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Warum Netflix’ Monster! Monster? leider sein Ziel verfehlt

Foto: freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Netflix
Achtung: Spoiler für Netflix’ Monster! Monster? direkt voraus! Nicht lange nach dem Beginn von Netflix Monster! Monster? ist das titelgebende Wort auch schon zu hören. Steve Harmon (Kelvin Harrison Jr.) ist ein Schwarzer 17-jähriger Schüler, der in Harlem, New York, lebt und eine schicke High School besucht. Er betrachtet die Welt am liebsten durch seine Kamera. Als er unbeabsichtigt in einen Mordfall verwickelt wird, wird er vor Gericht gestellt. Plötzlich sieht er sich einem ungerechten Rechtssystem gegenüber, das über den Rest seines Lebens entscheiden wird. Der Film spielt während Steves Prozess. Mithilfe von Rückblenden werden Momente aus seinem Leben bis zu seiner Verhaftung gezeigt. Während der Verhandlung nennt der Staatsanwalt ihn und einen anderen Mann, der an dem Verbrechen beteiligt war, „Monster“, und versucht die beiden Männer als Unmenschen darzustellen.
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Schnell wird ohne jede Frage klar, dass Steve aber alles andere als ein Monster ist. Er hat eine Leidenschaft für Filme, liebt es, mit einer Kamera durch die Gegend zu laufen und die Welt damit festzuhalten. Er ist ein vorbildlicher Schüler. Er liebt seinen süßen kleinen Bruder. Er hilft seiner Mutter beim Kochen. Er ist nett zu seiner Freundin. Er spricht mit seinem Vater, der ein Künstler ist, über Grafikdesign. All diese Dinge machen Steves Charakter aus und verdeutlichen die Kernaussage des Films: Obwohl jedes Individuum eine (Vor-)Geschichte hat und als unschuldig gilt, bis das Gegenteil bewiesen werden kann, macht sich das US-amerikanische Rechtssystem immer wieder schuldig, wann immer es die nicht-weiße Bevölkerung deutlich härter bestraft.
Das Problem an Monster! Monster? ist, dass die anderen Schwarzen Charaktere, die in den Mordprozess verwickelt sind, nicht aus dieser Perspektive präsentiert werden. Ihre menschliche Seite bleibt unbeachtet. Wie der Film uns klar vor Augen führt, ist Steve kein Monster. Das ist es, wovon seine Anwältin (Jennifer Ehle) die Geschworenen überzeugen muss und was Steve immer wieder über sich selbst sagt. Während aber unter Beweis gestellt wird, dass er kein Unmensch ist, entmenschlicht der Film andere Schwarze Figuren und hält damit (vermutlich unabsichtlich) das Narrativ aufrecht, es gäbe „gute“ und „schlechte“ Schwarze Menschen.
Wie also bereits klar geworden ist, gehört Steve zu den „Guten“. Er ist jung und ehrgeizig und kommt aus einer mittelständischen Familie. Auf der anderen Seite bekommen wir den etwas älteren James King (Rakim „A$AP Rocky“ Mayers) zu sehen, der ein Bekannter von Steve ist und in der gleichen Nachbarschaft lebt. Steve ist ihm gegenüber zunächst misstrauisch, weil er einschüchternd wirkt. Doch als sich King ihm gegenüber als freundlich erweist, nutzt Steve ihn als Inspiration für seine Filmarbeit. In ihren gemeinsamen Szenen werden unterschiedliche Facetten von King gezeigt: Er teilt Weisheiten mit Steve. Er spielt Basketball. Er hat Freund:innen. Bei einer Partie Schach mit einem alten Mann im Park tauscht er Geschichten aus.
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Weil sich der Film um Steves Geschichte dreht, bleibt Kings Entwicklung aber bald auf der Strecke. Mit der Zeit stellt sich heraus, dass King und sein Cousin Bobo Evans (John David Washington) am Ladenraub beteiligt waren und er Steve dazu gezwungen hat, ihm zu sagen, ob jemand im Laden war. (Der Staatsanwalt beschuldigt Steve, Schmiere gestanden zu haben.)
