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Ich bin Autistin – was Dating für mich unmöglich macht

Foto: Poppy Thorpe.
„Ich habe schon immer gemerkt, dass ich dazu neige, anderen Leuten hinterherzuhinken, und das gibt mir das Gefühl, dass ich dazu verdammt bin, immer hinterherzuhinken.“
Josefina, 27, ist eine chilenische Studentin, die ihren Master in Großbritannien macht. Sie hat eine komplizierte Dating-Geschichte und war in ihren 20ern immer Single.
In einer E-Mail an R29 erklärt sie, dass die Dating-Welt nicht für neurodivergente Menschen gemacht ist und dass alles, vom Unverständnis für Flirts bis hin zum Geruch von Alkohol, ihr Liebesleben beeinträchtigt. Sie führt das zumindest teilweise auf die Tatsache zurück, dass sie Autistin ist.
Autismus ist eine lebenslange Entwicklungsstörung. Es handelt sich um eine Spektrumerkrankung. Das bedeutet, sie wirkt sich auf unterschiedliche Weise auf Menschen aus. Man geht davon aus, dass ein Prozent der deutschen Bevölkerung autistisch ist, obwohl viele Erwachsene keine Diagnose haben. Autismus verändert die Art und Weise, wie Menschen kommunizieren und die Welt um sie herum wahrnehmen. Das macht die Partner:innensuche für autistische Menschen, insbesondere für autistische Frauen, schwieriger und gefährlicher. Die Forschung läuft noch, aber einige Studien zeigen, dass autistische Erwachsene fast dreimal so häufig wie allistische (nicht-autistische) Erwachsene ungewollte sexuelle Kontakte erleben. Autistische Frauen sind besonders gefährdet.
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Als Autist:in in einer Welt zu leben, in der diese Vorurteile über das Leben als Autist:in vorherrschen, kann unerträglich sein und trägt vielleicht dazu bei, dass die Suizidrate unter Autist:innen dreimal so hoch ist wie im Rest der Bevölkerung. Eine autistische Person wird immer eine autistische Person sein – egal wie sehr die Menschen daran arbeiten, diese Tatsache zu unterdrücken.
Josefina bemerkte das anhand ihrer romantischen Erfahrungen als Studentin. Sie lernte ihren ersten Freund in den Weihnachtsferien ihres ersten Studienjahres kennen und erzählt, dass sie nicht wusste, wie sie mit der Tatsache umgehen sollte, dass er vier Jahre älter war als sie. Außerdem wurde er recht schnell zu einem Kontrollfreak.
„Er hat mich dazu gebracht, mit ihm LSD und MDMA zu nehmen, eingeschlossen in seinem Zimmer“, sagt sie. „Er ließ mich nicht einmal in meinem eigenen Zimmer schlafen, obwohl es direkt neben seinem lag.“ Da Josefina Schwierigkeiten hat, zu kommunizieren und sprachliche Signale zu verstehen, war es für sie noch schwieriger, auf dieses kontrollierende Verhalten zu reagieren. „Ich musste Freund:innen an einer anderen Uni bitten, mir zu helfen, mit ihm Schluss zu machen, weil ich wirklich große Angst hatte.“
Das war auch das erste Mal, dass ihre (damals noch nicht diagnostizierte) Neurodivergenz als Waffe gegen sie eingesetzt wurde: Er benutzte „autistisch“ als Schimpfwort, als sie von einem ihrer Interessen sprach.
