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Der Terror in meinem Kopf – Schluss damit!

FOTO: Hass Sydney
Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich meine Umgebung nach Verstecken abscanne oder wie ich nach möglichen Fluchtwegen gucke, wie ich überlege, wem ich die letzte SMS schicken würde und wie ich mich kurz und knapp verabschieden würde. Bin ich paranoid? Oder warum schallen die Sirenen der vorbei rauschenden Krankenwagen mir auf einmal bis ins Knochenmark? Ich hasse dieses Gefühl und schäme mich sogar etwas dafür, dass ich mich von der Angst anstecken ließ. Ich weiß aber auch, dass ich nicht alleine damit bin.
Die Schreckensnachrichten weltweit, die Attentate in Frankreich, Deutschland, England – das hat Terror in den Köpfen hinterlassen. Bei den einen mehr, bei den anderen weniger, doch ganz spurlos geht die politische Weltlage an niemanden vorbei, zumindest an niemandem, den ich kenne. Eine Freundin sagt, sie habe nun alle Push-Nachrichten von Zeitungen ausgeschaltet, weil sie zuletzt bei jedem Pieps ihres Handys zusammenzuckte. Es könnte ja wieder was in Deutschland sein. Es könnte ja noch näher kommen, als es ohnehin schon ist. Eine andere Freundin fragt mich mit Tränen in den Augen, wie wohl die Zukunft für ihre kleine Tochter aussehen könnte. Meine Kollegin erzählt mir, dass sie nun alle Menschen in der U-Bahn bewusst präventiv anlächelt, um eine gute Stimmung unter Fremden zu verbreiten, die sich alle skeptisch mustern.
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Ich könnte zig Beispiele runterschreiben. Eine Studie der R+V Versicherung hat ergeben, dass sich derzeit ganze 73 Prozent der Deutschen vor Terrorismus fürchten. Es geht in diesem Text aber nicht darum, alle in ihrer Angst zu bestärken oder gar noch mehr Panik zu schüren. Im Gegenteil.

Angst empfinden zu können, ist ein ganz wichtiger und völlig normaler Mechanismus unseres Körpers, um uns vor Gefahren zu schützen

Psychologin Nadine Bittner
„Bis zu einem gewissen Grad ist es durchaus normal, Angst zu haben. Angst empfinden zu können, ist ein ganz wichtiger und völlig normaler Mechanismus unseres Körpers, um uns vor Gefahren zu schützen. Sie ist überlebenswichtig und sehr sinnvoll", erklärt mir Psychologin Nadine Bittner, die Menschen mit Angstzuständen über das onlinebasierte Therapieverfahren von humly.de hilft. „Die Themen Terror und Tod sind derzeit extrem präsent in den Medien. Wenn ein Thema gedanklich viel Raum einnimmt und gut zugänglich ist, neigen wir dazu die Wahrscheinlichkeit dafür stark zu überschätzen." Ein weiterer Grund, den Bittner anführt: „Nicht nur bestimmte Bevölkerungsgruppen, Politiker oder bekannte Persönlichkeiten werden Opfer von Anschlägen, sondern es kann völlig wahllos jeden an jedem Ort treffen. Außerdem finden die Terroranschläge nicht mehr ausschließlich in Ländern statt, die sich geografisch sehr weit von uns entfernt befinden. Es kommt in unseren Nachbarländern, die wir schon bereist haben und in denen wir vielleicht Familie, Freunde und Bekannte haben, zu Terroranschlägen und nun auch in unserem eigenen Land. Dadurch fühlen wir uns individuell bedroht, das Thema hat plötzlich für uns ganz persönlich eine Relevanz und es ist nicht mehr so einfach es gedanklich in die hinterste Ecke zu verbannen."

Sich diese Fakten bewusst zu machen, kann dabei helfen die eigene Angst zu relativieren

Psychologin Nadine Bittner
Okay, ich bin also völlig normal. Und trotzdem will ich etwas tun. Ich will mich meiner Leichtigkeit schließlich nicht selbst berauben. Und vor allem möchte ich die Menschen nicht belohnen, die Hass und Angst in die Köpfe pflanzen. Ein Blick auf Statistiken hilft: Die Wahrscheinlichkeit innerhalb Europas Opfer eines Terroranschlags zu werden, liegt laut einer Studie des Risikoforschers Ortwin Renn lediglich bei 0,002 Prozent. Sie ist also verschwindend gering. Es ist dagegen 2045 mal wahrscheinlicher tödlich im Haushalt zu verunglücken. Und: Die 60 am schlimmsten vom Terror heimgesuchten Länder dieser Welt sind alles nicht-westliche Länder. „Sich diese Fakten bewusst zu machen, kann dabei helfen, die eigene Angst zu relativieren und zu einer realistischeren Bewertung der tatsächlichen Gefahrenlage in unserem Land zu kommen“, sagt die Psychologin. Von ihr möchte ich nun konkret wissen, was ich gegen diese fiese Angst tun kann. Ich habe sie nicht in meinen Kopf eingeladen und trotzdem ist sie da – wie werde ich den ungebeten Gast jetzt wieder los?
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„Erst einmal sollte man sich klar machen, dass man Angst hat und sich vergegenwärtigen, dass dieses Gefühl grundsätzlich ein Zeichen dafür ist, dass unser körpereigener Schutzmechanismus hervorragend funktioniert. Das ist eine völlig normale Reaktion auf empfundene Bedrohungen. Wichtig ist jedoch, dass die Angst nicht unverhältnismäßige Züge annimmt. Das bedeutet konkret, dass man darauf achten sollte, nicht aus der Angst heraus bestimmte Orte oder Aktivitäten bewusst zu vermeiden." Ich höre dieser Tage oft, dass Freunde Konzertkarten zurückgeben, weil sie sich nicht mehr trauen, mit fremden Massen zu feiern. Genau die falsche Reaktion. Die Expertin von humly.de sagt auch, dass das dazu führt, dass die Panik noch weiter zunimmt und sich verselbstständigt. „Nach einer gewissen Zeit kann es sein, dass immer mehr Orte und Aktivitäten vermieden werden und die Rückkehr zu einem angstfreien Leben immer schwerer wird. Es geht darum, die Angst auszuhalten und bewusst dagegen zu arbeiten, sich zu verstecken und Dinge zu vermeiden ist immer kontraproduktiv und führt in keinem Fall langfristig zu einer Reduktion der Angst."

Wichtig ist, die Ängste von Freunden oder Familienmitgliedern ernst zu nehmen und sich nicht darüber lustig zu machen, das Thema zu verbieten oder totzuschweigen. Ängste tendieren dazu, sich zu verschlimmern, wenn sie nicht angesprochen und diskutiert werden können

Psychologin Nadine Bittner
Und der für mich alles entscheidende Rat ist dieser: „Es kann auch helfen abzuwägen, welche Vor-und Nachteile es hat jetzt auf jegliche Freizeitaktivitäten, bei denen es zu größeren Menschenansammlungen kommt, zu verzichten. Man sollte sich dabei die Frage stellen, ob die Einbußen, die man dadurch in seiner Lebensqualität hat, noch in einem Verhältnis stehen zu der dadurch gewonnenen subjektiven Sicherheit." Das ist es doch: Leben hat eine größere Macht als Angst. Spaß, Freude, Freunde – wenn wir darauf verzichten, dann üben wir selbst einen Terroranschlag auf uns aus.

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