ChatGPT ist TikToks neuer virtueller Stylist

Vor Kurzem entschied sich Lacey Byrne aus dem kanadischen Toronto dazu, sich wie ein „It-Girl“ kleiden zu wollen, inspiriert von Trendsetter:innen wie Kendall Jenner und Bella Hadid. Wie bei vielen Ästhetik-Trends fiel es ihr aber auch hier schwer, die digitale Fantasie in den realen Alltag zu übertragen. „Ich sehe die Trends, aber wie kann ich sie wirklich anziehen?“, fragte sie sich oft, als sie versuchte, die Trends von ihrem Smartphone-Bildschirm in ihren Kleiderschrank zu bringen. Anstatt sich aber auch diesmal wieder den Kopf über jedes kleine Detail zu zerbrechen, beschloss Byrne, es mal mit einem unkonventionellen Styling-Tool zu versuchen: ChatGPT.

„ChatGPT schaffte es, die Lücken zu füllen“, erzählt Byrne gegenüber Refinery29. „Es ermöglicht mir, diese Ästhetik-Trends in die Realität umzusetzen.“

Byrne ist nicht die Einzige, die sich von künstlicher Intelligenz bei alltäglichen Styling-Problemen helfen lässt. Auf TikTok bringen es Videos zum Thema „chat gpt fashion“ auf mittlerweile über fünf Milliarden Views, und zahllose Creators testen, ob das Tool bei der Outfit-Suche wirklich hilft. Die Ergebnisse sind durchwachsen. Obwohl uns Technologien aller Art zwar schon seit Jahrzehnten beim Styling helfen – denk nur mal an Pinterest oder Schrank-Orga-Apps –, bietet uns künstliche Intelligenz nicht nur einseitige Inspiration, sondern einen zweiseitigen Austausch, der gleichzeitig faszinierend und irgendwie bizarr ist.

ChatGPT (erschaffen von der Tech-Firma Open AI) erschien letztes Jahr als neueste Form eines früheren KI-Modells namens InstructGPT. Seine größte Besonderheit ist das Chat-Interface, das es Nutzer:innen erlaubt, Fragen zu stellen und Informationen abzufragen. So kannst du laut Open AI zum Beispiel Aufforderungen eintippen wie: „Erkläre mir Quantencomputer in einfachen Worten“, woraufhin die künstliche Intelligenz eine 119 Wörter lange Zusammenfassung erstellte.

ChatGPT ist in diversen Berufsfeldern unheimlich nützlich – im Marketing, in der Mathematik, in der Software-Entwicklung, im kreativen Schreiben, und so weiter. Das Wall Street Journal hat vor Kurzem berechnet, dass die Anwendung in 20 Prozent aller Jobs die Aufgaben sogar um die Hälfte reduzieren könnte. (Dennoch bleibt all das nicht ohne Kontroversen: Wegen Datenpannen wurde die Plattform in Italien vorübergehend gesperrt, und in den USA wurde Beschwerde bei der staatlichen Handelskommission eingereicht.)

Auch die Welt der Mode dürfte durch ChatGPT und künstliche Intelligenz allgemein nie wieder dieselbe sein. „Ich finde das wirklich interessant, weil Style eigentlich etwas sehr Persönliches ist, aber doch einige pragmatische Aspekte hat“, meint die Content Creator Rachel Schwab, die sich von ChatGPT vor Kurzem ein Outfit zusammenstellen ließ, mit dem sie durch New York spazieren wollte. Obwohl es Schwab zufolge in der Mode diverse Aspekte gibt, die mit Geschmack und Persönlichkeit zusammenhängen, spielen bei der Wahl eines Outfits eben auch funktionale Elemente wie Ort, Wetter und Anlass eine Rolle – und bei denen kommt ChatGPT ins Spiel.

Für ihr Experiment, das sie auf TikTok teilte, fragte Schwab ChatGPT: „Wie sollte ich schwarze Ballerinas in New York City stylen?“ Die künstliche Intelligenz lieferte ihr eine detaillierte, stichpunktartige Antwort, zu der unter anderem Tipps gehörten wie: „Entscheide dich für Jeans“, oder: „Füge ein Statement-Piece hinzu“, um zu New Yorks „vielseitiger, gewagter Fashion“ zu passen. „Ich wollte herausfinden, ob mir ChatGPT ein echtes Ergebnis, ein gutes Outfit liefern würde“, erinnert sie sich. „Und ich war total überrascht.“ Am Ende trug Schwab ein bequemes, aber stylisches Outfit: ein gestreifter Sweater, blaue Jeans, schwarze Ballerinas, und eine Daunenjacke. Das wirkt vielleicht wie ein Basic-Outfit, war aber laut Schwab „exakt das, was ich an dem Tag brauchte“.

