Wer sich rund um die Uhr mit Mode beschäftigt, sei es beruflich oder privat, den ereilt nicht selten über kurz oder lang eine Art Modefaulheit. Man sieht gefühlt täglich das Kommen und Gehen von Trends und fragt sich immer öfter, ob man diesen Hype nun mitmachen soll oder nicht. An manchen Tagen fühle ich mich erschlagen von Must-Haves und bekomme regelrechte Aggressionen. Wenn mir zum Beispiel in der Stadt auf einem Weg von 100 Metern das zehnte Mädchen mit Gingham-Karo oder Schulterfreier Volantbluse entgegen kommt. Dann möchte ich die Leute manchmal gerne packen und ihnen in Gesicht schreien, dass das doch nichts mehr mit wirklichem Stil oder Individualität zu tun hat.
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Doch dann schaue ich an mir hinunter und muss mir eingestehen, dass auch ich keineswegs immun bin gegen die kurzlebigen Modephänomene, die mir aus Magazinen, dem Internet, Blogs und Instagram entgegen lachen. Ein wenig möchte ich mir aber einreden und bin auch der Meinung, dass ich eine einigermaßen gesunde Balance gefunden habe. Sie kam auch mit der Einsicht, dass mich Trends oft nach ungefähr einem Monat anöden und ich dann doch wieder meine Kleiderschrank-Evergreens dem hippen Fashionpiece vorziehe.
Vielleicht ging es Haley Nahman ähnlich, bevor sie vergangenen März nach New York zog und mit ihrer reflektierten und äußert charmant amüsanten Schreibe das Team um Leandra Medines Man Repeller bereicherte. Heute sieht es bei der Moderedakteurin jedoch ganz anders aus und Haley veröffentlichte kürzlich ein sympathisches und ehrliches Modegeständnis auf Man Repeller, das uns alle wieder ein wenig auf den Boden der Tatsachen zurück holen kann. Denn es beweist gleich mehreres. Auch als Mitarbeiter bei einem der beliebtesten und größten Modeseiten der Welt ist man nicht immun gegen dieses Gefühl, nur einer von vielen zu sein. Haley beschreibt es sehr schön, indem sie sagt, sie war in ihrer Heimat San Francisco stylistisch ein großer Fisch in einem kleinen Aquarium, sie stach heraus. Ab dem Moment, an dem sie nach New York zog, fühlte sie sich plötzlich als Goldfisch im Atlantik und alle schienen ihr um mehrere modische Nasenlängen voraus zu sein. In der Modehauptstadt der Welt dreht sich das Rad so schnell, dass Trends von heute Morgen ab Abend schon wieder für die Tonne sind.
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Nahmans Taktik bei schnellen Trends hieß immer „schneller Konsum“ – denn wofür ist die Fast Fashion schließlich sonst da, um im Handumdrehen unsere modischen Bedürfnisse zu befriedigen? Die Kehrseite der Medaille, die auch ihr sicher kennt: Qualität bleibt bei hoher Quantität auf der Strecke und irgendwie ist die Freude am neuen Trendteil sehr schnell erschöpft. Und wirklich billiger ist diese Art des Konsums auch nicht.
Überraschend ehrlich fand ich das Geständnis von Haley, dass sie schlicht und ergreifend nicht die finanziellen Mittel besitzt, um in der oberen Modeliga mitzuspielen. Eine Redaktuerin von Man Repeller hat kein Geld für Mode? Und gibt das auch noch zu? Es gibt also noch eine normale Welt in all dem Wahnsinn, wie wunderbar diese Worte sind! Was bleibt einem, der wenig hat? Haushalten. Und so ging Haley Nahman dazu über, seit jeher nur noch in Second Hand Geschäften zu kaufen – und auf diese Weise ihre modische Kreativität wieder zu entfachen. Denn mal ehrlich, ein Vintagehemd auf Trendniveau zu bringen ist um Längen anspruchsvoller, als das fertig geknotete Teil im Laden zu kaufen, oder? Darüber musste ich eigentlich am meisten nachdenken.
Das ein oder andere Fashion-Goodie findet natürlich auch seinen Weg in Nahmans Kleiderschrank, das gesteht sie ein. Doch ich knie nieder vor dem Fakt, dass sie ansonsten in den letzten zwöfl Monaten keine neuen Klamotten gekauft hat. Es ist doch einfach beruhigend zu wissen, dass ein absoluter Insider der Modeelite solceh Zeilen schreibt. Ich ziehe hieraus folgende Lehren für mich:
1. Es gibt immer Leute, die einen krasseren Style haben, als du. Der Trick ist, eine gewisse Entspannung zu erlangen, Mode-Zen quasi.
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2. Es ist keine Schande, sich gewisse Dinge einfach nicht leisten zu können. Auch unsere Vorbilder bekommen viele Geschenke und Rabatte und legen sicher nicht für jedes Markenteil den Kaufpreis auf den Tisch.
3. Not macht erfinderisch – und kreativ! Wann hast du eigentlich das letzte Mal rumprobiert, geknotet, Kleidung zerschnitten oder umgenäht, um sie deinen Bedürfnissen und deinem Geschmach anzupassen?
4. Wer nicht jedem Trend hinterher läuft, findet seinen wahren Stil. Wer bist du eigentlich? Was würdest du tragen, wenn du nicht umgeben wärest von Must-Haves?
5. Ausnahmen sind erlaubt und wenn du diesen einen Sneaker un-be-dingt haben musst, weil du sonst eventuell stirbst: Kauf' ihn dir. Niemand verurteilt dich.
Diese fünf Punkte werde ich mir ans Herz legen, nur für mich, ohne erhobenen Zeigefinger. Um wieder entspannter zu werden und auch, um vielleicht mein richtiges Mode-Ich zu finden und nachhaltiger zu leben. Danke, Haley Nahman, dass du uns hieran wieder erinnert hast.
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