TikTok ist voller guter Ratschläge in Sachen Liebe & Beziehung, keine Frage. Wenn du aber zu viel Zeit in Posts zu den Hashtags #relationshipadvice und #relationshipgoals verbringst, stolperst du dabei auch zwangsläufig über eher… sagen wir, fragwürdigeren Rat. Die Videos auf TikTok sind meist nur ein paar Sekunden lang; für Details und Nuancen bleibt da meist wenig Zeit. Das wurde mir schmerzlich bewusst, als ich mir letztens ein Video zum Thema „Entspannung in einer Beziehung“ ansah.
Ich weiß nicht mehr, wie der oder die Creator dahinter hieß, weil ich mich so schnell daran vorbeiswipte, dass ich mir fast die Fingerspitzen verbrannte. Das Video lässt sich aber quasi so zusammenfassen: „Wenn sich deine Beziehung bequem anfühlt, ist dir langweilig und du solltest Schluss machen.“ Ich wurde direkt panisch – ich bin inzwischen seit fast zwei Jahren mit meinem Partner zusammen, meine bisher längste Beziehung. Ich habe nicht mal das Gefühl, dass wir eine super-intensive „Flitterwochenphase“ hatten. Ich mochte ihn, er mochte mich, wir trafen uns immer häufiger. Wir zogen zusammen, adoptierten einen Hund. Klar, in den ersten Monaten waren wir ein bisschen stärker verliebt, aber das wich schnell einer angenehmen Entspannung. Unsere Beziehung ist super. Sie ist gechillt. Sie ist schön.
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Ich bin von Natur aus eher unruhig, und ein Großteil dieser Unruhe drehte sich bei mir um Beziehungen. Ich kritisiere und hinterfrage alles. Ist mein Partner der Richtige für mich? Bin ich wirklich verliebt? Haben wir oft genug Sex? Worauf auch immer sich mein Hirn fixieren kann, mache ich bereitwillig mit – und deswegen erwischte mich dieses TikTok-Video auch so eiskalt. War meine Beziehung zu unkompliziert? Hatten wir den „Funken“ verloren? Hatten wir überhaupt einen gehabt? Während sich meine Gedanken im Kreis drehten, blieb ich im Strudel aus TikTok-Pärchen hängen, die zusammen durch Gänseblümchenfelder hüpften oder vor renovierten Camping-Vans leidenschaftlich rummachten. Captions à la „Jeder Tag ist ein neues Abenteuer mit dir“ waren überall. Vergiss „unruhig“ – ich stand inzwischen total neben mir.
„Sich fallen zu lassen, ist entscheidend für eine gesunde Beziehung“, beruhigt mich die Psychologin Kayla Steele. „Wenn du dich in einer Beziehung entspannen kannst, deutet das auf eine sichere Bindung hin. Die ist für deine körperliche und emotionale Gesundheit sehr wichtig.“
Im Gespräch mit Steele wurde mir klar, dass ein Großteil meiner Unruhe daher stammte, dass diese Bequemlichkeit für mich eine ganz neue Erfahrung war. Vor meiner Beziehung mit Tom hatte ich eine Reihe von Kurzzeit-Romanzen, die sich entweder einseitig anfühlten (von meiner Seite aus, versteht sich) oder abrupt endeten. Keine hielt länger als vier Monate – und das hieß, dass ich mich nie in einer richtigen Beziehung fallen lassen konnte, selbst wenn ich den Typen meinen „Freund“ nannte.
In diesen Anfangsphasen stand ich dauernd unter Strom. Ich war vielleicht total verliebt, fühlte mich aber überhaupt nicht sicher. Dieses fehlende Sicherheitsgefühl wirkte vielleicht aufregend und spannend – dabei befand ich mich eigentlich im freien Fall, unter mir kein Sicherheitsnetz. Es kam, wie es kommen musste: Ich prallte auf. Und das tat weh.
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„Sich in einer Beziehung fallen zu lassen oder es sich bequem zu machen, bedeutet, dass du deinem Partner oder deiner Partnerin und dir selbst vertrauen kannst. Das ist die Basis für Verletzlichkeit und Intimität“, erklärt Steele. Das kann ich so unterschreiben; meine Beziehung ist vielleicht berechenbar und drama-frei, aber dieser sichere Kokon erlaubt es uns, einander viel näher zu kommen. „Menschen, deren Beziehungen immer von Unsicherheit, Turbulenzen oder Unberechenbarkeit geprägt waren, empfinden diesen Frieden manchmal als unangenehm oder sogar bedrohlich“, meint Steele.
Unterhalb der Spannung, der Aufregung meiner letzten Beziehungen lag also die Angst. Genau deswegen kam ich diesen Partnern auch nie wirklich nah – weil ich mich dazu nicht sicher genug fühlte.
Sich in einer Beziehung zu entspannen, ist ein Zeichen des Friedens, nicht der Langeweile. Die Welt bombardiert uns ohnehin schon jederzeit mit Stimuli – via Apps, Social Media, im Fernsehen und Radio. Wir haben immer irgendwas im Ohr oder vor den Augen, und daher fühlen wir uns manchmal unwohl damit, einfach mal zu existieren. Ohne sich auf dieselbe Art in einer Beziehung fallen zu lassen, kannst du aber keine wahre Intimität erschaffen. Ohne Intimität schaffst du es nie über die Oberfläche hinaus.