Nach dieser Beziehung fiel es Josefina schwer, das zu lernen, was sie ein „Abschleppskript“ nennt, und hatte damit zu kämpfen, ob sie sich darauf einlassen wollte. „Jedes ‚normale‘ Mädchen in meinem Alter hat das getan, alle haben mit anderen Leuten geschlafen, also konnte ich das sicher auch tun – nur fühlte es sich nicht richtig an. Ich ahmte nach, was andere Mädchen taten, weil ich nicht instinktiv wusste, wie man mit beliebigen Männern anbandelt. Ich erinnere mich daran, dass ich mich mit einem Typen getroffen habe, der eigentlich ganz nett war, aber was mit ihm passiert ist, habe ich völlig vergessen.“
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Kommunikationsprobleme können zu größeren Problemen in Bezug auf die Einvernehmlichkeit führen und dazu, dass man nicht in der Lage ist, nötigendes Verhalten eindeutig zu erkennen. Josefina erinnert sich an einen besonderen Fall während ihres Studiums, als einer der „beliebteren“ Männer ihres Jahrgangs begann, sie auf eine flirtende Art anzusprechen. „Du musst verstehen, dass ich sofort merke, dass da etwas verdächtig ist, aber ich kann nicht genau sagen, was es ist, denn oberflächlich betrachtet klingt es ganz nett. Dann sagten zwei seiner Freundinnen, dass er ‚wirklich gerne‘ mit mir nach Hause gehen wolle, und ich glaube, eine Mischung aus dem Gefühl, hässlich zu sein und gleichzeitig in dieser Situation gefangen zu sein, hat dazu geführt, dass ich mit ihm zurückgegangen bin.“ Wenn sie darüber nachdenkt, sagt sie: „Letztendlich war das eindeutig eine Nötigung.“
Diese Erfahrungen haben Josefina noch misstrauischer gemacht, wenn es darum geht, über Dating-Apps potenzielle Partner zu finden.
„Ich bin nicht bereit, mich nur zu verabreden, um jemanden zu finden, mit dem ich Sex haben kann, denn das hat mir nicht gefallen, als ich es ausprobiert habe. Ich habe meine autistischen Bedürfnisse verheimlicht: Ich brauche zuerst Vertrautheit. Vielleicht sind Männer in meinem Alter weniger raubtierhaft, aber wir leben in einer Kultur, in der es gar nicht unüblich ist, ekelhafte Nachrichten zu teilen, die man auf Dating-Apps erhalten hat. Obwohl extreme Gewalt statistisch gesehen selten vorkommt, mache ich mir immer noch Sorgen, dass es mir passieren könnte, weil ich weiß, dass ich leicht auszunutzen bin. Ich kann nicht immer den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge erkennen.“
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Jetzt, neun Jahre nach diesen ersten Erfahrungen, zieht Josefina Bilanz über die Schlüsselbereiche, die ihr die Partnersuche erschweren.
Sie hat nicht nur Kommunikationsschwierigkeiten, sondern reagiert auch unglaublich empfindlich auf sensorische Reize, was sie in zweierlei Hinsicht beeinträchtigt. Zum einen leidet sie an Magersucht. „Ich glaube, der Grund dafür, dass ich das Gefühl habe, mein Körper sei größer, als er tatsächlich ist, liegt darin, dass ich sehr empfänglich für sensorische Rückmeldungen bin und beim Sex natürlich viel berührt, gegriffen, gefühlt wird. Ich selbst wollte (und will immer noch) nicht auf diese Weise getriggert werden. Und ich wollte nicht, dass jemand sieht, was ich sehe.“
Diese Empfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen wirkt sich auch auf das Dating selbst aus: Josefina findet Orte wie Bars oder Restaurants unmöglich. „Ich vertrage weder mehrere Geräusche gleichzeitig noch Orte, an denen es sehr stark riecht. Ich kann nicht einmal in eine Kneipe gehen, weil ich den Geruch von Alkohol hasse. Welcher normale Erwachsene würde versuchen, mit so jemandem auszugehen? Und wie kann ich diese sensorischen Empfindlichkeiten ausdrücken, ohne die andere Person zu verletzen oder zu verunsichern?“
Josefina glaubt, dass es das Beste ist, mit anderen aus ihrem akademischen Umfeld in Kontakt zu treten. Aber da die Pandemie alles ins Internet verlagert hat, hatte sie keine Chance.
