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Ich bin queer, hasse Kleider & heirate trotzdem im Brautkleid

Foto: Bailey Quinlan.
Nachdem ich mich im November 2019 verlobt hatte, wusste ich zwei Dinge ganz genau: Ich würde die Liebe meines Lebens heiraten – und bei der Suche nach einem Outfit für die Hochzeit garantiert verzweifeln. Ich bezeichne mich selbst gerne als „Lederjacken-Lesbe“: Ich identifiziere mich als genderqueere androgyne Frau (meine Pronomen sind sie/ihr), und ich fühle mich am wohlsten mit farbenfrohem Make-up im Gesicht und einem „einschüchternden“ Outfit (soll heißen: Springerstiefel und Netzstoff).
Ich habe seit Jahren kein Kleid mehr getragen, doch fühlt sich ein Hosenanzug für mich auch nicht richtig an. Mit Jumpsuits habe ich ein schönes Mittelding gefunden – wie zum Beispiel den Overall, den ich zu meiner kleinen Zoom-Zeremonie 2020 anhatte, mehrere Jahre vor der „offiziellen“ Hochzeitsfeier diesen August. Und für diese große Feier hatte ich mir etwas Klassisches und Zeitloses wie Lauren Morellis maßgeschneiderten Christian-Siriano-Jumpsuit vorgestellt, inklusive luftigem Cape, tiefem V-Ausschnitt und einem wunderschönen Kragen voller Perlen und Kristalle. 
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Bei meinem ersten Termin in einer Boutique wurden mir einige Dinge klar, nachdem ich diverse Outfits anprobiert hatte: 1) Ich wünschte mir einen Look in gebrochenem Weiß mit Perlen und Tüll, 2) es gab keine Jumpsuit-Alternativen zu zeitlosen Hochzeitskleidern (sondern eher Jumpsuits für Junggesellinnenabschiede oder Verlobungspartys), und 3) hasste ich das Gefühl, mich als Prinzessin zu verkleiden. Noch dazu kostete das Cape, in das ich mich verliebt hatte, viel mehr als mein Budget für das gesamte Outfit. Ich fuhr also von dem Termin nach Hause und fing an zu weinen.
Etwa einen Monat später buchte ich mir einen Termin bei BHLDN (das Label gehört zu Anthropologie). Meine Stylistin dort war total begeistert von meiner Jumpsuit-mit-Cape-Fantasie, und ich verliebte mich sofort in einen elfenbeinfarbenen Jumpsuit mit V-Ausschnitt und weitem Bein von Sachin & Bambi, den ich mit einem transparenten Cape von Jenny Yoo kombinierte. Obwohl der Jumpsuit – der meinen Sanduhr-Kurven schmeichelte – zwar weder Perlen noch Tüll hatte, das Cape nur fast perfekt war und das ganze Ensemble weniger royal aussah, als ich mir erhofft hatte, hatte ich doch das Gefühl, mit diesem Look meiner ursprünglichen Vision so nah wie nur möglich zu kommen.
Und dann bat mich meine Stylistin darum, ihr zuliebe doch einfach mal ein Brautkleid anzuprobieren.
Foto: Bailey Quinlan.
Das Kleid, das sie für mich raussuchte, war roséweiß, hatte eine filigrane Perlenverzierung und einen tiefen Rückenausschnitt, ein ähnlich tiefes V-Dékolleté und einen fließenden Tüllrock. Ich zog es ganz vorsichtig an und traute mich kaum, den Blick in den Spiegel zu werfen, weil ich mir so sicher war, das Kleid sei eine furchtbare Wahl für mich. Als ich mich dann aber doch dazu überwinden konnte, schnappte ich hörbar nach Luft. Das Spiegelbild, das ich dort sah, war nicht die hübsche Prinzessin, die ich unbedingt vermeiden wollte – sondern die elegante, mächtige Königin meiner Träume. Als ich den Gang entlangschlenderte, um mich an die Schleppe zu gewöhnen, musste ich laut kichern und rief: „Ich fühle mich wie Cersei, Königin der sieben Königslande!“
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Als ich danach meiner Stylistin erzählte, dass ich einen gewissen Druck empfand, einem bestimmten Bild entsprechen zu müssen, fiel sie mir ins Wort: „Nein, das ist deine Hochzeit. Du solltest aussehen wie du!“ Ich huschte also zurück in die Umkleidekabine und zog mir das Kleid erneut an. Diesmal klebte ich mir ein paar Strasssteine ins Gesicht (ja, ich habe für den Notfall immer welche dabei), trug einen malvenfarbenen Lippenstift auf, atmete einmal tief ein und aus und schaute mich dann in der Umkleidekabine selbst im Spiegel an. Dann fing ich gleichzeitig an zu weinen und zu lachen. Die Person, die mir da aus dem Spiegel entgegenblickte, war weder „zeitlos“ noch „klassisch“, sondern etwas viel Besseres – sie war königlich heiß, und sie war ich.
Das Kleid und der Jumpsuit kosteten mich zusammen rund 1.900 Euro. Damit blieben mir noch etwa 1.400 Euro für Änderungen und Schuhe. Ich erinnerte mich daran, dass ich es als queere Person niemandem schuldig war, einem bestimmten Bild von Androgynie zu entsprechen. Wenn mir dieses Kleid also ein gutes Gefühl gab, bedeutete Androgynie an meinem Hochzeitstag eben genau das. Ich zahlte und verließ das Geschäft glücklich grinsend mit Kleid und Jumpsuit im Arm.
Das Problem mit meinem Gender-Selbstausdruck im Kontext einer Hochzeit war also nie das Brautkleid gewesen – sondern der endlose Druck, einem der Adjektive der heteronormativen Hochzeitsbranche entsprechen zu müssen. Dabei musste ich in Wahrheit ja gar nicht wie etwas oder jemand Bestimmtes aussehen. Stattdessen sollte ich mich einfach nur wie die beste, glücklichste Version meiner selbst fühlen – eine, die die Liebe ihres Lebens heiraten würde. Und das eben in einem Hochzeitskleid.
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Als ich an meinem großen Tag dann den Gang zum Altar entlangschritt, trug ich also ein perlenbesticktes Kleid mit glitzernden, goldfarbenen High Heels und einem Gesicht voller Strasssteine. Später am Abend schlüpfte ich dann in einen sexy elfenbeinfarbenen Jumpsuit und ein Paar weiße Loafers, mit denen ich die ganze Nacht durchtanzen konnte. Und in jeder Minute dieses Tages fühlte ich mich dabei genau so, wie ich es mir an meinem Hochzeitstag gewünscht hatte: so wie ich.
Foto: Bailey Quinlan.
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