Eine meiner besten Freundinnen verschwand regelmäßig aus meinem Leben, sobald sie in einer neuen Beziehung war, und ich fühlte mich daraufhin immer wie ihr Plan B. Sobald eine Trennung näher rückte, kam sie dann jedes Mal ganz langsam wieder angekrochen. Das nervte mich, weil es mir vermittelte, unsere Freundschaft sei ihr ziemlich unwichtig. Als das schon ein paar Mal passiert war, sagte ich ihr ganz klar, wie beschissen ich das von ihr fand und dass ich dieses Verhalten nicht mehr tolerieren würde: Entweder bist du immer meine Freundin, ob nun Single oder vergeben, oder eben gar nicht. Ich rechne ihr hoch an, dass sie sich daraufhin entschuldigte und es nie wieder vorkam; selbst in frischen Beziehungen vernachlässigte sie unsere Freundschaft nicht. Dass wir überhaupt so ehrlich und verletzlich miteinander hatten umgehen können, lag daran, dass wir uns wirklich nah stehen, und war ein Zeichen unseres gegenseitigen Respekts. Dasselbe lässt sich aber leider nicht für alle meiner Freundschaften sagen. Manche meiner Freund:innen schafften es nie, dem Sog einer Beziehung zu widerstehen und nicht völlig darin abzutauchen – und wenn ich dann irgendwann die Geduld mit ihnen verlor, kamen auch unsere Freundschaften zum Ende.
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Auch die 34-jährige Hannah hat das schon einige Male erlebt. „Meine Freundschaften bedeuten mir sehr viel, und es fällt mir schwer, die Hierarchie nachzuvollziehen, die manche Leute in ihren Beziehungen aufbauen. Sie stellen dann ihre:n Partner:in über alles andere“, sagt sie. „Dadurch bekomme ich das Gefühl, dass die Person mit mir nur ein bisschen Zeit totschlagen wollte, bis sie was Besseres fand, oder unsere Freundschaft nie wirklich geschätzt hat. Manchmal fühle ich mich dann auch ausgenutzt. Dabei weiß ich natürlich, dass es schwierig sein kann, die verschiedenen Beziehungen in deinem Leben unter einen Hut zu bekommen. Ich hatte definitiv auch schon Phasen der Stille in meinen Freundschaften, weil ich auf Arbeit viel um die Ohren oder generell viel zu tun hatte. Deswegen versuche ich, nachsichtig zu sein, wenn ein Freund oder eine Freundin nach einer solchen Phase in mein Leben zurückkehrt – meistens wieder als Single. Mein Verständnis endet aber, wenn dasselbe mehrmals passiert.“
Die berühmte Psychotherapeutin Esther Perel hat einmal gesagt: „Du verlangst von einer einzigen Person, dir so viel zu geben, was dir früher ein ganzes Dorf hätte geben müssen.“ Oder in anderen Worten: Unsere Liebsten werden uns in diesem Kontext immer enttäuschen, weil sie uns nie alles geben können – und wir vergessen allzu häufig das Dorf: die ganzen anderen Menschen um uns herum. Einer Studie aus dem akademischen Magazin Social Forces zufolge haben „Individuen in einer Partnerschaft tendenziell gemeinsame Freund:innen und freunden sich auch eher mit anderen Paaren ein“. Das impliziert, dass Freundschaften außerhalb dieses Kreises nicht mehr so gepflegt werden wie früher. Ein weiteres bekanntes Zitat dazu, diesmal von der Autorin und Regisseurin Nora Ephron in ihrem Roman Heartburn, fasst das so zusammen: „Das ist eine der Sachen, die passiert, wenn du Teil eines Paars wirst: Du datest jetzt andere Paare.“
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Das findet Hannah allerdings „schade und ziemlich langweilig“. Romantischen Beziehungen wird oft mehr Wert zugemessen als allen anderen Beziehungen, und ihrer Meinung nach schadet das nicht nur unseren Freundschaften, sondern auch unseren Partnerschaften. „Das ist viel zu viel Druck, den du einer einzigen Person aufhalst. Niemand kann all deine Bedürfnisse erfüllen. Ich finde, wir brauchen eine Vielzahl verschiedener Beziehungen in unserem Leben, um wirklich glücklich zu sein“, meint Hannah. Wenn sie von ihren Freund:innen immer wieder „weggeworfen“ wird, nachdem die neue Beziehungen anfangen, freut sie sich auch nicht sonderlich darüber, wenn sie wieder in ihr Leben zurückkehren. „Daraufhin gebe ich mir in Zukunft weniger Mühe für diese Freundschaft und spare mir meine Energie lieber für die Freundschaften auf, die wirklich erwidert werden und beständiger sind“, erzählt sie.
