Ich weiß noch, wie sehr sich meine großen Freundinnen freuten, als Dating-Apps wie Bumble endlich die Körpergrößen-Angabe einführten. Denn bis dahin hatten sie als große Frauen immer nur zwei Optionen gehabt:
1. Entweder konnten sie ihre potenziellen Dates vor dem ersten Treffen verlegen fragen, wie groß sie eigentlich waren – und versuchen, dabei nicht total unhöflich zu klingen…
2. … oder geduldig bis zum tatsächlichen Date warten, in dem Wissen, dass sie nicht auf den Kerl stehen würde, wenn er kleiner war als sie selbst.
2. … oder geduldig bis zum tatsächlichen Date warten, in dem Wissen, dass sie nicht auf den Kerl stehen würde, wenn er kleiner war als sie selbst.
Bei mir war das aber immer anders. Obwohl ich schon als „groß“ gelte, solange ich mich erinnern kann – und auf jedem Klassenfoto immer in der letzten Reihe stehen musste, weil ich mit 17 schon 1,79 m groß war –, hat mich die Körpergröße meiner Partner nie gekümmert.
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Zumindest bis vor Kurzem. Aber dazu komme ich gleich.
Meine erste Liebe war ein sonnengebräunter Musiker mit langem, goldenem Haar und unzähligen Sommersprossen, der mir Lieder schrieb, so viele Avocado-Toasts machte, wie ich wollte und mit mir an den Strand fuhr. Er war circa einen Zentimeter größer als ich, und das war mir völlig egal. Seine Größe fiel mir nur in bestimmten Momenten auf – zum Beispiel, wenn wir händchenhaltend die Straße hinabliefen und dabei unsere Schultern aneinanderrieben, oder wenn ich im Kinosessel weiter nach vorne rutschen musste, um meinen Kopf auf seine Schulter legen zu können, oder wenn mich andere Mädchen drauf ansprachen.
„Es stört dich nicht, dass er genauso groß ist wie du?“, fragten sie mich.
„Nein, nicht wirklich“, antwortete ich. „Ehrlich gesagt fällt mir das kaum auf.“
Von dieser Gleichgültigkeit waren sie immer überrascht, und teilten mir daraufhin mit, sie „könnten das ja nie“, weil sie sich neben ihren Partnern gerne „klein fühlten“, vor allem in intimen Momenten. Damals dachte ich mir dabei nicht viel und war weiterhin extrem in meinen Gitarre spielenden, fast genauso großen Freund verliebt.
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Die Mainstream-Darstellung heterosexueller Intimität ist immer eine Frau, die kleiner ist als ihr Partner. Oft ist sie dabei sogar so klein, dass er sie vermutlich locker hochheben könnte.
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Rückblickend fällt mir auf, dass ich jedes dieser Gespräche über die Körpergröße im Dating-Kontext mit Frauen über Männer führte. In heterosexuellen Beziehungen scheinen die meisten cis Frauen ausschließlich cis Männer daten zu wollen, die größer sind als sie selbst. Der Grund dafür ist immer derselbe: Sie fühlen sich gerne „klein“.
Das kann ich mir nur dadurch erklären, dass Frauen in der Vergangenheit traditionell vermittelt wurde, ihre Körper immer nur im Verhältnis zu Männern zu betrachten. Die Mainstream-Darstellung heterosexueller Intimität ist immer eine Frau, die kleiner ist als ihr Partner. Oft ist sie dabei sogar so klein, dass er sie vermutlich locker hochheben könnte. Diese „Kleinheit“ betrifft dabei meist nicht nur die Körpergröße, sondern auch das Körpergewicht: Mir fällt kein einziges positiv dargestelltes heterosexuelles Pärchen in Filmen, Büchern oder Serien ein, bei dem die Frau größer oder schwerer ist als der Mann.
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Dann wären da noch die ganzen stereotypischen romantischen Dinge, die du als Frau in einer Beziehung mit einem Mann machen kannst – wie das Tragen seiner T-Shirts oder seiner Jeans. Kombinier die Jeans mit schicken Schuhen, und schon hast du nicht nur einen lässigen Look, sondern auch einen Freund, der bei euch offensichtlich der große Löffel ist. Der absolute Hetero-Traum! Von Mainstream-Lovestorys wird uns vermittelt, uns auf genau diese Momente zu freuen. Aber was, wenn du diesen Moment dann erreichst und das T-Shirt zu klein, die Jeans zu kurz ist?
