Dieser Artikel erschien zuerst bei im gegenteil!
Es ist wieder passiert: „Sorry, ich mag dich echt gern, aber nicht auf diese Weise. Du interpretierst da etwas, was nicht da ist.“ Okay, da kann man nichts machen, aber danke für deine Ehrlichkeit. Nichts für ungut. Wirklich nicht. Mir passiert das häufiger, das mit den Gefühlen, die nicht da sind. Ich bin da einfach etwas dusseliger als andere. Genau genommen bin ich ziemlich kurzsichtig, was das angeht: die kleinen Körperzeichen, die subtilen Signale, die ganze nonverbale Kommunikation. Man kann sagen, ich bin Autist. Ja, genau: Autist.
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Und so geschieht es immer wieder: Ich finde Interesse an einer Frau, gehe auf sie ein, mitunter auch mit ihr aus, verknalle mich vielleicht sogar, schwebe im siebten Himmel. Nur um zu erfahren, dass alles nur eine Illusion war, dass die Dame meines Herzens eigentlich nichts von alldem im Sinn hatte. Das kann jedem passieren, keine Frage, aber für mich und viele andere, denen soziale Interaktion nicht so gut liegt, ist es Normalität. Darüber kann man in Trauer verfallen; ich versuche eher, das Beste daraus zu machen.
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Autismus ist eben nicht nur Rain Man und Inselbegabung.
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Denn wo es an nonverbalen Fähigkeiten mangelt, braucht es eben mehr klare Worte. Über Gefühle zu sprechen, ist manchmal eben doch einfacher, als solch wichtige Dinge im Ungewissen zu lassen. Daher begann ich, mich schon früh zu bekennen und um Verständnis zu bitten, dass ich in zwischenmenschlichen Dingen etwas anders ticke, autistische Züge aufweise.
Und dann die üblichen Fragen: Nein, ich kann nicht mit einem Blick die Murmeln in einem Glas zählen und, nein, ich kann mir auch nicht die Zahl Pi bis zur tausendsten Stelle merken. Mathe liegt mir zwar, aber auch das nur im Rahmen des Normalen. Und, Überraschung, meine verbalen Skills sind auch ganz okay. Tatsächlich falle ich im Alltag kaum auf, kann problemlos Freundschaft schließen und bin auch sonst eher der gesellige Typ.
Autismus ist eben nicht nur Rain Man und Inselbegabung, nicht nur schüchterne, immerzu abwesende Kinder. Autismus ist ein Spektrum, an dessen unteren Ende alles auf den ersten Blick normal scheint. Etwa jeder Hundertste ist betroffen und viele können ein weitestgehend normales Leben führen. Nur wenn es um die subtilen zwischenmenschlichen Dinge geht, gibt es einen Aussetzer.
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Meine Freunde sind bemüht, mich zu verkuppeln. Das ist süß, aber hilft nicht unbedingt weiter.
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Meine engsten Freunde ahnen zumindest, dass irgendwas an mir anders ist. Wenn ich manchmal einen sarkastischen Witz nicht verstehe. Oder wieder einmal davon berichte, wie ich mich nächtelang in irgendeinem Nischenthema verloren habe. (Zuletzt: die komplizierte Herstellung von getrockneten Fischflocken für standesgemäße japanische Suppengerichte.)
Und trotzdem kann keiner von ihnen so recht verstehen, warum ich nach all den Jahren immer noch Single bin. Ich wäre doch eigentlich ein netter Kerl und überhaupt, Töpfe und Deckel, Fische im Meer et cetera, et cetera; aber was sollen sie auch sagen, es ist ja, als würde meine Mutter für mich eine Kontaktanzeige schalten – liebe Worte, sehr bemüht, vielleicht etwas zu sehr.
Und so folgt, was wohl viele Langzeit-Singles kennen. Aufmunterung, Ratschlag und Verkupplungsversuche, immer wieder, immer wieder anders, stets gut gemeint und gern aufgenommen. Helfen tut all das aber nicht unbedingt, denn das Problem wurzelt tiefer als einfach nur in Glücklosigkeit.
