„Können wir bitte damit aufhören, Kinderkriegen als eine Voraussetzung für eine Familiengründung zu sehen? Paare allein können eine Familie sein – unabhängig davon, ob sie Nachwuchs haben oder nicht.“
Das ist ein Kommentar zu einem meiner Artikel, den ich vor Kurzem veröffentlichte. In diesem geht darum es, dass Frauen oft keine andere Wahl haben, als sich mit Jobs zufriedenzugeben, die sie nicht erfüllen, weil sie ja schließlich für ihre Kinder aufkommen müssen. Das hat mich auch dazu gebracht, über die Art und Weise nachzudenken, wie wir Familie definieren. Über dieses Thema habe ich mich auch mit Mitgliedern unserer Facebook-Gruppe „Money Diaries“ unterhalten.
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Familie ist ein Wort, das viele Definitionen hat, aber am häufigsten wird es im Zusammenhang mit unterschiedlichen Generationen verwendet. In diesem Kontext ist eine Familie eine Gruppe von (normalerweise biologisch) miteinander verwandten Generationen, in deren Mittelpunkt Eltern und Kinder stehen. Gesellschaftlich ist diese Definition schon seit langer Zeit normalisiert. Der Sammelbegriff „Kernfamilie“ wurde im frühen 20. Jahrhundert geprägt, um das Familienideal von Mutter, Vater und biologischen Kindern (Plural) zu beschreiben.
Diese Definition von Familie hat sich insbesondere in der Politik als nützlich erwiesen. Sarah Jaffe schreibt in ihrer Einleitung zu Work Won't Love You Back dazu Folgendes: „Die Familie selbst war und ist eine soziale, wirtschaftliche und politische Institution. Sie entwickelte sich neben anderen Institutionen – dem Kapitalismus und dem Staat – und wurde wie diese als Mechanismus zur Kontrolle und Leitung der Arbeit, in diesem Fall der Arbeit der Frauen, entwickelt.“ Arbeit bezieht sich hier auf die Energie, die Frauen investieren – die Arbeit der Liebe, der Akt der Pflege und Aufrechterhaltung der geldbringenden Arbeit des Mannes sowie der Erziehung von Kindern, sodass diese denselben Kreislauf wiederholen können. Fortpflanzung war klassenübergreifend notwendig, um neue Arbeitskräfte zu schaffen und ein höheres Einkommen zu erzielen, aber auch, um Reichtum und Land innerhalb der klaren Grenzen biologischer Bindungen zu halten.
Die Notwendigkeit, Familie auf diese Weise zu definieren, ist nicht mehr so akut wie im 19. und 20. Jahrhundert. Anklänge daran bleiben aber. Das ist vor allem in der populären, eher euphemistischen Definition von Familie, die viele (mich eingeschlossen) unbewusst verwenden oder bisher verwendet haben. Familie ist ein Ersatzbegriff fürs Kinderkriegen: „Eine Familie zu gründen“, bedeutet, eine neue Generation heranzuziehen; ein Schwerpunkt der feministischen Befreiung ist, dass Frauen nicht zwischen Arbeit und „Familie“ (d. h., dem Kinderkriegen) zu wählen brauchen; und Fragen darüber, ob eine Frau versucht, schwanger zu werden, zeigen sich in der indirekteren Formulierung: „Wann hast du vor, eine Familie zu gründen?“
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Obwohl das Konzept der Kernfamilie allgegenwärtig ist, war die Art und Weise, wie sich Familien bilden, schon immer so sehr im Wandel wie heute. Generationen, die sich durch gegenseitige Zuneigung und dadurch auszeichnen, dass sich Menschen umeinander kümmern, sind die bestimmenden Faktoren – und nicht die biologische Verbindung oder gar die Anzahl der Eltern. Und doch hält sich die Vorstellung von einer expliziten Eltern-Kind-Dynamik (idealerweise biologische Kinder eines cis Mannes und einer cis Frau) als Inbegriff von Familie hartnäckig. Eine Familie „entsteht“ also erst, wenn ein Kind auf die Welt kommt und keinen Augenblick früher.
Ich bin eine lesbische Frau, die sich sowohl persönlich als auch beruflich damit beschäftigt, wie Familien außerhalb der „Kern-Dynamik“ gebildet werden. Ich hatte mir aber noch nie zuvor Gedanken über die Implikationen der Phrase „eine Familie gründen“ gemacht. Wenn du dieses Konzept genau unter die Lupe nimmst, sind die Implikationen offensichtlich und fast schon erschreckend.