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Wenn ich mit jemandem rumgemacht habe, der oder die kleiner ist als ich, habe ich dabei nie über Körpergröße nachgedacht. Oder über das Gewicht. Wenn ich wirklich auf jemanden stehe, kommt mir das einfach nie in den Sinn.
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Ich will nicht lügen: Diese Erfahrung machte ich in meiner allerersten Beziehung, und ich war sehr wohl enttäuscht. Weil ich zu dem Punkt schon seit etwa einem Jahrzehnt jede Hilary-Duff-RomCom verschlungen hatte, hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als das T-Shirt meines Freundes wie ein Kleid zu tragen, wenn er gerade nicht da war. Meine Liebe zu ihm war aber glücklicherweise größer als meine Unsicherheit rund um meinen eigenen Körper in seinen Klamotten.
Mir ist klar, dass das nicht allen so geht, und auch ich habe schon mit meinem Körper und seiner Größe gehadert. In manchen Momenten meiner Single-Phasen habe ich mich dann doch für meinen Körper geschämt. Immerhin wird uns dieses Schamgefühl eingetrichtert, ganz nach dem Motto: Um erfolgreich zu sein, müssen wir geliebt werden. Um geliebt zu werden, müssen wir attraktiv sein. Und um attraktiv zu sein, müssen wir klein und dünn sein. Ich fühlte mich als Single manchmal unsicher, und es fiel mir nur viel zu leicht, dafür meinen Körper verantwortlich zu machen.
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Dabei hatten mir die intimen Momente mit meinem ersten Freund schon gezeigt, dass mit meinem Körper überhaupt nichts „falsch“ war. Als wir uns kennenlernten, hatte ich schon ziemliche Kurven, und er liebte sie. Er war genauso groß wie ich, aber ich liebte ihn. Als wir zum ersten Mal Sex hatten, wurde mir klar, dass dir gar nicht wirklich auffällt, wie der Körper eines Menschen aussieht, wenn du wirklich auf ihn stehst. Stattdessen bemerkst du nur, wie er sich anfühlt. Und obwohl ich mich schon damals in radikaler Selbstliebe für meinen Körper übte (und das tue ich bis heute), bestätigte mir diese intime Erfahrung mit ihm das nur nochmal.
Beim Sex gab es zwischen uns keine Sekunde des Ungleichgewichts. Niemand war „stärker“ oder „größer“. Es fühlte sich immer sehr ausgewogen an, und so fühle ich mich gerne beim Sex. Je nach Stimmung konnten wir natürlich trotzdem in unterwürfigere oder dominantere Rollen schlüpfen.
Seit meiner ersten Beziehung war ich immer nur mit Leuten zusammen, die genauso groß wie ich oder ein bisschen kleiner waren. Wenn ich mit jemandem rumgemacht habe, der oder die kleiner ist als ich, habe ich dabei nie über Körpergröße nachgedacht. Oder über das Gewicht. Wenn ich wirklich auf jemanden stehe, kommt mir das einfach nie in den Sinn.
Vielleicht hat das etwas mit meiner Sexualität zu tun. Ich date nicht anhand des Genders. Wenn ich mich auf einen Begriff festlegen müsste, würde ich mich wohl als pansexuell bezeichnen: Ich stehe auf Menschen, deren Geist und Ausstrahlung mir gefällt. Die Chemie muss einfach passen.
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Ich könnte mich jetzt natürlich fragen, ob das Ganze damit zu tun hat, dass sich das Patriarchat auch in meinem Unterbewusstsein eingenistet und mir eine Gehirnwäsche verpasst hat, wegen der ich eine gewisse Körpergröße jetzt mit Männlichkeit und Stärke verbinde.
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Mit Anfang 20 war ich drei Jahre lang in einer On-Off-Beziehung mit einer Frau, die sowohl kleiner als auch dünner war als ich. Ich weiß noch, dass ich beim ersten Mal, als wir uns auszogen, daran dachte, dass ich mit ihr vorsichtig umgehen sollte. Damals war ich noch unerfahren mit Frauen, und ich habe seitdem festgestellt, dass ich Beziehungen mit Frauen doch zaghafter angehe als mit Männern. Ich bin mir dieser Frauen stärker bewusst, und denke mehr darüber nach, wie sie sich mit mir fühlen, weil ich ein grundlegendes Verständnis dafür habe, wie es ist, eine Frau zu sein. Ich hatte damals das Gefühl, ihr Körper sei mir heilig – vielleicht, weil er meinem ähnelte, und vielleicht, weil er kleiner war als meiner. Das war aber die einzige Situation, in der ich diesen Gedanken bisher hatte und ihn in Zusammenhang mit der Körpergröße brachte.