Eine unglaubliche Erleichterung macht sich dank Harrisons großartiger Performance breit, als seine Figur am Ende freigesprochen wird. Kings Verurteilung wird jedoch nicht weiter thematisiert. Da dieser tatsächlich in den Raubüberfall verwickelt war, verdient er dieses Urteil natürlich. Sollten wir aber nicht auch mit ihm etwas Mitgefühl haben? Hat es eine tiefere Bedeutung, dass er Steve als Verräter sieht? Sahen die Geschworenen King als anonymes Schwarzes „Monster“ oder erteilten sie ihm bloß die Konsequenzen für das Verbrechen, das er auch wirklich begangen hat? King ist eine Figur, die es ohne Weiteres ermöglicht hätte, ein größeres Statement darüber zu machen, wie ungerecht Schwarze Amerikaner:innen oft von den Strafverfolgungsbehörden und dem Justizsystem behandelt werden, oder darüber, wie es überhaupt so weit gekommen war, dass er den Laden ausrauben wollte. Stattdessen verläuft seine Geschichte einfach im Sand. Steve scheint Kings Schicksal einfach hinzunehmen. Dabei hatte er doch eine Beziehung zu ihm aufgebaut, in der er vor allem lernte, niemals voreilige Schlüsse zu ziehen. Was ist aus dieser Lektion geworden?
Dann wäre da auch noch, wie der Film Bobo und dem Teenie namens Osvaldo Cruz (Jharrel Jerome) darstellt. Bobo sehen wir vor dem Raubüberfall kaum. Zudem wird er als typischer Bösewicht gezeigt, der tough aussieht und kaum ein Wort mit Steve spricht, als King ihn vorstellt. Während der Verhandlung taucht Bobo nur auf, weil er aufgrund früherer Vergehen im Zeugenstand ist. Während King zu jenen „Bösen“ gehört, die auch positive Eigenschaften haben, ist Bobo einfach nur „böse“. In einem Film, der vor Augen führen will, dass wir alle eine (Vor-)Geschichte haben und wie wichtig es ist, dem Kontext, der zu bestimmten Handlungen führt, Aufmerksamkeit zu schenken, ist diese Darstellung eine fragwürdige Wahl.
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Was Cruz betrifft, so ist er ein Teenager aus Steves Nachbarschaft, der ihn mobbt. Er ist gemein zu Steve. Er ist Teil einer Gang. Er ist jung und der ganzen Sache nicht gewachsen. All das scheint gleichbedeutend damit zu sein, dass wir mit ihm auch nicht allzu viel Mitleid empfinden sollten. Immerhin ist all das dem „guten“ Steve vorbehalten. Natürlich gibt es in diesem Fall tatsächlich Schuldige, aber der Film geht nicht ausreichend darauf ein, was wir von ihnen halten sollen.
Monster! Monster? basiert auf dem gleichnamigen Jugendroman von Walter Dean Myers aus dem Jahr 1999. Während sich die Adaption der Autor:innen Radha Blank, Cole Wiley und Janece Shaffer inhaltsmäßig nicht allzu weit vom Buch entfernt, wird in Myers' Werk die Figur des King genauer beleuchtet. Da King und Steve zur gleichen Zeit vor Gericht stehen, spielt im Buch auch Kings Anwalt Asa Briggs (Dorian Missick) eine größere Rolle, während wir ihn im Film kaum zu sehen bekommen. Im Roman werden auch folgende Punkte genauer untersucht: die Bedeutung von Steves Verwicklung in das Verbrechen (im Buch wird sie deutlicher beschrieben), seine Gefühle in Hinblick auf seine eigene Unschuld und mögliche Gründe dafür, warum er überhaupt in diese Situation geraten ist.
Dem Film Monster! Monster? sollte auf jeden Fall hoch angerechnet werden, dass er die Tatsache betont, dass Anwälte ihre eigenen Vorurteile haben und es so bei Schwarzen Menschen unverhältnismäßig oft zu ungerechten Urteilen kommt. Laut einer Studie der Michigan State University aus dem Jahr 2017 ist die Wahrscheinlichkeit, dass Schwarze Gefangene, die wegen Mordes verurteilt wurden, unschuldig sind, um 50 Prozent höher ist als bei anderen, die aus dem gleichen Grund im Gefängnis sitzen. Auch bei anderen Verbrechen gibt es höhere Raten von Fehlurteilen. Zum Beispiel werden unschuldige Schwarze Personen bei Drogenvergehen zwölfmal häufiger verurteilt als weiße Menschen.
Da wir wissen, dass King tatsächlich schuldig ist, stellt sich folgende Frage: Welche andere Botschaft sollen wir mitnehmen, als die, dass junge Schwarze Männer aus guten Familien ihre Unschuld beweisen können, während andere nicht dazu in der Lage sind? Wenn es darum ginge, dass jemand wie Steve frei herumläuft, während jemand wie King es nicht tut – unabhängig von seiner Schuld –, wäre das eine Sache, aber der Film versäumt es, auf diesen Unterschied einzugehen. Leider untergräbt Monster! Monster? seine eigene Prämisse, obwohl es viel mehr zu untersuchen und eine klaren Möglichkeit für eine nuanciertere Darstellung der Charaktere gegeben hätte.
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