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Wenn du mich fragst, woher ich „wirklich komme“, bekommst du kein 2. Date

Foto: Tanyel Mustafa.
Mir wurde schon häufiger gesagt, ich hätte einen für meine Stadt „sehr typischen“ Dialekt. Außerdem habe ich olivfarbene Haut, dunkle Augen und dunkle Haare. Wie durch Zauberei scheint mein Aussehen meinen Dialekt aber völlig verschwinden zu lassen. Das habe ich bei mehreren Dates während meiner 20er feststellen müssen. Lass es mich erklären.
Da wäre zum Beispiel ein Typ, den ich vor ein paar Monaten über eine Dating-App kennengelernt habe. Wir chatteten ein bisschen, bemerkten ein paar Gemeinsamkeiten, alberten rum, und verabredeten uns schließlich zu einem Drink. Seine Nachrichten klangen intelligent und wir kamen direkt in einen interessanten Dialog. Er kam darin selbstsicher und eigenständig rüber. All das fand ich sehr attraktiv – und es war auch eine Weile her gewesen, seit ich es in einer Dating-App zuletzt mit jemandem über die langweilige Smalltalk-Stufe hinaus geschafft hatte. Aufgeregt stylte ich mich also ein bisschen auf, schminkte meine Augen ein bisschen dunkler als sonst (und griff beim Lippenstift zu einem Nude-Ton anstatt zu einer dunkleren Farbe, sollte es zum Kuss kommen), und machte mich auf den Weg in die Innenstadt. Wir trafen uns in einem Pub, bestellten uns einen Wein, und ich war – zum ersten Mal seit Langem – sehr optimistisch. Doch dann öffnete er seinen Mund und stellte mir die berüchtigte Frage, die alle ethnischen Minderheiten schon mal gehört haben, und die vielen von uns einen kalten Schauer den Rücken hinabjagt.
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„Wo kommst du her?“
„Von hier.“ 
„Nein, ich meine, wo kommst du wirklich her?“
In diesem Moment wünschte ich mir, ich hätte mir die Mühe erspart und läge jetzt stattdessen bequem in meinem Bett. Ich hörte ihm daraufhin auch kaum noch zu, weil ich zu sehr von der Mischung aus Frust, Langeweile und Wut abgelenkt war, die in mir hochkochte.

Wenn die erste Frage, die jemand mir stellt, die ist, wo ich denn herkomme, beweist mir das vor allem, dass mich diese Person als anders wahrnimmt.

Das Ganze erinnerte mich an ein Video-Date, das ich während der Pandemie hatte. Bevor er mich überhaupt fragte, wie es mir ging, stellte er mir dieselbe Frage. Als ich auch darauf antwortete, ich komme von hier, ergänzte er: „Na gut, woher kommen dann deine Eltern?“ Erleichtert darüber, dass ich für dieses Date weder Geld ausgegeben hatte noch irgendwohin gefahren war, legte ich auf, nachdem ich ihn darüber informiert hatte, dass auch meine Eltern von hier kommen.
Ich wurde schon von unzähligen Männern direkt nach dem ersten Kennenlernen gefragt, wo ich denn herkomme. Jedes Mal war mir dann sofort klar, dass auch dieser Kerl wohl nichts für mich war, wenn er scheinbar nicht gerafft hatte, wie beleidigend und engstirnig diese Frage klingt. Sie ist nämlich nicht bloß verletzend, sondern gibt dem Gegenüber auch das Gefühl, nicht hierher zu gehören, und ist ein eindeutiges Anzeichen für diverse Vorurteile.
Sobald ich auch nur die ersten Worte dieser verhassten Frage höre, zieht sich in mir etwas zusammen, und ich verspüre den starken Drang, meinem Gegenüber den Mund zuzuhalten, bevor sämtliche Anziehungskraft ganz schnell verpufft.
Ich gehöre in diese Stadt, weil ich hier geboren bin. Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht (mit Ausnahme meiner Studienzeit). Ich kenne die Kultur und das Leben hier. Wann immer ich die Stadt verlasse und bei der Rückkehr die vertraute Silhouette am Horizont sehe, wird mir innerlich ganz warm. Das liegt daran, dass es mein Zuhause ist. Und trotzdem wird dieses Zuhause immer wieder von Männern aus Dating-Apps hinterfragt, die ich kaum kenne.
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Als türkisch-zypriotische Frau, deren Familie schon seit drei Generationen hier lebt, fühle ich mich manchen Teilen meiner Abstammung nicht immer so stark verbunden. Klar, ich liebe türkisches und zypriotisches Essen – wie Kofte (Fleischbällchen) und Firin Makarna (ähnlich einer Lasagne). Aber ich war bisher nur zweimal auf Zypern – an das erste Mal kann ich mich kaum noch erinnern, weil ich so klein war –, und von der Türkei kenne ich nur die Strand-Resorts, in denen meine Eltern mit mir in meinen frühen Teenagerjahren Urlaub machten, um „ein bisschen Sonne zu bekommen“. Wir haben dort keine Verwandten, abgesehen von meinem Großvater, der erst dorthin zurückzog, als ich schon erwachsen war.
Eine Identität zu entwickeln, wenn die eigene Familie schon seit Generationen hier lebt, kann schwierig sein. Das geht auch Freund:innen von mir so, die eine ähnliche Familiengeschichte haben, und das ist beruhigend. Ich spreche nicht gut Türkisch, und während meiner Jugend hatte ich Schwierigkeiten damit, meine Werte mit denen einiger Verwandter zu vereinbaren, die noch nicht so „verwestlicht“ sind, wie sie sagen. Wenn ich in der Gesellschaft meiner erweiterten Familie bin, habe ich außerdem oft das Gefühl, nicht türkisch genug zu sein. Das wiederum können viele, die weiße Haut haben oder deren Identität nie infrage gestellt wurde, nicht nachvollziehen.
Meine Identität wurde schon häufiger angezweifelt, als ich noch mitzählen könnte. In der Schule sagte mir mal jemand, weil mein „Blut nicht von hier“ sei, gehöre ich nicht wirklich hierhin. Ich verdrehte meine Augen, weil ich genau wusste, was das für ein Quatsch war; trotzdem zeigte es mir schon sehr früh, dass ich hier nie komplett „dazugehören“ würde. Während des Studiums sagte mir das ein Typ auch mal ganz direkt und wurde dabei so unfreundlich, dass ich ihn aufforderte, doch mal bitte einen Blick in meinen Reisepass zu werfen, bevor ich ihn aus meinem Zimmer schmiss.
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Wenn die erste Frage, die jemand mir stellt, die ist, wo ich denn herkomme, beweist mir das vor allem, dass mich diese Person als anders wahrnimmt. Das macht mich wütend. Obwohl es natürlich völlig okay ist, über meine Wurzeln zu sprechen – und das tue ich auch gerne! –, sind das Timing, der Kontext und die verwendeten Worte dabei absolut entscheidend. Man sollte doch meinen, dass wir inzwischen in einem Zeitalter leben, in dem niemand mehr derart ignorant sein kann – vor allem in einer Großstadt.