Lara, eine der Frauen, die mich in unserer Facebook-Gruppe „Money Diaries“ auf dieses Thema ansprach und keine Kinder hat, teilte mir Folgendes mit: „Diese Terminologie trägt dazu bei, dass wir uns ohne Kinder unvollständig fühlen und dass eine Familie, die aus einem Paar besteht, weniger wichtig ist als eine mit Kindern. Wenn du einmal wirklich genau darauf achtest, wirst du merken, wie allgegenwärtig diese Sprache ist: Politiker:innen sprechen gerne von ‚hart arbeitenden Familien‘ und meinen damit immer Menschen mit Kindern.“ Sie fügte hinzu, dass sie sich darüber ärgert, weil sie nicht absichtlich kinderlos ist. „Ungewollte Kinderlosigkeit ist ohnehin ein emotionales Thema, und diese weit verbreitete Denkweise verstärkt nur das Gefühl, ‚weniger wert‘ zu sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch Menschen, die keine Kinder wollen, sehr ärgern muss. Außerdem fühlen sich Paare ohne Kinder – egal, ob aus freien Stücken oder weil es nicht möglich ist – nicht unbedingt miteinbezogen, wenn jemand nach Kindern oder einem Kinderwunsch fragt – das geht einfach zu weit und gibt dir das Gefühl, dass was mit dir nicht stimmt.“
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Kelly, eine andere Frau, die sich in der Gruppe zu dem Thema äußerte, fügte hinzu, dass sie den Ausdruck früher verwendet hatte, bis sie jemand darauf hinwies, dass er impliziert, dass Familien ohne Kinder keine Familien seien. „Genauso wie davon ausgegangen wird, dass jede:r von einer Kernfamilie mit Mann, Frau und 2,5 Kindern träumt, ist dieser Begriff überholt und schließt jede:n aus, der:die nicht in diese Standard-Familieneinheit passt. Mir ist klar, dass die meisten Leute mit Kommentaren, die diese Denkweise widerspiegeln, nicht absichtlich verletzend sein wollen. Diese veraltete Definition ist einfach sehr tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Sie zu überdenken, ist aber der erste Schritt, um diese Sprache und die damit verbundenen Stereotypen zu ändern.“
Beim Überdenken unserer Definition von Familie geht es nicht nur darum, diejenigen einzubeziehen, die kinderlos sind oder in der Zukunft möglicherweise Eltern sein werden und nicht der heterosexuellen, gleichgeschlechtlichen Norm entsprechen. Das ist natürlich sehr wichtig, insbesondere wenn es um die anhaltenden Ungleichheiten geht, von denen nicht-normative Familien betroffen sind, und den einzigartigen Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen.
Die Definition von Familie zu überdenken, ermöglicht es uns im weiteren Sinne, Familie über die individuelle, isolierte Einheit hinaus als Teil einer wachsenden, vernetzten Community zu betrachten. Das kann eine Wahlfamilie für trans Menschen sein, die keinen Kontakt zu ihren biologischen Verwandten haben, alleinerziehende Mütter, die eine Art Kommune bilden, oder sogar generationsübergreifende Freundschaften.
Die Sprache, die wir verwenden, bestimmt nicht, wie wir leben, aber sie prägt, wie wir Dinge wahrnehmen. Hinter der Gewohnheit, eine Geburt als den Punkt zu betrachten, an dem eine Familie „entsteht“, stecken sicherlich keine bösen Absichten. Wenn du aber anfängst, die Muster in Phrasen im Zusammenhang mit Familie und Familiengründung zu erkennen, wird dir klar werden, wie sie unsere Erwartungen aneinander auf subtile Weise verzerren können. Indem wir sie ablehnen, können wir mehr Raum für jede Art von Familie schaffen – von kinderlos bis hin zu ausgedehnten Wahlfamilien und allem, was dazwischen liegt. Auf diese Weise wird dem Großziehen von Kindern oder Elternschaft keine höhere Priorität als allen anderen Konstellationen von Familien beigemessen. Stattdessen wird Unterstützung und die Gemeinschaft, die eine Familie bieten kann und sollte, wie auch immer sie gestaltet ist, in den Mittelpunkt gerückt.
Wie Kelly es ausdrückt: „Mein Mann und ich sind eine Familie. Meine Freundin und ihre Katze sind eine Familie. Mein Onkel, der allein lebt, hat eine Familie, die sich um ihn kümmert. Keinem:keiner von ihnen fehlt es an etwas, um Teil einer Familie zu sein – sie sind es bereits. Wenn wir uns jemals entscheiden würden, ein Kind zu bekommen oder zu adoptieren, ein Haustier zu kaufen oder irgendjemand anderen in unsere Familie aufzunehmen, würden wir das als Erweiterung betrachten, nicht als Beginn.“