Wie gefühlt die halbe Menschheit auch, wandte ich mich im pandemiebedingten Lockdown nachdenklich meiner Wohnung zu: Wie konnte ich mit der ganzen freien Zeit, die plötzlich vor mir lag, das Beste aus meiner kleinen Welt herausholen? Und während viele ihr Homeoffice optimierten oder ihren Wänden neue Farbe verpassten, mistete ich meinen überfüllten Schrank aus – und reduzierte ihn auf die perfekte minimalistische Auswahl. Oder um es ein bisschen schicker auszudrücken: Ich kreierte eine Capsule Wardrobe, quasi ein exklusives Best-of meiner Kleidung. Was überflüssig war, flog raus.
Als Redakteurin, die jetzt schon seit Jahren über die neuesten Modetrends schreibt, ist Shopping für mich nicht nur mein Lieblingshobby, sondern eben auch Teil meiner Arbeit. Im Laufe der Jahre hatten sich in meinem Schrank aber so viele Klamotten angesammelt, dass ich langsam das Gefühl bekam, darin völlig unterzugehen. Also beschloss ich, die Selbstisolation zu nutzen, um meinem Schrank ein Umstyling zu verpassen.
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Während ich zwar schon immer beim Shoppen auf Nachhaltigkeit geachtet habe, indem ich von ethischen Brands und in Secondhand-Läden gekauft habe, landeten am Ende jeder Saison leider doch ein paar Fast-Fashion-Pieces in meiner Garderobe. Viele davon waren Spontankäufe gewesen, die ich dann einmal – oder, noch schlimmer, nie – getragen hatte. Das wurde mir jetzt während der Pandemie umso deutlicher: Meine neue Homeoffice-Uniform bestand im Frühling, Sommer und Herbst größtenteils aus Hoodies und Radlerhosen, während meine Impulskäufe in der hintersten Schrankecke verstaubten.
Die Fashion-Redakteurin und Influencerin Stephanie Broek inspirierte mich schließlich dazu, meine Klamotten auf eine streng kuratierte Capsule Wardrobe zu reduzieren, bestehend aus hochwertigen Alleskönnern und Statement-Pieces, alles so nachhaltig wie nur möglich. (Dazu motivierte mich außerdem ein bevorstehender Umzug: Mein neuer Stauraum würde mit dem begehbaren Kleiderschrank der alten Wohnung nicht mithalten können.) Also nahm ich mir vor, komplett auf Neuanschaffungen zu verzichten und stattdessen von jetzt an nur noch Secondhand- und Vintage-Kleidung zu kaufen.
Innerhalb einer Woche hatte ich Altes und Überflüssiges aussortiert. „Neue“ Secondhand-Pieces aufzutreiben, dauerte hingegen ein paar Monate. Heute, nach dem Umzug, ist meine Garderobe also vielleicht in Sachen Volumen nur noch 50 Prozent von dem, was sie mal war – dafür ist sie aber doppelt so tragbar. Hier erkläre ich dir, wie du selbst deine Capsule Wardrobe kreierst.
Schritt 1: Sieh dir genau an, was du schon hast
Der Anfang ist klar: Um deine Klamotten aufs Wichtigste zu reduzieren, musst du dir zuallererst einen Überblick verschaffen. Was hast du schon im Schrank zu hängen? Das Ziel ist es, am Ende nur noch Klamotten zu besitzen, die du immer und immer wieder trägst. Behalte das im Hinterkopf und nimm deine Kleidung genau unter die Lupe: Auf welche Pieces trifft das überhaupt nicht zu?
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Nachdem du also die Kleidungsstücke aussortiert hast, die du nur selten, nie oder nicht mehr trägst, wird weiter sortiert: Was davon kannst du noch auf Vinted (ehemals Kleiderkreisel), eBay o. Ä. weiterkaufen (um den Gewinn dann in Secondhand zu investieren), was kann in den Müll, und was kannst du spenden?
Bevor du aber Altes wegwirfst, das nur ein paar Gebrauchsspuren hat, frag dich selbst, ob es dir nicht die Mühe wert wäre, es selbst auszubessern. „Schöne, klassische Stücke solltest du erst herrichten, bevor du dir neue kaufst – zum Beispiel, indem du einem schwarzen Stiefel neue Sohlen verpasst oder die Träger einer Designertasche austauschst“, rät Cassandra Dittmer, nachhaltige Modestylistin und -beraterin. „Deine Einstellung zu Mode so zu verändern, dass du dich besser um das kümmerst, was du schon besitzt, ist eine wichtige Entwicklung als Konsument:in.“ Fun Fact: Diese plastischen Marni-Sandalen (siehe Bild) gehören zu meinen Lieblingsschuhen, nachdem ich sie in einem Secondhand-Laden gefunden, reinigen und neu besohlen lassen habe.
