BH. Trotzdem sind Jeans (vor allem total steife High-Waist-Modelle) ein fester Bestandteil meiner Erwachsenen-Garderobe und normalerweise sind sie mindestens drei Mal die Woche im Einsatz. Aktuell allerdings eher null Mal die Woche – und damit bin ich nicht allein.
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Foto: bereitgestellt von Warner Brothers/Getty Images
James Dean 1955 auf einem Werbeplakat für den Film „… denn sie wissen nicht, was sie tun“
Seit Beginn der Pandemie kaufen wir nicht mehr so viele Klamotten wie zuvor (wer hätte es geahnt!). Das gilt insbesondere für Jeans: In diesem Frühling und Sommer sind die Verkaufszahlen im Keller. Große Denim-Marken wie G-Star Raw, True Religion und Lucky Brand haben Insolvenz angemeldet, und auch die Firma hinter den Marken Hudson Jeans und Joe’s Jeans hat ein Vergleichsverfahren zur Insolvenzabwendung beantragt. Die Mutter aller Jeansmarken, Levi’s, erlitt zwischen April und Juni einen 62-prozentigen Einbruch ihrer Verkaufszahlen – so ein schlechtes Quartal hat es dort seit zwei Jahrzehnten nicht gegeben. Die Brand kündigte an, rund 15 Prozent ihrer weltweiten Belegschaft zu entlassen.
Galt sie einst noch als Sinnbild der Arbeiterklasse, dann als Symbol der Jugend-Gegenkultur der 50er und 60er, wird die Jeans im Jahr 2020 in die hinterste Ecke des Schranks verbannt. Eigentlich ist das schade, denn schließlich hatte sie lange den Ruf des Fashion-Multitalents, das dich im Handumdrehen „angezogen“ aussehen lässt. Sie ist unsere erste Wahl für Ausgeh-Outfits und die untere Hälfte des Allover-Denim-Looks, einer Ikone des amerikanischen Styles. Doch heute wirkt sie plötzlich wie eine Form der körperlichen Unterdrückung – und das ist nun wirklich das Letzte, was du im potentiell kohlenhydratreicheren Home Office brauchst. In den letzten Monaten habe ich mich vielleicht ein-, zweimal in ein Paar gezwängt, um mich ein bisschen stylischer zu fühlen – aber alles, was ich dabei fühlte, war ein Attentat auf meinen Schritt. Zugegebenermaßen habe ich mir immer schon Jeans gekauft, die quasi wie ein Denim-Korsett alles an Ort und Stelle hielten. Doch diese Art der Einschränkung wünsche ich mir weder zurück, noch kann ich nachvollziehen, wieso ich sie mir jemals selbst antat.
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Geht das nur mir so? Eine kurze Umfrage unter meinen Mädels zeigte mir, dass auch sie Denim aufgegeben haben – abgesehen von weiten Latzhosen und Umstandsjeans (obwohl keine von ihnen aktuell schwanger ist). Weil ich herausfinden wollte, wie es die coolen Kids so halten (nichts für ungut, liebe Mami-Freundinnen!), fragte ich Sara He nach ihrer Meinung. Sie ist eine 19-jährige Modedesign-Studentin an der Ryerson University in Toronto und hat gerade das renommierte Stipendium des Suzanne Rogers Fashion Institute gewonnen. Mit anderen Worten: Sie ist die Verkörperung von „cool“.
„Aus meiner Garderobe waren Jeans nie wegzudenken, aber zu Zeiten des Lockdowns denke ich völlig anders über sie: Sogar mein Lieblingspaar liegt unberührt in der Schublade“, sagt He.
Foto: Frazer Harrison/Getty Images
Tom Fords Herbstkollektion 2020 zeigt Denim inspiriert von den 70ern.
Mir geht es genauso. Wie bei vielen andere Leuten, die das Glück haben, einen Job zu haben, den sie in den sicheren eigenen vier Wänden ausüben können, hat sich auch meine Sicht auf Style in diesem Jahr drastisch geändert. Ich liebe Klamotten – hasse es aber, mich für die Arbeit schick machen zu müssen. Das Leben im Home Office hat mich von dieser täglichen Last erlöst. Ich gehöre jetzt zur Riege der Jogginghose-plus-fancy-Oberteil-Fans! Und es ist wundervoll. Kein einziges Mal habe ich trotz vollem Kleiderschrank gedacht, ich hätte NICHTS zum Anziehen. Ich probiere nicht mehr 30 Minuten lang ein Outfit nach dem anderen an, um dann doch nicht das Richtige zu finden.
Seit Beginn der Pandemie gibt es zwei verschiedene Stylingoptionen: extrem komfortable Loungewear (daher auch die steigende Nachfrage nach Trainingsanzügen und Radlerhosen) und „Sieh mich an, ich gehe nach draußen!“-Outfits. Besondere Anlässe, zu denen man sich wirklich schick machen muss, gibt es aktuell kaum. Wenn wir etwas anderes als Sweatpants anziehen, dann nicht, weil wir auf eine elegante Party eingeladen wurden, sondern weil wir zu Rewe müssen. Freund*innen im Park zu treffen, ist dann schon ein echtes Highlight und ein Grund, etwas aufzuhübschen. Unsere Style-Entscheidungen haben sich dementsprechend auch verändert. „Aktuell fühlt es sich schon schick an, eine Jeans anzuziehen“, sagt Susie Sheffman, Fashion Director und Style Watcher aus Kanada.
