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Geboren in China, aufgewachsen in UK: Mein Leben als Adoptivkind

Foto: Katie McAtackney
Jo (Mutter) und Katie
Es war im Dezember 1999 als ich meine Mutter, der ich gerade beim Schmücken der Wohnung half, fragte: „War meine Mama hübsch?“. Sie lächelte mich an und sagte „Ja, ich bin mir sicher, das war sie“.
Damals war ich gerade mal fünf Jahre alt und wusste bereits, dass meine Mutter nicht meine biologische Mutter war. Seit dem ersten Tag in der Vorschule wusste ich, dass ich anders bin. Die anderen Kinder schauten erst mich und dann meine Mutter an und fragten mich dann: „Warum siehst du nicht wie deine Mama aus?“. Auch heute werde ich das ab und zu noch gefragt, wenn ich mit ihr unterwegs bin. Manche denken auch einfach, wir sind Freundinnen. Ich habe unzählige Unterhaltungen mit Fremden geführt, die nicht fassen können, dass ich aus einer kleinen Stadt nähe Northampton, England, komme. Sie fragen: „Aber wo kommst du ursprünglich her?“ oder sagen: „Du siehst viel zu exotisch aus, um von hier zu sein“. Oder sie machen mir Komplimente, weil ich so gut Englisch spreche.
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Foto: Katie McAtackney
Der erste Schultag
Wie fasst man zusammen, woher man kommt? Für manche Menschen ist die Frage nach der Herkunft eine unkomplizierte. Sie nennen einfach die Stadt, in der sie aufgewachsen sind oder geboren wurden. Manche Menschen erzählen auch, woher ihre Eltern oder Vorfahren kommen. Aber nicht alle kennen ihre Wurzeln. Wie ich zum Beispiel.
1979 wurde in China die Ein-Kind-Politik eingeführt, um die Größe der wachsenden Bevölkerung zu kontrollieren. Wenn eine Familie ein zweites Kind bekam und es ein Junge war, durften sie ihn behalten. War es jedoch ein Mädchen, bekamen sie Probleme. Zu dieser Zeit freute sich nicht jede*r über ein Mädchen. Sie wuchsen heran, heirateten irgendwann und mussten dann den Verpflichtungen der Familie des Ehemanns nachkommen. Deswegen wurde es zur Norm, dass neugeborene Mädchen ausgesetzt wurden.
Ich bin nur eins von tausenden von weiblichen Babys, das von seiner Familie verstoßen wurde, weil diese keine andere Wahl hatte. Scheinbar wurde ich unter einen Weidenbaum in einer großen Stadt in China namens Hangzhou gelegt – zusammen mit einem roten Zettel, auf dem mein mutmaßlicher Geburtstag und mein chinesischer Name stand. Das war alles. Die meisten Babys bekommen zur Geburt ein Zertifikat ausgestellt, auf dem Geburtszeit, -tag und -ort sowie das Gewicht und der Name festgehalten werden. Meine Geburtsurkunde wurde von einem Regierungsbeamten geschrieben – auf Grundlage eines roten Zettels, den vermutlich meine biologische Mutter mitgelegt hatte.
Foto: Katie McAtackney
Ich wurde von einer britischen Familie adoptiert, die ich über alles liebe. Doch deswegen habe ich zusätzlich zu meiner ersten Familie auch noch die Sprache und die Kultur meines Geburtsortes verloren. Ich kann mich weder als echte Chinesin identifizieren, noch als Britin. Ich stehe zwischen zwei Kulturen und es ist mir nicht möglich, beide oder wenigstens eine, wirklich zu erleben.
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Über die Jahre haben mich viele Klassenkamerad*innen, Kolleg*innen und sogar Fremde gefragt, ob ich aus China komme. Sie gingen davon aus, die Antwort bereits zu kennen. Sie dachten, ich spreche zuhause “meine Muttersprache“ und esse mit Stäbchen Abendbrot mit meiner chinesisch-britischen Familie. Als ich ihnen nichts über China erzählen konnte, schämte ich mich dafür – als wäre ich verpflichtet dazu. Ich hatte das Gefühl, ich würde darin scheitern, meiner chinesischen Kultur gerecht zu werden.