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Nonverbale Kommunikation – ein Buch mit sieben Siegeln, das ich sorgsam studierte und trotzdem nicht verstehe.
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Mir fehlt das Gespür für nonverbale Kommunikation, wenn es keine verbalen oder kontextuellen Hinweise gibt. Im Alltag ist das keine große Herausforderung, da wird das Wesentliche ausgesprochen und wenn nicht, dann kann es nicht so wichtig sein. Aber beim Daten, wenn man sich langsam kennenlernt und vorsichtig aneinander vortastet, sind diese kleinen Hinweise in der Körpersprache oder der Tonlage oftmals alles, was der Gegenüber preisgibt.
Frauen sind für mich, was das angeht, eine Blackbox. Bis heute weiß ich nicht, wie man flirtet, und kann mir nur vorstellen, wie viele Frauen sich bisher an mir die Zähne ausbissen und wohl dachten, wie schwer von Begriff ich sein muss. Tut mir leid, aber was soll’s. ¯\_(ツ)_/¯
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Hier fängt das Problem aber erst an: Ich weiß eigentlich sehr genau, welche nonverbalen Zeichen eine Frau aussendet, wenn sie von einer Person angetan ist. Wie sie den Kopf zur Seite legt, wie sie mit ihrem Haar spielt, wie sich ihre Pupillen weiten und so weiter, und so fort. Unzählige YouTube-Videos, WikiHows, Psychologie-Ratgeber und genaue Beobachtungen an der Bar bildeten mich zu einem regelrechten FBI-Verhörspezialisten aus. Oder vielleicht auch nicht, vielleicht ist das alles übertrieben oder schlicht falsch. Was weiß ich schon. Aber immerhin, wieder so ein Thema, mit dem ich mich stundenlang auseinandersetzen kann.
Allein das explizite Wissen um die Feinheiten der nonverbalen Kommunikation reicht nicht aus, um sie im wesentlichen Moment auch zu erkennen und sich ihrer bewusst zu werden, geschweige denn auf einer emotionalen, unbewussten und impliziten Ebene eine adäquate Reaktion ganz natürlich, spielerisch leicht folgen zu lassen. Und wenn ich dann mal den Entschluss fasse, meine Anziehung etwa durch eine Berührung zum Ausdruck zu bringen, dann fühlt es sich sogar für mich plump und gestellt an. Ich möchte nicht wissen, wie das auf Außenstehende wirken mag.
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Immerhin fehlt es nicht an Worten.
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Ich ziehe die Lehre daraus, offener darüber zu reden, was in mir vorgeht. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass häufig ein gegenseitiges Bekenntnis erfolgt und mit einem Mal all das, was zuvor unausgesprochen blieb, wie ein kniffliges Kreuzworträtsels aufgelöst wird. Bisher war diese Strategie noch nicht von Erfolg gekrönt, es räumt aber mit der nagenden Ungewissheit auf, die mich sonst so lange umtrieb.
Gleichermaßen ist es wie ein Geschenk, wenn eine Frau von sich aus die Initiative ergreift und klare Töne anstimmt – das wünscht sich wohl jeder Mann, ob er nun auf dem sozialen Ohr schwer von Begriff ist oder nicht. Und wenn es dann mal klappt, dann ist viel gewonnen. Vielleicht sogar eine Beziehung, in der man offen über alles reden kann. Das, finde ich, ist ziemlich anziehend.
Die Freunde unseres Gastautors haben schon alles versucht, er bleibt ein unvermittelbarer Single. Mittlerweile ist klar, dass er autistische Züge trägt, wie es im Fachjargon heißt, obwohl er im Alltag kaum auffällt. Allein das Daten bleibt eine Herausforderung. Denn es fällt ihm schwer, zu erkennen, wenn eine Frau auf ihn steht.
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