Meine Abstammung ist ein Teil des Puzzles, aus dem ich bestehe – aber eben nicht das ganze Ding, und auch nicht der Blickwinkel, aus dem ich betrachtet werden möchte.

Deswegen kann es mir ein Date sofort ruinieren, wenn ich gefragt werde, wo ich herkomme. Innerhalb der ersten fünf Minuten eines Dates derart als „anders“ abgestempelt zu werden, ist ein Schlag in die Magengrube. Noch dazu ist es keine sonderlich kreative Frage, oder? Von all den Optionen, mit denen du ein Gespräch einleiten könntest, wirkt diese nicht besonders einfallsreich. Einmal tat ich nach dieser Frage so, als wüsste ich nicht, was der Typ meinte, und erläuterte im Detail, wo genau ich in dieser Stadt geboren und aufgewachsen war. Irgendwann kapierte er es und lenkte das Gespräch peinlich berührt in eine andere Richtung. Bei einem anderen Date korrigierte ich den Mann und entgegnete: „Du meinst, was ist meine Ethnizität?“
Meine Abstammung ist ein Teil des Puzzles, aus dem ich bestehe – aber eben nicht das ganze Ding, und auch nicht der Blickwinkel, aus dem ich betrachtet werden möchte. Wenn mich jemand auf meine Wurzeln reduziert, kann es nämlich sein, dass sich mein Gegenüber daraus gewisse stereotypische Vorurteile über mich bildet – zu meinen religiösen Ansichten, meiner Familiendynamik, meiner Zukunftsvorstellungen, und so weiter. Schlimmstenfalls kann es sogar passieren, dass sie mich fetischisieren. Das passiert Menschen, die einer Minderheit angehören, immer wieder. Frauen of color werden auch in Dating-Apps so oft auf ihre Abstammung oder ihr Aussehen reduziert und sexualisiert, als „exotisch“ bezeichnet oder direkt ignoriert. Es gibt sogar Studien dazu, die zeigen, dass sie seltener angeschrieben werden.
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Es ist schwer, irgendetwas zu beweisen, aber bei manchen Männern hatte ich direkt ein schlechtes Gefühl, wenn sie sich derart auf meine Abstammung fokussierten oder ich erfuhr, dass auch ihre Ex-Partnerinnen aus dem mediterranen Raum stammen. Ein Typ sagte mir, seine Ex hieße genauso wie ich. Ein anderer schien anhand seiner Instagram-Fotos nur Frauen mit olivfarbener Haut zu daten. Ein anderer meinte direkt, ihm gefiele mein Hautton. Einer schlug vor, mich in einem türkischen Restaurant zu treffen, und erklärte dann, er sei ein „Mann von Welt“, weil er schon in verschiedenen Ländern gelebt (und Sex gehabt) habe. Bei Männern, die hingegen bisher nur blonde, weiße Frauen gedatet haben, mache ich mir wiederum Sorgen, ich sei für sie einfach ein Punkt auf der Liste der Dinge, die sie mal erleben wollen.
Ich wünschte, ich könnte all diesen Männern sagen: Es wäre besser, erst später im Gespräch nach meinen Wurzeln zu fragen – und zwar respektvoll. Wenn du es unbedingt wissen willst, kannst du zum Beispiel, was mein Name bedeutet, und zumindest „Ethnizität“ oder „Abstammung“ verwenden, anstatt einfach nur „woher“ zu benutzen. Oder noch besser: Warte, bis ich von selbst darauf zu sprechen komme. Ich habe mich immer wohler damit gefühlt, wenn ich selbst entscheiden konnte, wann das Thema aufkommt. Und ich weiß, dass das auch Freund:innen so geht. Ich habe mich schon immer gefragt, was mein Gegenüber eigentlich davon hat, zu wissen, dass ich türkisch-zypriotischer Abstammung bin – willst du mir einfach bloß erzählen, dass du da schon mal im Urlaub warst, oder willst du dir ein bestimmtes Urteil zu mir bilden?
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Natürlich erlebe ich sowas aber nicht bei jedem Date. Viele Männer wissen, dass sie dahingehend lieber die Klappe halten, und das sind dann auch die Männer, die mich eher nochmal treffen. Und dann können wir vielleicht beim zweiten Date ein Lahmacun (türkische Pizza) essen und drüber sprechen.
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