Die Content Creator Rae Hersey betrachtet die Styling-Möglichkeiten von ChatGPT wie „den Schrank aus Clueless“, die fiktive Computer-Software, die der Protagonistin des Films jeden Tag zahlreiche Outfit-Optionen anbot. Wie auch Byrne empfindet es Hersey als ziemlich anstrengend, jeden Tag neue Outfits zu kreieren; deswegen fand sie es interessant, ChatGPT als Styling-Tool auszuprobieren. „Ich träume einfach davon, so viele Kombinationen [meiner Klamotten] präsentiert zu bekommen, die mir selbst nie eingefallen wären“, erzählt Hersey. Leider fehlt es ihr dahingehend noch an Möglichkeiten zur Personalisierung. „Ich gab Begriffe wie ‚trendy‘, ‚süß‘ und ‚edgy‘ ein, war mir aber nicht sicher, ob ich ChatGPTs Meinung dazu, was die bedeuten, wirklich vertraue“, sagt sie. „Ich glaube, es ist schwer, einen ganz individuellen Look durch ChatGPT zu bekommen.“

Auch die Content Creator und Vintage-Verkäuferin Siena Filippi hatte keine großen Erwartungen, als sie das Tool zum ersten Mal zum Styling ausprobierte. „Ich wollte eigentlich nur ein bisschen Spaß dabei haben und testen, ob es alle Infos aufnehmen kann, die ich ihm gebe, und daraus etwas Sinnvolles erstellen kann“, erzählt Filippi. In ihrem TikTok-Video forderte sie ChatGPT dazu auf, ihr zu erklären, wie sie sich wie ein „trendy Pinterest-Girl in New York City“ anziehen könne, deren Outfit cool genug wäre, um noch „instagrammable“ zu sein. Die KI schlug ihr daraufhin eine hoch geschnittene Mom-Jeans mit einem Print-T-Shirt mit einem Spruch oder einem Design darauf vor, kombiniert mit einem schwarzen Oversized-Blazer, klobigen Springerstiefeln oder Plateau-Sneakern, goldenen, geometrischen Ohrringen, und einem schwarzen Lederrucksack. „Ich war beeindruckt von dem Ergebnis, aber es war nicht unbedingt etwas, von dem ich sagen würde: ‚Oh, das würde ich sofort tragen‘“, meint sie.

Weil ChatGPT in Sachen Mode daher offensichtlich noch ein wenig hinterherhinkt, haben Sheena Virmani und Tianna Going eine chatbasierte KI-Styling-App entwickelt, die bald in ihrer Beta-Version online geht und Styling-Vorschläge an den individuellen Geschmack der Nutzer:innen anpasst. „Wir haben mit einem Team aus Software-Entwickler:innen und Stylist:innen zusammengearbeitet, um ein Datenset für diese App zu entwickeln, die Styling-Ratschläge, Shopping-Links und Moodboards zusammenstellt“, erklärt Virmani. Wie auch ChatGPT setzt die App namens Lewk auf ein Messaging-Interface, das es Nutzer:innen erlaubt, mit der künstlichen Intelligenz zu chatten, Informationen einzufordern, Feedback zu geben und Fragen zu stellen. Lewk hat aber eine Besonderheit: „Uns war wirklich wichtig, dass die App personalisiert und nützlich ist. Deswegen haben tatsächliche Stylist:innen daran mitgearbeitet.“

Lewk ist also ein Menschen-KI-Hybrid und könnte ein echter Gamechanger für sein. „Unser Ziel ist es, dass Nutzer:innen der App alle wichtigen Infos mitteilen: Welcher Style gefällt ihnen? Welche Labels mögen sie? Welche Farben wünschen sie sich?“, erklärt Going. „Dann können wir anfangen, diesen individuellen Geschmack zu verstehen – und Shopping-Optionen anzubieten.“

Obwohl die künstliche Intelligenz beim Styling also viele aufregende Möglichkeiten bietet, sind die Ergebnisse bisher leider eher durchwachsen. „Aktuell würde ich sagen, dass es zwar Spaß macht, aber nicht zu meinem Alltag gehört“, erzählt Hersey. Schwab ist bereit, der KI beim Styling nochmal eine Chance zu geben, wenn die Tools weiter fortgeschritten sind. „Natürlich fehlt dem Ganzen noch das Menschliche. Es ist nicht perfekt, aber eine tolle Ressource“, meint sie.

Byrne hingegen hatte mit ihrem „It-Girl“-Outfit-Experiment definitiv Erfolg – so viel sogar, dass sie sich mit ihren Styling-Entscheidungen selbstbewusster fühlte, wenn sie sich dazu auf ChatGPT verlassen hatte. „Seitdem habe ich meinen Horizont erweitert und bin kreativer bei der Outfit-Wahl“, sagt sie. „ChatGPT inspiriert mich jedes Mal aufs Neue.“