Viele Menschen stellten auch, basierend auf chinesischen Stereotypen, Vermutungen über meine Identität an. Die Mutter einer Freundin sagte mal ganz selbstbewusste zu mir, sie wette, Glasnudeln wären mein Lieblingsessen. Ein Typ auf Tinder begann die Unterhaltung mit „Du musst eine enge asiatische Pussy haben“. Natürlich blockte ich ihn sofort. Und ich wurde auch öfter gefragt, ob ich überhaupt Alkohol trinken kann, ohne die peinliche “asiatische Gesichtsröte“ zu bekommen.
Irgendwann beschloss ich, das Beste wäre vermutlich, zu versuchen, mich anzupassen – was ziemlich schwer ist, wenn du das einzige chinesische Mädchen an der Schule bist. Ich färbte mir die Haare und ahmte das Verhalten meiner Freund*innen nach. Bald verdrängte ich alles, was mit meiner chinesischen Kultur zu tun hatte. Und zwar so stark, dass ich mich selbst nicht mehr richtig als chinesisch wahrnahm.
Es fällt mir immer noch schwer, die Frage „Woher kommst du?“ zu beantworten. Wenn ich „China“ sage, fühle ich mich wie eine Betrügerin. Manchmal denke ich, nicht die Wahrheit zu sagen, ist einfacher. Also erzähle ich ihnen, was sie hören wollen: „Meine Mutter ist Engländerin und mein Vater Chinese“. Was streng genommen nicht wirklich eine Lüge ist. Meine Mutter hat mich allein großgezogen und es gab keine Vaterfigur in meinem Leben. So einfach ist das. Das verstehen die Leute.
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In den letzten Monaten musste ich mich dann aber noch einem ganz anderen Problem stellen: Besonders zu Beginn der Corona-Krise musste ich erleben, wie Fremde die Straßenseite wechseln oder mich angeekelt oder ängstlich ansehen. Das Schlimmste daran ist, dass ich noch nicht mal weiß, ob meine Herkunftsfamilie überhaupt noch am Leben ist oder ob sie dem Virus erlag.
Foto: Katie McAtackney
Katie mit ihren CACH-Freundinnen
Ich weiß, ich bin immer noch dabei, bestimmte Dinge in Bezug auf meine Identität zu bewältigen. Ich versuche, das positiv zu sehen. Als eine Form der Charakterbildung. Ich wachse als Person daran. Natürlich wird es auch in Zukunft Herausforderungen geben. Aber ich weiß, ich werde besser darin, sie zu bewältigen und offen über sie zu reden – mit Menschen, die echtes Interesse an ihnen haben und mich gernhaben und wertschätzen. In der Vergangenheit habe ich öffentlich mit Eltern und Teenies der Organisation CACH (Children Adopted from China) über die möglichen Komplikationen durch internationale Adoptionen gesprochen. Seit 24 Jahren nehme ich an Events teil, die von CACH organisiert werden und ich habe dadurch viele wundervolle Frauen kennengelernt, die im selben Boot sitzen wie ich. Wir tauschen uns aus, geben uns gegenseitig Tipps und lachen gemeinsam. Ich nenne sie nicht mehr meine Freundinnen, sondern meine Schwestern, denn zwischen uns besteht eine Verbindung, die nicht gebrochen werden kann.
Foto: Katie McAtackney
Familienfoto bei der Graduation
Während der Zeit, die wir gemeinsam verbringen, lerne ich nicht nur unglaublich viel über mich, sondern auch darüber, stolz darauf zu sein, Teil einer “interracial family“ zu sein, in der Blut keine Bedeutung hat. Es ist die Umwelt und nicht die Anlagen, die dich zu der Person macht, die du bist. Meine Mutter hat mir das beigebracht. Und sie hat mir auch beigebracht, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Es wertzuschätzen. Jede Möglichkeit zu nutzen, etwas zurückzugeben, zuzuhören und Einfühlungsvermögen zu zeigen. Zeig, wer du bist – in schweren und in glücklichen Zeiten. Akzeptiere und liebe, wer du bist und sei stolz darauf, woher du kommst und was du alles schon erreicht hast. Es wird besser mit der Zeit. Das verspreche ich dir. Ich bin hier und du bist es auch.
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