Wenn Freund:innen dermaßen in ihren Beziehungen verschwinden, kann das aber auch düsterere Gründe haben. „Ich hatte eine Freundin, die einmal abtauchte. Als sie dann wieder zu uns zurückkam, erzählte sie, sie sei mit einem missbräuchlichen und kontrollsüchtigen Mann zusammen gewesen, der ihr quasi verboten hatte, den Kontakt zu mir und ihren anderen Freund:innen zu halten“, sagt Hannah. Solche Umstände sind natürlich etwas ganz anderes, und sollten demnach auch anders behandelt werden.
Aber was, wenn dein:e Freund:in freiwillig den Kontakt zu dir abbricht, sobald er oder sie eine neue Beziehung beginnt? Die Psychotherapeutin Caroline Plumer sagt dazu: „Es tut immer weh, ‚Schönwetterfreund:innen‘ zu haben – Leute, die gern mit uns Zeit verbringen, wenn es ihnen passt, aber verschwinden, sobald sie was Besseres finden. Das kann sich sehr einseitig anfühlen, vor allem, wenn wir wirklich mal Hilfe und Support brauchen und diese Person plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist. Wenn du nicht mehr das Gefühl hast, dass dir diese Freundschaft etwas gibt, oder wenn inzwischen zu viel zwischen euch vorgefallen ist, musst du diese Beziehung nicht zwangsläufig wiederbeleben, als sei nichts gewesen, sobald die Person wieder auftaucht.“ Sie empfiehlt, in solchen Situationen auch immer klarzustellen, dass dir das Verhalten deines Freundes oder deiner Freundin wehgetan hat, so schwer das auch sein mag.
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Interessanterweise gibt es Daten dazu, dass diejenigen, die ihre Freundschaften zugunsten ihrer Beziehung auf Eis legen, oft der Meinung sind, ihre Freundschaften sollten nach der Trennung noch „gültig sein“ – selbst wenn sie diese Freundschaften während der Beziehung total vernachlässigten. Laut einer Studie der University of Manchester und der Manchester Metropolitan University, veröffentlicht im Magazin Families, Relationships and Societies, „erwarteten die Befragten in Krisenzeiten immer noch, sich auf ihre Freund:innen verlassen zu können, obwohl sie sich während der Beziehung nicht darum bemühten, diese starken Freundschaftsnetzwerke aufrechtzuerhalten“. Die Studie ergab außerdem, dass sich die Person, die nach einer Trennung zu ihren „Freund:innen“ zurückkehrt, „isoliert und verraten“ vorkommt, wenn sie von ihnen nicht herzlich willkommen geheißen wird. Dennoch, sagt Plumer, ist es „prinzipiell eine gute Idee, herauszufinden, wieso jemand während einer romantischen Beziehung nicht dazu imstande war, eure Bindung zu halten“.
Auch die 27-jährige Chloe* hat damit bereits Erfahrungen gemacht. „Am schlimmsten ist es, wenn dir diese Freund:innen nur schreiben und sich mit dir treffen wollen, wenn ihre Partner:innen gerade nicht da sind.“ Wenn das passiert, ist ihr schon oft aufgefallen, „dass diese Leute dann immer versuchen zu überspielen, dass sie gerade nur Zeit für dich haben, weil ihre Partner:innen nicht da sind. Sie tun so, als hätten sie wirklich Lust darauf, was mit dir zu machen, obwohl du genau weißt, dass sie einfach bloß nicht alleine in der Wohnung sitzen wollen. Und wenn ihr euch dann trefft, spricht er oder sie vermutlich auch nur über den Partner oder die Partnerin.“ In einem mittlerweile viralen TikTok erzählt eine Frau von einer ähnlichen Erfahrung: Sie hatte sich riesig gefreut, eine Freundin nach längerer Zeit endlich mal wiederzusehen – nur um dann zu erfahren, dass die sich nur gemeldet hatte, weil ihr Freund gerade weg war.
