Lieber Herr de Maizière, liebe CDU,
in Ihrem Entwurf der Berliner Erklärung, der unter anderem die doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen will, ist meiner Meinung nach soviel schief gelaufen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Versuchen will ich es trotzdem, anhand meines eigenen Werdegangs. Denn er erzählt die Geschichte so vieler, die heute in Deutschland leben.
Als Kind zweier Einwanderer wurde ich 1987 in (West-)Berlin geboren und wuchs im vereinten Berlin der 90er Jahre auf. Meine Mutter ist die Tochter griechischer Gastarbeiter, mein Vater kam in den frühen 70er Jahren aus Ägypten zum Studieren nach Berlin. Ich schätze mich glücklich, da meine Eltern mich hätten erzkonservativ erziehen können, wären sie auch nur einen Bruchteil traditionsaffiner. Stattdessen sind sie offener als die Eltern vieler meiner deutsch-deutschen Freunde; weil sie mehr Hindernisse überwinden mussten, um an den Punkt zu kommen, an dem sie jetzt sind. Die permanente Konfrontation von Andersartigkeit, gefolgt vom Glück und dem Erfolg, den sie erfahren haben, hat ihren Horizont erweitert. Etliche Male hätte ihr Leben auf diesem Weg ganz andere Wendungen nehmen können. Das ist ihnen sehr wohl bewusst und das haben sie immer unmissverständlich kommuniziert. (Danke, Mama & Papa!)
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Zuhause wurde immer viel geredet, über Gott und die Welt, über Sex, Politik und Kultur, in mehreren Sprachen. Diese Vielfalt, die man durchaus auch später im Leben erlernen kann, wurde meinem Bruder und mir in die Wiege gelegt. Was das für ein ungemeiner Bonus ist, das können nur diejenigen nachempfinden, denen es auch so geht.
Während mein Bruder und ich noch zur Schule gingen, reisten wir jeden Sommer für 6 Wochen nach Griechenland oder Ägypten. Lange Zeit waren diese Aufenthalte für mich so selbstverständlich, wie die Tatsache, dass auf den Tag die Nacht folgt. Erst mit etwa 20 bemerkte ich, dass ich quasi einen Sechser im Lotto erwischt hatte. Ich habe theoretisch die Möglichkeit, die Entwicklung mehrerer Länder im weitesten Sinne mitzugestalten, und das nicht erst durch jahrelangen Aufenthalt oder Heirat. Ich konnte reisen und mich trotzdem jedem dieser Länder zugehörig fühlen. Was für ein Privileg.
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Ich will meine Staatsbürgerschaften behalten, sie bei mir tragen als Zeugnis meiner Vielfalt
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Wenn ich danach gefragt werde, wo ich zuhause bin, antworte ich Deutschland. Weil ich hier geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen bin, weil ich hier sozialisiert wurde, hier studiert habe, hier Steuern zahle. Aber meine Familie, so fern sie mir in Griechenland und Ägypten (und den Niederlanden, der Schweiz, Saudi Arabien, den Emiraten, Bahrain, Argentinien und den USA) auch sein mag, ist auch mein Zuhause – zusätzlich zu, nicht anstelle von Deutschland. Ich will meine Staatsbürgerschaften behalten, sie bei mir tragen als Zeugnis meiner Vielfalt. Das heißt keinesfalls, dass meine Loyalität zu Deutschland kompromittiert wird. Vielmehr bedeutet es, dass sich meine Loyalität, meine Wertschätzung und Heimatliebe, und nicht zuletzt meine Interessen vervielfachen.
Integration schafft man nicht durch die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft – und ganz nebenbei bemerkt auch nicht durch die Lockerung ärztlicher Schweigepflicht. Menschen, die sich vom politischen System vernachlässigt fühlen, werden immer potenziell gefährlich sein, ganz egal, ob es sich dabei um desillusionierte, langzeitarbeitslose Inländer handelt oder um Geflüchtete, die bisher nur geduldet und rechtlich daran gehindert werden, am Leben teilzunehmen.
Glauben zu wollen, dass so eine missliche Weltlage, zu der Deutschland nicht minder beigetragen hat, einfach und ohne Kollateralschäden vonstattengeht, ist unrealistisch. Wenn Sie mir nun meine Staatsangehörigkeiten nehmen wollen, dann nehmen Sie mir meine Identität. Sie nehmen mir das, wofür ich Deutschland liebe: die Freiheit. Wenn ich meine eigene Vielfalt nicht zelebrieren dürfen soll, wenn ich aufhören soll, mich für die Politik und die Gestaltung anderer Länder zu interessieren und einzusetzen, dann bitte ich auch Sie, die Teilnahme Deutschlands an internationalen Einsätzen und Exporten zu überdenken. Bis dahin gebe ich nichts auf: keine Staatsbürgerschaft, keine Identität und keine Heimat.
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