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Ich liebe es, Aufmerksamkeit zu verlangen & dafür schäme ich mich nicht

Foto: Paola Vivas.
Ich liebe es, Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich habe es schon immer geliebt. Und gleichzeitig habe ich mich schon immer dafür geschämt.
Als ich jung war, wurde mir vermittelt, dass aufreizende Klamotten, Make-up, Flirten, starke Gefühle, eine laute Stimme und ein aktives Sexleben meine Versuche seien, möglichst viel Beachtung zu bekommen. Und das hörte sich nie sonderlich nett an. „Zu sagen, jemand habe ein Geltungsbedürfnis, ist heute eine richtige Waffe“, meint die Therapeutin und Sexologin Dr. Lexx Brown-James. „Leute benutzen diesen Vorwurf, wenn sie genervt sind und die Bedürfnisse des Gegenübers nicht erfüllen wollen. Jemandem zu unterstellen, er oder sie sei süchtig nach Aufmerksamkeit, ist eine Ausrede, um die Bedürfnisse der anderen Person ignorieren zu können.“
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Gesehen, gehört, verstanden und geschätzt zu werden – all das brauchen wir Menschen, um glücklich zu sein.

Dr. Lexx Brown-James
Während der Schulzeit, sogar im Studium, hörte ich immer wieder Sprüche wie „Der will doch nur Aufmerksamkeit“ oder „Die will wohl unbedingt beachtet werden“, wenn jemand in Tränen ausbrach, mit mehreren Leuten schlief oder auch nur eine lautere Stimme oder stärkere Persönlichkeit hatte. Ich hatte immer das Gefühl, bloß nicht das „pick me girl“ sein zu dürfen, die auf einer Party „zu viel“ war – entweder, weil ihre Kleidung „zu freizügig“ oder sie „zu laut“ war. 
„Wie oft wurde ich als Frau schon als ‚intensiv‘ abgestempelt!“, meint die Therapeutin, Pädagogin und Autorin Lucie Fielding. „Ich gelte dauernd als ‚zu viel‘ oder ‚zu intensiv‘. Das erlaubt es anderen, mich zu ignorieren – und auch alles zu ignorieren, was ich sage, bloß weil ich es auf emotionale Art sage.“
Ich habe die Vorstellung verinnerlicht, große Gefühle, ein feminines Auftreten und selbst mein aktives Sexleben seien Symptome meines Geltungsdrangs, und dass mich mein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zu einem oberflächlichen, nervigen und selbstsüchtigen Menschen mache. Also unterdrückte ich meine Sehnsucht nach Aufmerksamkeit – und schadete damit meinen Beziehungen.
In denen brach ich gerne mal einen Streit vom Zaun, verhielt mich wütend und wartete darauf, dass meine Partner:innen von selbst fragten, ob was nicht stimmte. Ich wurde eifersüchtig oder zog mich komplett zurück, weil ich mich so sehr nach Beachtung sehnte – ohne zu wissen, wie ich eigentlich darum bitten sollte.
Wenn du allerdings dein eigenes Aufmerksamkeitsbedürfnis unterdrückst, „lernst du daraus, dass deine Bedürfnisse und Wünsche unwichtig oder ‚zu viel‘ sind. Das kann in dir einen Groll auslösen und dafür sorgen, dass dein:e Partner:in spürt, dass du dir zwar etwas wünschst, es aber nicht aussprichst“, erklärt Fielding.