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Eine solche Rückkehr kann sich unfair anfühlen; so, als wollte diese Person während ihres Tiefpunkts deinen Support, obwohl sie für deine Tiefpunkte keine Zeit hatte, während es ihr gut ging. „Wenn es dann zur Trennung kommt, müssen diese Leute dann plötzlich alle Freund:innen um sich herum versammeln, um den Liebeskummer zu überwinden“, meint Chloe. „Wenn es Warnsignale für solches Verhalten gibt, schraube ich meine Bemühungen um die Freundschaft genauso runter, wie es von der anderen Seite aus passiert. Wenn es nur einmal passiert, habe ich natürlich Verständnis dafür, dass sich jemand vielleicht ein bisschen in einer Beziehung verliert. Wenn es aber ein Muster ist und immer wieder passiert – nein danke. Ich sage immer scherzhaft, dass ich Leuten ein Jahr Zeit gebe: Du hast ein Jahr, um dich zu verlieben und komplett unterzutauchen. Danach bist du aber bitte wieder zurück, und zwar in Topform. Du hattest deinen Spaß. Jetzt brauche ich dich als voll funktionsfähigen Menschen, der Freundschaften und eine Beziehung führen kann. Eine Freundschaft ist nichts Zweckmäßiges und ich weigere mich, nur eine Lückenbüßerin zu sein.“
Chloe selbst ist in einer Langzeitbeziehung und schafft es durchaus, Freundschaft und Beziehung unter einen Hut zu bekommen. Sie findet das ihren Freund:innen gegenüber nur fair. „Mehrere Leute haben mich schon darauf angesprochen, dass ich sie trotz meiner Beziehung nie vernachlässigt und ihnen immer das Gefühl gegeben habe, eine Priorität in meinem Leben zu sein. Das freut mich total“, erzählt sie.
Wie das klappt? Dazu empfiehlt die Psychotherapeutin Liz Kelly, deine Freundschaften gründlich durchzudenken. Du musst sie während einer Beziehung nicht komplett aus deinem Leben streichen; es reicht schon, Grenzen zu ziehen. „Überlege dir, welche Rolle diese Menschen in deinem Leben spielen sollen“, sagt sie. „Freundschaften können sich im Laufe der Zeit verändern, und nicht alle währen ewig. Wenn du darüber nachdenkst, gesunde Grenzen innerhalb deiner Freundschaften zu ziehen, überlege dir, wie du eine Bindung zu dieser oder jener Person aufrechterhalten kannst, ohne damit deiner mentalen oder emotionalen Gesundheit zu schaden. Vielleicht kommst du zu dem Schluss, dass du mit dieser Person vor allem eine bestimmte Aktivität verbindest – wie Secondhand-Shopping –, aber von ihr zum Beispiel keinen emotionalen Support brauchst.“
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Wichtig ist auch, deinen Freund:innen klarzumachen, dass du dich von ihnen enttäuscht fühlst, sollten sie jemals in ihrer Beziehung abtauchen. „Der Verlust, den du empfindest, wenn jemand nach Beginn einer romantischen Beziehung aus deinem Leben verschwindet, ist absolut real und gerechtfertigt. Immerhin kann sich die Abwesenheit dieser Person durchaus auf dein Leben auswirken.“ Vielleicht hat sie dir früher emotionale Unterstützung geboten – und ein solcher Verlust ist keine kleine Sache. „Wenn dein:e Freund:in die Verantwortung dafür übernehmen kann, aus eurer Freundschaft verschwunden zu sein, und anerkennt, dass er oder sie dich damit verletzt hat, kann eine zweite Chance die Mühe wert sein.“
Chloe hat durchaus Verständnis dafür, dass Verliebtheit ein intensives und überwältigendes Gefühl sein kann. „Noch dazu wird Frauen vermittelt, eine romantische Partnerschaft sei das Wichtigste in ihrem Leben“, sagt sie. Sie hat aber doch den Eindruck, dass viele Leute vergessen, dass sie nach einer Trennung auch wieder freundschaftlichen Support brauchen würden. „Sollten wir uns also nicht eher auf ein ganzes Liebesnetzwerk konzentrieren, anstatt nur auf eine einzige Liebe?“
*Name wurde von der Redaktion geändert.
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