Im Herbst 2020, sechs Monate nach Beginn der Pandemie, gab es viele Dinge, die mir fehlten. Ich vermisste meinen täglichen Weg ins Büro, auf dem ich in der Bahn Fremde beobachten und mir einen Podcast nach dem anderen anhören konnte. Ich sehnte mich nach Essen, das nicht von mir oder meinem Partner gekocht oder mir in Papiertüten vor die Haustür gelegt worden war. An meinen sensibelsten Tagen vermisste ich sogar das Fitnessstudio.
Natürlich fehlten mir auch meine Familie und Freund:innen. Ich hätte meine besten Freund:innen damals so gern an mich gedrückt und mir bei einem echten Treffen angehört, was sie an diesem Tag so erlebt hatten – am liebsten in einer vollen Bar mit einem Margarita in der Hand. Es gab aber auch noch eine andere klaffende Lücke in meinem Sozialleben, um die meine Gedanken immer wieder kreisten: meine lockeren Freundschaften.
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Eine Studie von 2014 ergab, dass schwache Bindungen – wie die in lockeren Freundschaften – sowohl unser soziales als auch unser emotionales Wohlbefinden positiv beeinflussen. Die Studie zeigte, dass wir umso glücklicher sind, je mehr wir im Alltag mit Menschen interagieren. Selbst dann, wenn wir diese Leute nicht mal als enge oder auch nur gute Freund:innen betrachten.
Vielleicht ist das die Person, die du auf Instagram zu deinen „Engen Freund:innen“ hinzugefügt hast – nicht, weil ihr euch wirklich so nah steht, sondern einfach, weil dir ihre Vibes gefallen. Vielleicht ist es der Kollege, mit dem du bei Afterwork-Events gerne plauderst, obwohl ihr im Alltag kaum was miteinander zu tun habt. Oder vielleicht es auch die Freundin einer Freundin, die du zweimal im Jahr auf einer Party triffst und mit der du irgendwie immer den Großteil des Abends zusammen tanzt.
Wenn du deine Freundschaften mal unter ein Mikroskop legst – so wie ich in den letzten zwei Jahren, während der Arbeit an meinem Buch Just Friends –, wirst du nicht nur erstaunt darüber sein, wie stark sich diese Beziehungen auf dein Leben auswirken. Sondern auch darüber, welche verschiedenen Formen diese Beziehungen annehmen können – und darüber, welchen Einfluss selbst die schwächsten Bindungen haben können.
Meine Pandemie-Erkenntnis darüber, welche Rolle meine lockeren Freundschaften eigentlich in meinem Sozialleben spielen, hat mir dabei geholfen, mal zu hinterfragen, wie wir eigentlich über Einsamkeit und neue Freundschaften sprechen und denken. Wenn wir uns einsam und allein fühlen, glauben wir oft, nur die Nähe enger Freundschaften könne unsere Stimmung verbessern und uns wieder das Gefühl geben, mit der Welt um uns herum verbunden zu sein. Und obwohl beste Freund:innen natürlich einen riesigen Beitrag zu unserer generellen Zufriedenheit leisten, sollten wir nicht unterschätzen, wie sehr uns auch unsere Bekanntschaften beeinflussen.
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An den Tagen, an denen ich mich besonders erfüllt fühle, wird mir oft klar, dass diese Stimmung einer Handvoll scheinbar belangloser Gespräche entspringt: dem Smalltalk mit einem Kollegen an der Kaffeemaschine; einem kurzen Nachrichtenaustausch mit einer entfernten Freundin über eine Serie, die wir beide zufällig gerade gucken; eine Begegnung mit der Freundin eines Kumpels beim Restaurantbesuch mit meinem Partner – es sind genau diese kleinen Interaktionen, die mir das Gefühl geben, dazuzugehören.
Wenn wir uns einsam fühlen (und das tun wir alle mal), ist es leicht, das darauf zu schieben, dass es uns an tiefen, superengen Freundschaften mangelt. Das klingt auch erstmal logisch: Wenn wir wirklich mehr engere Freund:innen hätten, die alles für uns stehen und liegen lassen würden, würden wir uns schließlich niemals allein oder ausgegrenzt fühlen, oder? Aber stimmt das überhaupt? Tatsächlich habe ich festgestellt, dass auch lockere Freundschaften die meisten dieser „Einsamkeitslücken“ problemlos füllen können.
Eine lockere Freundschaft kann jemand sein, der oder die dich samstags auf einen Spaziergang begleitet, nach der Arbeit was mit dir trinken geht, mit dir ins Kino kommt oder mit dir über Monate hinweg über eine chaotische Promi-Trennung schreibt. Du musst nicht seit Jahren mit jemandem befreundet sein – oder es vorhaben –, nur um eine solche Aktivität zu ermöglichen. Aber sie alle können dafür sorgen, dass du dich weniger allein fühlst.
Ein:e Freund:in, den oder die du erst seit sechs Monaten kennst, ist vielleicht nicht die Person, die du zuerst anrufst, wenn dein Elternteil erkrankt oder du nach einem Beziehungsstreit ein bisschen Dampf ablassen musst. Diese Freund:innen können aber sehr wohl die perfekte Begleitung in eine Galerie, ein neues Restaurant oder einen Club sein. Mit ihnen fühlst du dich weniger einsam. Und hey, vielleicht vertiefen sich einige dieser Freundschaften ja sogar so sehr, dass sie mit deinen ältesten mithalten können – müssen sie aber nicht. Manche lockeren Freundschaften können einfach so bleiben, wie sie sind, und für dich da sein, wenn du jemanden brauchst, den oder die du zu einem Event mitnehmen kannst.
Wenn wir darüber sprechen, wie schwierig es sein kann, neue Freundschaften zu knüpfen, vergessen wir dabei häufig unsere lockersten Bindungen. Diese Zurückhaltung davor, manche dieser scheinbar belanglosen Bindungen auf den Titel „Freundschaften“ zu taufen, nimmt uns aber nicht nur die Möglichkeit, eine solche Freundschaft zu etwas Tieferem zu entwickeln; sondern es verschließt uns außerdem gegenüber der Einsicht, dass wir sehr wohl neue Leute in unser Leben gelassen haben. Neue Leute, die dieses Leben vermutlich sogar ein bisschen besser gemacht haben.
Wenn ich an all die Leute in meinem Leben denke, die ich als „Freund:in“ bezeichnen könnte, ist es fast schon überwältigend, wie viele Formen diese Definition annehmen kann. Indem wir unsere Vorstellung davon hinterfragen, was Freundschaft überhaupt bedeutet – und was es heißt, ein:e Freund:in zu sein –, gewähren wir uns damit selbst die Chance, Freundschaft in all ihren Formen zu erleben – und uns hoffentlich weniger einsam zu fühlen.
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