Aber hier wird es interessant: Denn jetzt bin ich in einer Beziehung mit einem Mann, der ein ganzes Stück größer ist als ich. Und das fällt mir andauernd auf, vor allem beim Sex.
Irgendetwas an seiner Körpergröße von knapp 1,90 m finde ich sehr attraktiv. Ich fühlte mich von ihm auf eine Weise gestützt, die mir dabei hilft, mich mehr fallen zu lassen als je zuvor. Ich glaube aber nicht, dass das nur mit seiner Körpergröße zusammenhängt – immerhin bekomme ich in dieser Beziehung generell mehr emotionale Intimität, Verletzlichkeit und Support als in irgendeiner zuvor. Aber seine Körpergröße hilft doch dabei, glaube ich.
Es fühlt sich ein bisschen klischeehaft an, dass ich es mag, meinen Kopf in den Nacken zu legen, wenn er mich küssen will. Oder dass er mit einer Hand meine ganze Pobacke bedecken kann. Oder dass ich beim Gehen neben ihm bequem unter seine Achsel passe. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich in diesen Momenten sehr feminin fühle – und dass mir das wirklich gefällt.
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Als Frau, die erst lernen musste, sich mit ihrem kurvigen Körper anzufreunden und sich von dem Raum bestärkt zu fühlen, den sie selbst einnimmt, ist mir extrem bewusst, wie sehr ich es genieße, die „Kleinere“ in dieser Beziehung zu sein. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich das finden soll.
Einerseits nervt es mich irgendwie, dass es mir gefällt. Es ist so typisch! Andererseits will ich mir diese Freude aber auch nicht verwehren. Immerhin ist das nur eine weitere Sache, die ich an mir selbst entdeckt habe. Ich könnte mich jetzt natürlich fragen, ob das Ganze damit zu tun hat, dass sich das Patriarchat auch in meinem Unterbewusstsein eingenistet und mir eine Gehirnwäsche verpasst hat, wegen der ich eine gewisse Körpergröße jetzt mit Männlichkeit und Stärke verbinde. Ehrlich gesagt habe ich aber auch nie hinterfragt, was mein erster Kuss mit einer Frau eigentlich über meine Weiblichkeit aussagt – also denke ich nicht, dass ich mit solchen Gedanken jetzt anfangen sollte.
Manche Leute sind groß, manche nicht. Ich persönlich glaube immer noch nicht, dass mir die Körpergröße wirklich wichtig ist. Ich wäre auch noch mit meinem jetzigen Freund zusammen, wenn er genauso groß wäre wie ich, oder kleiner. Trotzdem gefallen mir seine Größe und Stärke – so, wie ich eben denke, dass uns allen die körperlichen Eigenschaften unserer Partner:innen gefallen sollten.
Wenn dir die Körpergröße wirklich wichtig ist, ist das völlig in Ordnung. Das solltest du dir aber eingestehen, und du solltest hinterfragen, wieso das eigentlich so ist. Wenn du wie meine anderen großen Freundinnen bist, hat das vermutlich damit zu tun, dass du dir gerne „klein“ vorkommst – und darüber sollten wir alle mal nachdenken. Denn es ist stark und sexy, als Frau einen gewissen Raum einzunehmen.
Obwohl die Körpergröße in den ersten Dating-Phasen für mich überhaupt kein K.O.-Kriterium ist, finde ich es okay, wenn es dir gefällt, wenn jemand größer ist als du. Genauso okay finde ich es aber auch, wenn dir das komplett egal ist. Das Einzige, was wirklich zählt, ist, wie du dich selbst findest – und wie sich die Person, die du datest, darauf auswirkt.
Höre auf deinen Kopf und Körper. Wenn sie dir sagen, dass du auf etwas stehst, freu dich darüber und spiele damit herum. Wenn sie dir Alarmsignale senden, solltest du das beleuchten. Sprich mit Therapeut:innen, Sexexpert:innen oder deinem Partner bzw. deiner Partnerin darüber. Das Ding mit Liebe, Sex, Lust, Anziehungskraft, Sexualität und Empowerment ist nämlich, dass wir gerade erst lernen, ganz offen darüber zu sprechen. Und hey: Lehne eine kleine Person nicht aufgrund ihrer Körpergröße ab, ehe du es nicht mal mit einer probiert hast.
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