Unsere Sucht nach Aufregung – nach Leidenschaft, Angst, Sehnsucht – haben wir ursprünglich Hollywood zu verdanken. Die sozialen Medien haben sie aber zur gelebten Erfahrung gemacht. Heute vergleichen wir unsere eigenen Lovestorys mit denen fremder Leute auf Instagram und TikTok – und weil diese Plattformen simplen Content mit maximaler Reichweite belohnen, wird uns binäres Denken dort oft als Fakt verkauft. Dabei ist das wahre Leben natürlich viel komplizierter als „Wenn du dich fallen lässt, ist die Beziehung vorbei“ oder „Wenn du dich entspannen kannst, ist dir langweilig“.
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Ist es da ein Wunder, dass wir unruhig werden, wenn unsere Beziehungen eigentlich gerade richtig gesund sind?
Trotzdem ist natürlich auch hier ein Fünkchen Wahrheit dabei: Es gibt durchaus sowas wie ein „Beziehungs-Tief“. Aber es gibt eben auch einen Unterschied zwischen Entspannung und Bequemlichkeit. „Bequemlichkeit in Beziehungen ist das Gefühl, mit dem gegenwärtigen Zustand der Beziehung zufrieden zu sein, ohne sie kritisch zu hinterfragen oder sich Gedanken darüber zu machen, was der oder die Partner:in wohl empfindet“, erklärt Steele. „Womöglich empfindest du dann nicht den Drang, dir noch Mühe in der Beziehung zu geben. Das kann zu Unzufriedenheit, Frust oder sogar dem Ende der Partnerschaft führen.“
Es fällt mir ziemlich schwer, diesen schmalen Grat zu meistern; es ist einfach so leicht, eine gesunde Beziehung für selbstverständlich zu nehmen. Die Entspannung, die ich innerhalb meiner Beziehung endlich empfinde, fühlt sich an wie eine warme, kuschelige Decke. Wenn mein Partner und ich uns aber nicht regelmäßig umeinander bemühen, werden wir irgendwann mehr zu Mitbewohner:innen – und sind keine „Lover“ mehr.
„Beziehungen brauchen ein gesundes Gleichgewicht aus Komfort und Erforschung – aus Sicherheit und Spaß“, meint Steele. Ich versuche daher, unsere natürliche Routine ins Gleichgewicht zu bringen, indem ich uns neue Erfahrungen ermögliche. Zum Beispiel gehen wir unter der Woche auf Dates oder schmieden Reisepläne (selbst für kurze Wochenendtrips). Und sogar neue Spazierwege mit unserem Hund sorgen dafür, dass wir es uns in unserer Beziehung nicht zu leicht, zu bequem machen.
Es ist auch superwichtig, körperlich in Kontakt zu bleiben. Wir umarmen uns, wenn jemand von uns nach Hause kommt, geben uns jeden Abend einen Gute-Nacht-Kuss und kuscheln auf der Couch. All diese romantischen Berührungen sorgen dafür, dass der Funken zwischen uns erhalten bleibt. Wenn wir all das mal vergessen, fühle ich mich ihm schnell nicht mehr so nah wie vorher.
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Das ist aber einfach ein Problem des Lebens, nicht ein Problem unserer Beziehung. Selbst als Single musste ich meine Routine immer mal wieder umstellen, um mich nicht zu langweilen. Es ist merkwürdig, dass wir an unsere romantischen Beziehungen so enorm hohe Erwartungen richten, sodass ganz natürliche Aspekte unseres Lebens plötzlich zu riesigen Problemen aufgebauscht werden, die in anderen Beziehungen oder in unseren individuellen Leben einfach akzeptiert werden. Es gibt keinen einzigen Lebensbereich, der nicht dann und wann mal ein bisschen frischen Wind gebrauchen kann. Warum verlangen wir also von romantischen Beziehungen, ewig genauso spannend zu bleiben wie zu Beginn?
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns nur deswegen so kritisch auf Komfort und Routinen in unseren Beziehungen fixieren, weil wir auf den Glauben konditioniert wurden, Liebe müsse turbulent und aufregend sein. Muss sie nicht! Liebe soll uns stützen. Eine wirklich gesunde Beziehung ist eine, in der du dich sicher fühlst – denn erst dann hast du den Support, den du brauchst, um dich auch verletzlich zu zeigen.
Mir ist klar geworden, dass ich selbst dafür verantwortlich bin, meinem Leben Spannung einzuhauchen – und dass diese Spannung nicht einer Langzeitbeziehung entspringen muss, zumindest nicht andauernd. Klar: Ich erlebe auch aufregende Momente mit meinem Partner. Gleichzeitig ist mir aber bewusst, dass unsere Beziehung in Wellen verläuft: Vielleicht machen wir es uns zwischendurch zu bequem. Dann kommt aber wieder ein aufregender Abend, oder irgendein großer Erfolg im Leben – und schon verändert sich die Energie unserer Beziehung wieder.
Ganz ehrlich: Das Leben ist ohnehin chaotisch genug. Genau deswegen ist es eine der tollsten Erfahrungen überhaupt, in seinem Zentrum eine konstante, beruhigende Lovestory zu haben.
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