Bei Kleidungsstücken, die aber doch schon zu abgenutzt wirken, um sie noch zu retten oder zu spenden, solltest du dich aber vorher gut darüber informieren, wie du sie am besten recycelst. Wirf kaputte Kleidung und Lumpen bitte nicht einfach in den Altkleidercontainer; die Trennung von besser erhaltenen Stücken ist aufwendig, weswegen du wirklich verschlissene Kleidung am besten direkt in den Hausmüll gibst. Sind die Klamotten noch in gutem Zustand, bringst du sie idealerweise selbst zu einer Kleiderkammer, sozialen Einrichtung, einem Sozialkaufhaus oder Secondhand-Shop. Altkleidercontainer sind nämlich leider nicht immer so gemeinnützig, wie du vielleicht denkst, und viele der gespendeten Kleider werden in Entwicklungslänger weiterverkauft und schaden der dortigen Textilindustrie.
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Sobald du damit fertig bist, deinen Schrank auszusortieren (und damit sogar vielleicht ein bisschen Geld verdient hast), kann es losgehen: Jetzt wird deine Garderobe neu aufgebaut.
Schritt 2: Fülle die Lücken
Wichtig bei jeder Capsule Wardrobe: eine Auswahl klassischer Pieces, die nie aus der Mode kommen werden. Das sind Kleidungsstücke, die schon seit Jahrzehnten in beinahe jedem Schrank hängen – Trenchcoats, Hemden, Kaschmir-Pullover, Jeans, schwarze Stiefel, Blazer, und so weiter. „Diese Kleider kannst du jeden Tag tragen, jedes Jahr aufs Neue, ohne irgendwann altmodisch auszusehen“, erklärt Liisa Jokinen, Gründerin der Vintage-Suchplattform Gem (aber dazu kommen wir gleich noch). „Mit diesen Stücken kannst du nichts falsch machen, und sie lassen sich mit allem kombinieren. Außerdem retten sie deinen Look, wenn du mal das Gefühl hast, du hast nichts zum Anziehen.“
Nachdem du anhand dieser Kriterien ein weiteres kritisches Auge in deinen Schrank geworfen hast, fülle die offensichtlichen Lücken: Welches Must-Have fehlt? Zum Glück findest sich solche Kleidungsstücke meist ganz schnell in jedem Secondhand-Laden, ob günstig oder edel. Dabei solltest du auch auf die Jahreszeiten achten: Was wirst du zuerst brauchen? Wenn der Winter bevorsteht, investiere in ein bis zwei praktische Mäntel, die zu allem passen – wie ein schlichter Trenchcoat oder ein simpler Pea Coat.
Beim Secondhand-Shopping solltest du aber eins nicht vergessen: Outfits zusammenzustellen soll auch Spaß machen! Deswegen gehören auch ein paar Statement-Pieces in deinen Schrank. Vintage-Läden sind dafür wie geschaffen. „Vintage-Shopping ist eine der besten Möglichkeiten, um mit interessanten, einzigartigen Silhouetten zu experimentieren“, meint Dittmer. „So kannst du mit unterschiedlichen Fashion-Epochen und den Grenzen deines eigenen Styles spielen.“ Und während du dabei natürlich Spaß haben sollst, denk dabei auch an die Tragbarkeit der einzelnen Stücke. „Ich würde alles vermeiden, was sich anfühlt wie eine Verkleidung – das passiert schnell mal beim Secondhand-Shoppen. Ich stelle mir dabei selbst die Frage: Wenn dieses Piece neu wäre, würde ich es mir dann trotzdem kaufen, oder mag ich es nur, weil es eben vintage ist?“
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Jokinen empfiehlt, bei der Suche nach Statement-Stücken zu Schmuck, Blusen und Schuhen zu greifen – oder generell zu „kleinen Akzenten, die nicht dafür sorgen, dass dein ganzes Outfit nach Aufmerksamkeit schreit“. So kannst du sie dann mit den Klassikern kombinieren, die du schon zu Hause hast. „Stell’s dir mal vor: Deine schlichte weiße Bluse trägst du zusammen mit hängenden Statement-Ohrringen – oder deine blaue Jeans mit kunterbunten Schuhen.“
Natürlich ist Schlichtheit aber nicht immer ein Muss. Wenn du das perfekte bodenlange Vintage-Paillettenkleid findest – das du zwar nicht im Alltag tragen würdest, aber sicher immer und immer wieder zu schicken Anlässen aus dem Schrank ziehen würdest –, kauf es dir! Solange es kein Impulskauf ist, versteht sich. Meine persönliche Faustregel ist dabei: Wenn ich in einem Laden oder online etwas Tolles sehe, an das ich in den nächsten ein, zwei Wochen immer wieder denken muss, ist es das Geld wert. „Bei der Suche nach Statement-Pieces ist es wichtig, beim Kauf genauso achtsam zu sein wie bei klassischen Evergreens“, meint Dittmer.
