Netflix’ neue Eigenproduktion Things Heard & Seen ist vieles gleichzeitig: eine Geistergeschichte, ein Familiendrama, ein Krimi-Thriller, und ein Liebesbrief an Kunstgeschichte und Spiritualismus – komplexe Themen, die das Ende des Filmes miteinander verwebt. Und zugegeben: Wenn du dich nicht unbedingt mit George Inness, einem amerikanischen Landschaftsmaler aus dem 19. Jahrhundert, und seiner Verbindung mit dem schwedischen Philosophen Emanuel Swedenborg auskennst, der im 18. Jahrhundert lebte, kann das Ende von Things Heard & Seen eindeutig verwirrend sein.
Die Namen von Inness und Swedenborg tauchen schon früh im Film auf. Dessen Geschichte dreht sich um Catherine (Amanda Seyfried) und George Claire (James Norton), die ihr winziges Apartment in Manhattan gegen ein rustikales Farmhaus im Hudson Valley austauschen, nachdem George dort an einem Kunst-College einen Job angeboten bekommt. Direkt von Anfang an scheint mit ihrem neuen Zuhause irgendwas nicht zu stimmen; sowohl Catherine als auch ihre Tochter Franny (Anna Sophia Heger) spüren eine geisterhafte Präsenz in dem alten Haus. George bleibt währenddessen erstmal skeptisch; selbst, als ihn sein Chef und Mentor Floyd DeBeers (F. Murray Abraham) zu seiner Arbeit über Inness’ spirituelle Gemälde lobt, die auf Swedenborgs Arbeit basieren, hat er dafür nur ein Schulterzucken übrig. „Genau damit hatte ich beim Schreiben die meisten Probleme“, sagt George.
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Dann ist er aber definitiv am falschen Ort. Wie auch Floyd betont, hat das Hudson Valley eine starke Verbindung zu Swedenborgs Lehren; 1817 wurde dort sogar eine religiöse Bewegung namens „The New Church“ gegründet. Floyd drückt George daraufhin ein Buch zum Thema in die Hände, dessen Cover Inness’ Gemälde „Valley of the Shadow of Death“ von 1867 ziert. Darauf reist ein Mann in einem Boot von der Welt der Lebenden ins Geisterreich, dessen Grenze mit einem brennenden Kreuz markiert ist. (Merk dir dieses Gemälde, das wird später nochmal wichtig.) Für Anhänger:innen der Swedenborg’schen Philosophie hat alles in der irdischen Welt ein spirituelles Gegenstück auf der „anderen Seite“, und der Vorhang zwischen beiden Reichen ist nicht so undurchdringlich, wie wir vielleicht vermuten.
In Things Heard & Seen nimmt diese Verbindung eine menschliche Form an – nämlich durch Ella Vayle, die vorherige Bewohnerin des Hauses, die brutal von ihrem missbräuchlichen Mann ermordet wurde. (Ihre überlebenden Kinder arbeiten schließlich sogar für Catherine und George und verbinden das Irdische und Überirdische im Film weiter miteinander.) Im Laufe des Films wird uns, dem Publikum – und auch Catherine – mit der Zeit klar, dass auch George nicht der Mann ist, der er anfangs zu sein scheint. George stellt sich als Betrüger heraus: Von seinem akademischen Grad bis hin zu den Gemälden, die er stolz in seinem Büro präsentiert, ist offenbar alles fake. Und während Catherine aus den Seelen in ihrem Haus Frieden und Inspiration schöpft, entlocken sie George hingegen seine schlimmsten Seiten, was ihn schließlich sogar zum zweifachen Mörder macht. Als Floyd begreift, dass George das Empfehlungsschreiben gefälscht hat, das ihm seinen Job einbrachte, schlägt George seinem Chef einen Bootsausflug vor, um reinen Tisch zu machen. Von diesem Trip kehrt jedoch nur George zurück.
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Währenddessen beschließt Catherine – die ihrem Lebenspartner gegenüber im Laufe des Films immer misstrauischer wird –, George endlich zu verlassen. Er erwischt sie allerdings jedoch auf der Flucht, betäubt sie… und ermordet sie auf brutale Art mit einer Axt. Um seine Schuld zu vertuschen, lässt er das Ganze jedoch wie einen fatalen Einbruchsversuch aussehen.
Trotzdem ist George noch nicht ganz in Sicherheit. Die eine Person, die ihn der Polizei melden könnte – Catherines Freundin Justine Sokolov (Rhea Seahorn) –, erwacht plötzlich aus ihrem Koma, nachdem sie zuvor von George von der Straße gedrängt worden war. Sie weiß, dass sich George seinen Job erschwindelt hat, weiß auch, dass er Floyd ermordet hat, um seine Spuren zu verwischen – und jetzt hat sie auch die nötigen Beweise, um ihn für Catherines Mord endgültig hinter Gitter zu bringen.
Während Georges Eltern in der Stadt sind, um sich um Frannie und George zu kümmern – der so tut, als würde er um Catherine trauern –, bekommt George überraschend eine Nachricht von Justine, von der er glaubte, sie sei dem Tode nah. Ihre Worte („Hi George, erinnerst du dich an mich? Ich erinnere mich an alles.“) bringen George ins Schleudern. Während der duscht und sich rasiert, hört er Stimmen – seine eigene? Von Geistern? –, die ihn auffordern, seinen Impulsen zu folgen. Die wiederum führen ihn nach Connecticut, wo sein Boot „Lost Horizon“ auf ihn wartet. George sticht in See, obwohl sich ein Sturm zusammenzieht. Währenddessen trifft sich Sheriff Laughton (Michael O’Keefe) mit Justine, die ihm vermutlich erzählen will, was sie weiß. In der irdischen Welt scheint das zwar keinen Unterschied mehr zu machen – schließlich ist George schon verschwunden –, doch wie schon einer der Swedenborg-Anhänger zu Catherine sagte: „Das Gute gewinnt immer. Immer. Wenn nicht in dieser Welt, dann in der nächsten.“
Während der Himmel über Georges Boot allmählich die orangen Töne aus Inness’ Swedenborg-inspiriertem Gemälde annimmt, verliert George schließlich die Kontrolle über das Ruder. Irgendetwas hält ihn auf direktem Kurs Richtung Tod – und während die Kamera langsam rauszoomt, zeigt sich uns das gesamte Gemälde: ein Segelboot, das zielstrebig auf einen feurigen Horizont zusteuert, mit einem leuchtenden Kreuz über den Gewitterwolken. Wie auch der Mann in Inness’ Gemälde verabschiedet sich George in seiner letzten Szene ins Geisterreich (das laut Swedenborg weder Himmel noch Hölle gleicht, sondern eine Art Zwischenraum ist), auf direktem Weg zur ewigen Abrechnung.
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