Hast du das letzte Jahr größtenteils in Jogginghose und Schlabbershirt verbracht? Damit bist du nicht allein – und wie viele andere auch siehst du den Rest deines Kleiderschranks heute vielleicht deswegen ein bisschen anders. Die Pandemie hat uns dazu gezwungen, viele Aspekte unseres Lebens zu hinterfragen; dazu gehören auch unsere Klamotten, von denen sich der Großteil seit dem Frühjahr 2020 vermutlich vernachlässigt fühlt. Einige Leute haben das als Anlass genutzt, um mal so richtig auszumisten und Altes (oder Neues) zu spenden oder zu verkaufen. Und im digitalen Zeitalter waren gerade das Kaufen oder Verkaufen nie einfacher: Dauernd kommen neue Fashion-Plattformen dazu, die dich spielerisch deine Traum-Luxusbrands anprobieren lassen, dich virtuell stylen oder deine Garderobe katalogisieren.
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Einige dieser Apps und Websites haben in der Lockdown-Langeweile einen Nerv getroffen, weil sie Mode mit Spielspaß verbinden und selbst treuen Jogginghosen-Träger:innen ein bisschen Klamotten-Kreativität ermöglichen, ohne sich umziehen zu müssen. „Mir ist irgendwann aufgefallen, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen Fashion und Gaming gibt: das Storytelling, die Fantasie, die Strategie, den Vergleich mit anderen“, erzählt Lucy Yeomans, ehemalige Chefredakteurin bei Net-A-Porter.
Genau deswegen hat sie DREST gegründet – ein Fashion-Styling-Game, in dem du die neuesten Designer-Kollektionen an Supermodels stylst und tägliche Challenges erledigst. „Mir gefiel die Idee einer Plattform, auf der alle dieselben Möglichkeiten haben – wo jede:r Luxus-Fashion kaufen und stylen kann, was im echten Leben nicht immer geht.“ DREST bietet eine Form von Eskapismus und genau den Glamour, an dem es im Lockdown meistens fehlt. Aber es gibt auch weniger abstrakte Mode-Apps – zum Beispiel solche, die mithilfe diverser Algorithmen deine Garderobe zu diversen Outfits zusammenstellen.
„Der Lockdown bedeutet für viele eine Pause vom Alltag und hat vielen Leuten wie mir die Chance gegeben, die eigenen Klamotten zu überdenken und sich neu in die eigene Garderobe zu verlieben“, sagt Bianca Rangecraft, Gründerin der App Whering, die deinen Kleiderschrank digitalisiert, deine Outfits organisiert, dir Styling-Vorschläge macht (ja, genau wie bei Cher in Clueless) und eventuelle Lücken durch Produktvorschläge zu füllen versucht. Whering gibt es seit Juni 2020 und entstand durch den Wunsch, einen neuen Blick auf den bestehenden Kleiderschrank zu entwickeln. „Das ‚Ich habe nichts zum Anziehen‘-Dilemma kennt fast jede:r, genau wie die Unentschlossenheit, die das verursacht“, erklärt Rangecroft. „Für mich liegt das Problem aber nicht darin, dass ich nichts zum Anziehen habe, sondern nichts Neues zum Anziehen habe. Unsere App ist dafür da, die Klamotten neu einzusetzen – darin müssen wir besser werden. Wir können zwar immer weniger oder gezielter shoppen; wenn wir aber die Sachen, die wir schon haben, nicht richtig ausnutzen, respektieren wir damit nicht die Hersteller:innen unserer Klamotten.“
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Wherings Ziel ist es, langfristig unseren Kleidungskonsum runterzuschrauben – im starken Kontrast zum Ziel der Modeindustrie, mehr, mehr, immer mehr zu verkaufen. Da unser globaler Klamottenkonsum allerdings immer weiter aufs Gas drückt (bis 2030 soll er Prognosen zufolge um 63 Prozent steigen; das entspricht 500 Milliarden neuer T-Shirts), wird es immer schwieriger, das abzubremsen. „Wie können wir dir denselben Endorphin-Rausch geben, den du beim Shoppen bekommst, um dich vom Kaufen abzuhalten?“, fragt Rangecroft. „Wie sollte eine Plattform aussehen, auf der du deine eigene Kreativität dabei ausleben kannst, Looks aus dem zu erstellen, was du schon besitzt?“
Indem sie das Verhalten ihrer Nutzer:innen in der App analysieren und wöchentlich zu „Wednesday Wine“-Gruppen einladen, hat das Whering-Team herausgefunden, dass 75 Prozent der User, die etwa zehn Minuten am Tag in der App verbringen, damit das Online-Shopping ersetzen. „Sie können neue Outfits erstellen oder automatisch Looks generieren lassen“, erzählt Rangecroft. „Für jemanden, der oder die gerade gelangweilt ist, liefert die App dasselbe Erfolgsgefühl, das Gefühl von etwas Neuem. Und Langeweile ist oft der Grund für unsere Fast-Fashion-Käufe.“
Obwohl es dabei darum geht, unseren Klamottenkonsum zu verlangsamen, ist die Erwartung natürlich unrealistisch, dadurch würde niemand wieder neue Kleidung kaufen. Dafür bieten Apps wie Whering aber auch vernünftige Optionen: Um Lücken im Kleiderschrank zu füllen, werden die Produkte nachhaltiger Brands angeboten. „Uns anzuziehen ist eine der Notwendigkeiten des Lebens, aber es ist viel schwerer, als es aussieht“, meint die Celebrity-Stylistin Ella-Louise Gaskell, Gründerin der neuen virtuellen Styling-Plattform P.S. Online Styling. „Der Lockdown bedeutet für viele Leute plötzlich viel mehr Zeit – und das heißt: Wir haben die Möglichkeit, uns unsere Käufe besser zu überlegen, um eine langlebige, nachhaltige und durchdachte Garderobe zu erstellen, anstatt unser Geld aus Langeweile für Impulskäufe auszugeben.“
Die Mission von P.S. Online Styling ist simpel: Personal Styling für alle – durch virtuelle Beratung, Produktempfehlungen und personalisierte Mood Boards, durch die Kund:innen ihren Style optimieren können. „Mein Motto war schon immer: ‚Kaufe weniger, aber kaufe besser‘, und ich wollte das Glücksgefühl von neuen Outfits mit der beängstigenden Realität des Klimawandels vereinbaren und gleichzeitig kleine, unabhängige Labels unterstützen“, erklärt Gaskell. „Styling muss übrigens nicht heißen, immer neue Pieces zu kaufen. Wir arbeiten zum Beispiel auch mit Fashion-Mietplattformen wie HURR Collective zusammen, und wir helfen unseren Klient:innen außerdem dabei, aus ihren bestehenden Garderoben kleine, individuelle Kollektionen zu erstellen.“
Die große Frage ist aber: Können diese digitalen Angebote unsere Shopping-Gewohnheiten auch nach dem Lockdown langfristig verändern? „Wir beobachten einen enormen Wandel darin, wie unsere Zielgruppe mit dem umgeht, was sie schon besitzt und über ihren Konsum nachdenkt“, betont Rangecroft, deren App 10.000 aktive User hat. „Viele nehmen sich die Zeit, sich durch die Secondhandklamotten bei eBay oder Vinted zu scrollen und sagen sich: ‚Ich wähle jetzt nicht die einfache Option und shoppe eine halbe Stunde bei H&M‘, sondern investieren lieber eine Stunde, um ein Secondhand-Piece zu finden, das ihnen wirklich am Herzen liegt.“
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