Schritt 3: Überlege dir, wofür du wieviel ausgeben willst
Eine hochwertige Garderobe zu besitzen muss nicht automatisch heißen, dass du dafür ein Vermögen hinblätterst. Dank Vintage- und Secondhand-Shopping habe ich in den letzten Jahren eine Auswahl langlebiger Pieces angesammelt, die ich mir neu niemals hätte leisten können.
Abgesehen davon gibt es aber natürlich Marken, für die sich eine größere Investition durchaus mal lohnt. Das sind dann aber eben auch meistens Kleidungsstücke, die du noch jahrzehntelang wirst tragen können – oder die du schnell verkauft bekommst, wenn du keine Lust mehr darauf hast. „Alles von Chanel über Hermès bis hin zu Gucci bekommst du problemlos verkauft. Das heißt nicht zwangsläufig, dass du dabei einen Profit machen wirst, aber meist bekommt man dafür noch einen guten Preis“, sagt Jokinen.
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Ein paar Monate nach Beginn der Selbstisolationszeit verliebte ich mich online in eine Vintage-Tasche: Die Gucci Boston war zwar etwas älter und hatte ein paar Gebrauchsspuren, war aber noch in gutem Zustand. Sie war zwar teurer, als mir lieb war – aber ich wusste, sie würde mir lange Freude machen, wenn ich sie gut behandelte, und wäre den Preis daher letztlich wert. Außerdem war ihr Style nicht nur ein absoluter Klassiker – mittelgroß, zylindrisch, mit zwei Trägern oben –, sondern schwebt in modernen Fassungen bis heute noch über Gucci-Catwalks. Und obwohl die Tasche teurer war als andere meiner Corona-Anschaffungen, kostete sie mich letztlich doch nur ein Viertel davon, was man heute für diese Taschen zahlen muss.
Ganz abgesehen von den Labels gibt es außerdem noch einige andere verlässliche Mode-Klassiker, für die du dein hart verdientes Geld guten Gewissens ausgeben kannst, ohne befürchten zu müssen. Laut Dittmer sind das „hochwertige Schuhe, Denim und Basics“. Und auch für aktuelle Trends lohnt sich der Blick in den Secondhand-Shop: „Mode ist größtenteils von vergangenen Jahrzehnten inspiriert“, meint Jokinen. „Das ist immer derselbe Kreislauf. Außerdem kannst du aktuellen Trends durch deine eigenen Secondhand-Versionen davon deine ganz persönliche Note aufdrücken.“
Ein Beispiel: Puffärmel. Warum viel Geld für ein teures Designer-Piece – oder weniger Geld für eine minderwertige Fast-Fashion-Kopie – ausgeben, wenn du jede Menge derartige Looks auch im Secondhand-Laden findest, aber eben direkt aus den Achtzigern? Die sind dann nicht nur einzigartig, sondern, wie Jokinen betont, qualitativ auch noch viel hochwertiger als alles, was du heute bekommst. Du hast also viel länger etwas davon. Trotzdem solltest du vor jedem Kauf darauf achten, aus welchem Stoff das gute Teil besteht: „Billige synthetische Stoffe würde ich vermeiden und stattdessen auf Naturfaser setzen“, rät Dittmer.