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Ich stimme ihr völlig zu. Dieses Jahr hat mich begreifen lassen, dass Mode für mich zwei Zwecke erfüllt: Entweder will ich gesehen werden – oder mich wohlfühlen. Jetzt gerade geht es mir um Letzteres. Worin ich mich aktuell wohlfühle, sind weite Kleider (meine Art von „schick“) und Stretchstoffe. Seit März habe ich bloß vier Modekäufe getätigt: Ein T-Shirt mit einer politischen Karikatur, ein pinkes Sweatshirt mit dem Namen meiner Heimatstadt und einem Elch, und zwei Trägerkleider aus Baumwolle. Falls Fashion-Masken zählen, machen wir fünf draus – denn ich habe mir auch eine dunkelblaue Gesichtsmaske mit Rüschen von Greta Constantine gegönnt. Nichts von alldem kostete mich mehr als 50 Euro.
Laut Sheffman werden Jeans (selbst die Skinny-Variante!) allerdings jetzt nicht vollkommen vom Erdboden verschwinden, denn sie sind „die größten Alleskönner im Kleiderschrank“, sagt sie und erklärt weiter: „Sie passen zu allem – und gerade zu einer Zeit, in der so vieles unsicher ist, sehnen wir uns nach vertrauten, verlässlichen Pieces wie Jeans.“
Und obwohl He auch weiterhin erstmal nicht in ein Paar schlüpfen wird, glaubt sie an das Überleben der Jeans. Aktuell studiert sie traditionelle japanische Design-Bräuche wie die Sashiko-Näharbeit und Boro-Flicktechnik. „Denim gehört schon seit vielen Jahren fest zur japanischen Alltagskleidung“, sagt He. „Und obwohl wir die Jeans während der Pandemie vernachlässig haben, wird sie sicher nicht für immer aus unseren Schränken verschwinden. Lang lebe Denim!“
Sheffman sieht das auch so. Der Herbst steht vor der Tür und Jeans bedienen gleich zwei große Trends der Saison: die Rückkehr zu 70er-Jahre-Denim (wie in den Patchwork-Styles der 2020er-Herbstkollektion von Tom Ford) und, durch die steigende Nachfrage nach Vintage-Jeans, unseren Wunsch nach nachhaltiger Mode. (Mit immer umweltfreundlicheren Produktionstechniken von Marken wie Triarchy oder Everlane erscheint ein neues Paar Jeans wie der Erzfeind der Umwelt.)
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Foto: Jenna Marie Wakani
Die Autorin trägt ihre Lieblingsjeans von Levi’s.
„Vor allem die Rückkehr zu Komfort und Vintage sind gerade angesagt,zum Beispiel in Form einer Vintage Levi’s 501 – etwas, das bequem und schon eingetragen ist“, sagt Sheffman. „Secondhand-Denim ist eine tolle Form von Nachhaltigkeit.“
Aber was machen die Denim-Marken, die ihre neuen Jeans verkaufen wollen? Sheffman sagt, sie sollten auf zwei Dinge achten: „Zeigt mir, dass euch Nachhaltigkeit am Herzen liegt“, und „haltet alles etwas schlichter und setzt auf lockeres Styling.“ Ein weicher Stoff ist ihrer Meinung nach dabei entscheidend. So hält es auch Levi’s bei dem Versuch, dieses harte Jahr noch zu retten. Neben  Masken mit Bandanamuster (war klar) findet man in der Herbstkollektion die “Stay Loose“-Jeans für Männer und die “High Loose“ für Frauen. Beide bestehen aus einem umweltfreundlicheren Baumwoll-Hanf-Mischgarn und sind, inspiriert von klassischen 80er- und 90er-Styles, locker geschnitten.
Das ergibt Sinn. Mein Lieblingspaar ist eine helle 501er-Levi’s mit Knopfleiste. Ich habe sie mir vor zwölf Jahren gekauft; vor zwei Jahren zog ich sie für meine Refinery29-Porträts an. Als sie brandneu war, sahen die Risse am Knie noch nicht so authentisch aus; heute besteht die Hose mehr aus Löchern als aus Stoff. An den Oberschenkeln ist das Material bloß noch hauchdünn. Um es kurz zu sagen: Diese Jeans ist fantastisch. Trotzdem fing ich an, sie nicht mehr so häufig auf Arbeit zu tragen, weil ich dachte, sie sei inzwischen nicht mehr casual-cool, sondern eher reif für den Müll. Aber ich fühlte mich immer wie ich, wenn ich sie dann doch anzog. Ich trug sie für mich selbst – für meinen eigenen Style, meinen eigenen Komfort. Vielleicht schenke ich ihr einen Platz in meiner Herbstgarderobe. Denn wenn es 2020 einen Dresscode gab, dann den: Fühl dich in deiner Kleidung wie zu Hause.

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