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Die 26-jährige Mackenzie erzählt mir, dass es ihr sehr schwer fiel, ihren Partner um Aufmerksamkeit zu bitten, als die beiden zu Beginn des Corona-Lockdowns zusammenzogen. „Wir führten ein ernstes Gespräch darüber, dass ich eindeutig mehr Aufmerksamkeit von ihm brauchte, es aber nie deutlich aussprach, wodurch alles nur noch schlimmer wurde“, sagt sie. „Er meinte zu mir: ‚Ich liebe dich, aber ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll, um dir Beachtung zu schenken, gleichzeitig aber auch meine eigenen Gefühle zu respektieren.‘ Ich schaffte es nie, mein Bedürfnis direkt auszusprechen, weil ich es nicht gewohnt war, etwas von anderen einzufordern. Das nagte aber mehr an mir, als mir damals klar war.“
Auch die 30-jährige Sarah kennt dieses Gefühl. „Als ich jünger war, wurden die Lautstärke meiner Stimme und meine starke Persönlichkeit immer als ‚aufmerksamkeitssüchtig‘ abgestempelt. Weil ich in einem religiösen Haushalt aufgewachsen bin, wurde mir immer der Wert der Bescheidenheit eingetrichtert. Ich bekam zu hören, mein Körper, meine Stimme und mein Charakter dürften nicht ‚zu viel‘ sein.“
„Heute weiß ich aber, dass es absolut menschlich ist, sich nach Aufmerksamkeit zu sehnen“, erzählt Sarah weiter. „Heute bitte ich darum, wenn ich sie brauche, anstatt heimlich zu versuchen, sie mir zu holen, und wütend zu werden, wenn andere meine indirekte Kommunikation nicht verstehen. Ich wünschte, ich hätte schon viel früher gelernt, dass es okay ist, mir Aufmerksamkeit zu wünschen – und dass mir jemand beigebracht hätte, wie ich direkt darum bitten kann.“
Obwohl der Geltungsdrang einen schlechten Ruf hat, gibt es keinen Grund dafür, dich zu schämen, wenn du dir Aufmerksamkeit wünschst. Tatsächlich geht es dabei ja darum, „sich für die eigenen Bedürfnisse einzusetzen“, meint Fielding. „Leute suchen nach Beachtung, um sich mit anderen verbunden zu fühlen.“ Dr. Lexx sieht das ähnlich: „Gesehen, gehört, verstanden und geschätzt zu werden – all das brauchen wir Menschen, um glücklich zu sein.“
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Obwohl die Aufmerksamkeit von anderen also ein entscheidender Bestandteil dessen ist, wie wir unseren Leben Bedeutung und Tiefe verleihen, schämen sich viele von uns immer noch dafür, dass wir uns nach Aufmerksamkeit sehnen, und haben Probleme damit, darum zu bitten. Dr. Lexx erklärt das so: „Aufmerksamkeitsheischendes Verhalten hat einen schlechten Ruf bekommen, weil es mit geistigen Erkrankungen in Verbindung gebracht wird. Dabei ist nicht jedes Aufmerksamkeitsbedürfnis krankhaft.“ Die Vorstellung, freizügige Kleidung, Flirten und das Ausdrücken von Gefühlen sei aufmerksamkeitsheischend, ist außerdem zutiefst sexistisch, meinen Fielding und Dr. Lexx. Dieser Irrglaube wird genutzt, um Frauen und feminin wirkende Menschen nicht ernst zu nehmen, indem sie als „zu viel“ abgestempelt werden.
Eindeutig gibt es viele Gründe dafür, warum wir lernen, unser Aufmerksamkeitsbedürfnis zu unterdrücken. Ich selbst arbeite immer noch daran, diese Gewohnheit abzulegen – und bin daher jedes Mal sehr stolz auf mich, wenn ich spüre, dass ich mich nach Aufmerksamkeit sehne und direkt sage: „Hey, ich brauche gerade Aufmerksamkeit, kannst du mir welche schenken?“ Ich meine das ganz ernst: Ich spreche es ganz offen so an (und glaub mir, das funktioniert viel besser, als wenn ich einen Streit anzetteln oder mich zurückziehen würde).
Auch Mackenzie hat aus ihrer Erfahrung gelernt. „Heute schauen wir zwischendurch immer mal im Arbeitszimmer des:der anderen vorbei und sagen einfach: ‚Ich brauche Aufmerksamkeit.‘ Wir haben uns aber auch darauf geeinigt, dass es okay ist, wenn wir mal nicht wissen, wie wir darauf reagieren sollen – oder welche Art von Beachtung gemeint ist.“
Wenn wir jemanden um Aufmerksamkeit bitten, sollten wir nämlich auch darauf vorbereitet sein, dass die Antwort lauten könnte: „Nein, nicht jetzt.“ Ein Geltungsdrang kann schädlich werden, wenn die aufmerksamkeitssuchende Person die Grenzen der anderen nicht respektiert – zum Beispiel, wenn er oder sie sagt: „Du musst dies und das jetzt tun. Du musst das machen. Und es stört mich, wenn du da eine Grenze ziehst oder Nein sagst.“ In diesem Fall respektiert die fragende Person nämlich deine Grenzen nicht – und diese Form von Aufmerksamkeitssehnsucht kann sogar manipulativ sein, meint Fielding.
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Wie viel Aufmerksamkeit wir brauchen, ist von Mensch zu Mensch anders. Unser individuelles Bedürfnis hängt häufig auch damit zusammen, was wir in der Vergangenheit erlebt haben. Einige Menschen brauchen sehr viel Aufmerksamkeit; andere wiederum fühlen sich damit gar nicht wohl oder haben Schwierigkeiten mit bestimmten Formen der Aufmerksamkeit. Dr. Lexx empfiehlt, immer ganz offen damit umzugehen, was du dir wünschst. Und lass mich dir sagen: Wenn du gerade Beachtung brauchst, ist es immer die bessere Taktik, ganz direkt darum zu bitten, anstatt einen komplizierten Umweg einzuschlagen.
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