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Schritt 4: Jetzt wird geshoppt
Da die Pandemie unsere Möglichkeiten, vor Ort zu shoppen, momentan dezent einschränkt, hast du momentan vermutlich nicht die Option, dich in einem Secondhand-Shop durch einen Kleiderständer nach dem nächsten zu wühlen. Daher danke ich den Internetgöttern derzeit mehr denn je dafür, dass es uns auch aus unseren keimfreien vier Wänden heraus den Zugang zur Vintage-Mode dieser Welt ermöglicht – und das Beste: Dort kannst du konkret eingeben, wonach du suchst.
Mein jetziger Favorit dafür ist Gem, eine Plattform, die sage und schreibe 30 Millionen Produkte listet, indem es seine Daten aus Online-Marktplätzen wie Etsy und eBay, Tausenden unabhängigen Vintage-Shops und Luxus-Secondhand-Shops bezieht. Dort stolperst du dann nicht nur über lange geliebte, aber gepflegte Produkte aus zweiter Hand, sondern oft auch über ganz aktuelle Items heutiger Brands. Viele moderne Trends findest du kaum getragen auch auf Plattformen wie Second Life Fashion, Vide Dressing, Mädchen Flohmarkt oder Vinted. Es dauert vielleicht länger, um genau das zu finden, wonach du suchst – dafür musst du dafür dann aber nicht gleich dein Konto leerräumen.
Es sind jetzt mehrere Monate vergangen, seit ich meinen Schrank völlig auf den Kopf gestellt habe. Meine Garderobe ist jetzt viel zusammenhängender, und ich brauche bei Weitem nicht mehr so lange, um mir morgens ein Outfit zusammenzustellen. Obwohl ich meine Klamotten um rund 50 Prozent reduziert habe, habe ich jetzt das Gefühl, viel mehr Auswahl zu haben – weil ich viele Pieces besitze, die vielfältig einsetzbar sind und kreativ mit anderen kombiniert werden können.
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Ich greife immer noch regelmäßig nach meinen Klassikern – nach den Vintage-Männerblazern, die ich schon seit Jahren habe, nach meiner reduzierten Denim-Sammlung, nach Basic-Rollkragenpullis und schlichten T-Shirts, nach meinen Doc Martens und einem weinroten Vintage-Trenchcoat von Helmut Lang, den mir mein Mann vor einiger Zeit ergattern konnte. Die Lücken in meiner Garderobe habe ich seitdem mit einem hellbraunen Leder-Trenchcoat, ein paar schlichten Männerhemden und einem Vintage-Lederblazer gefüllt. Auf meiner „Noch kaufen“-Liste stehen ein simpler Lederrock und eine High-Rise-Stoffhose.
Was Statement-Pieces angeht, bin ich immer noch happy mit meiner Sammlung aus langärmeligen Vintage-Maxikleidern und farbenfrohen Mini-Bags, meinen Vintage-Stiefeln von Prada und den bereits erwähnten Marni-Sandalen. Einiger meiner jetzigen Favoriten sind aber tatsächlich Pandemiekäufe: der bodenlange Fendi-Wintermantel meiner Träume, ein Leder-Bustier von Zayna Bayne und eine klobige Kette – alles Secondhand.
Und während ich natürlich zumindest für die nähere Zukunft neuen Käufen abgeschworen habe, heißt das wahrscheinlich nicht, dass ich mir nie wieder etwas Neues kaufe. Das nächste Mal, wenn ich es tue, werde ich aber viel achtsamer vorgehen und mir genau überlegen, was ich kaufe und wen ich damit unterstütze. Sollte mich dann doch mal die Lust nach etwas Brandneuem packen, gibt es dafür zum Beispiel jede Menge kleine, unabhängige Brands, die alte Stoffe upcyceln und so gegen den durch die Modeindustrie produzierten Müll vorgehen. „Wir haben so leichten Zugang zu tollen Klamotten, dass es mir inzwischen nicht viel Mühe macht, Marken zu finden, die transparent und ethisch vorgehen und daher mein Geld verdienen“, meint auch Dittmer.
Letztlich geht es bei der Zusammenstellung einer Capsule Wardrobe aber darum, mit dem zu arbeiten, was du schon im Schrank hast – und dein Konsumverhalten achtsamer zu gestalten. Überlege dir jeden Kauf gut, ob nun aus dem Secondhand-Shop oder von einem nachhaltigen Label, und frage dich, ob du das Teil auch noch nach dem Ende der aktuellen Saison tragen wirst. Und vor allem: Kümmere dich gut um deine Klamotten, damit sie dir lange Freude bereiten – und vielleicht eines Tages auch jemand anderem.
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