„Ich mache mir Sorgen, dass ich mit Ende 20 keine romantischen Erfahrungen mehr machen werde. Also denke ich, dass ich mich damit abfinden musste, allein glücklich zu sein, weil es mir an grundlegenden sozialen Fähigkeiten mangelt, ich absurde Ansprüche habe und meine Forderungen an andere Menschen seltsam sind, und dass ich Glück, Liebe und Zugehörigkeit woanders finden muss.“
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Wie man sich als neurodiverse Person bei der Partner:innensuche zurechtfindet

Laut Zoe Gross, Leiterin der Interessenvertretung beim Autistic Self Advocacy Network, gibt es keine Garantie dafür, dass du mit denselben Hindernissen konfrontiert bist wie eine andere Person. Sie sagt jedoch, dass eines der wichtigsten Dinge, die du tun kannst, ist, offen über deinen Autismus zu sprechen und darüber, wie er dich beeinflusst. „Wenn du dich verabredest, suchst du jemanden, dem oder der du vertrauen kannst – und wenn jemand nicht offen dafür ist, mehr über Autismus zu erfahren und auf deine Bedürfnisse einzugehen, ist diese Person vielleicht nicht die richtige Wahl.“
Das muss kein langes Gespräch sein. Du kannst das Thema immer dann einfließen lassen, wenn es sich von selbst ergibt. Das ist besonders nützlich, sagt sie, „wenn du in eine Situation kommst, in der es offensichtlich ist, dass du autistisch bist – zum Beispiel, wenn du bei einem Date auf der Tanzfläche Kopfhörer tragen musst oder wenn du bei einem Date an einem überfüllten Ort dicht machen könntest. Dann würde ich es schon vor der Situation bekannt geben, damit du die Kontrolle darüber hast, wie die andere Person herausfindet, dass du autistisch bist, welche Informationen du ihr zuerst geben willst und so weiter.“
Sie rät allen Menschen, die daten, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, wenn sie jemanden zum ersten Mal treffen. „Zum Beispiel, sich an einem öffentlichen Ort zu treffen oder eine:n Freund:in zu bitten, zu einer bestimmten Zeit anzurufen, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist. Für autistische Menschen können diese Maßnahmen dazu beitragen, dass wir uns wohlfühlen, wenn wir nicht wissen, ob wir jemanden richtig eingeschätzt haben.“
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Neurotypischen Menschen, die Autist:innen daten, rät Zoe, alle Vorstellungen über Autismus loszulassen. Denn es gibt viele Fehlinformationen, die auf die Person, mit der du dich triffst, vielleicht nicht zutreffen.
„Finde heraus, wie Autismus ihr Leben beeinflusst, angefangen damit, wie er eure gemeinsame Zeit beeinflusst. Es ist besser, Fragen zu stellen, als Vermutungen anzustellen. Autist:innen sind zwar alle unterschiedlich, aber viele von uns haben etwas gemeinsam: einen direkten Kommunikationsstil. Dinge, die nur angedeutet oder indirekt kommuniziert werden, nehmen wir vielleicht nicht wahr. Wenn du also etwas von deinem autistischen Partner oder deiner autistischen Partnerin brauchst oder etwas ansprechen willst, was dich stört, dann sei auch mit uns direkt – geh nicht davon aus, dass wir verstehen, was du brauchst, ohne dass du es uns sagst.“
Emma Dalmayne, Geschäftsführerin von Autistic Inclusive Meets, betont, dass „es selten ist, eine:n neurotypische:n Partner:in zu finden, der:die geduldig und integrativ ist. Autistische Partner:innen haben dann oft das Gefühl, dass sie in irgendeiner Weise schuld sind, obwohl es für alle Beteiligten viel einfacher wäre, wenn ihr:e neurotypische:r Partner:in verständnisvoller wäre, die eigene Herangehensweise hinterfragen und klar kommunizieren würde.“
„Grundsätzlich sollte niemand dazu gebracht werden, sich in einer Beziehung aufgrund der eigenen neurologischen Verfassung weniger wert zu fühlen. Wenn du dich so fühlst, lass es die andere Person wissen oder verlasse sie, denn niemand sollte sich so fühlen müssen.“
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