Im 21. Jahrhundert werden Frauen-Freundschaften gefeiert wie nie zuvor. Von Dolly Aldertons Alles, was ich weiß über die Liebe bis hin zu dem Sommer, in dem wir alle von #SquadGoals geredet haben: Junge Frauen wachsen heute im goldenen Zeitalter der weiblichen Freundschaft auf. Uns wird vermittelt, dass diese Freundschaften das Rückgrat unserer Zwanziger ausmachen und sie romantische Liebe nicht nur ersetzen, sondern in manchen Fällen sogar erfüllender als diese sein können. Während solche Freundschaften in den sozialen Medien, der Literatur und auf unseren TV-Bildschirmen aber immer weiter zelebriert und repräsentiert werden, betrachten wir sie auch im echten Leben heute immer kritischer.
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Du musst dich nur kurz durch TikTok oder Instagram scrollen, um Tausende Beispiele dafür zu finden, wie Leute das schlechte Verhalten unter Freund:innen kritisieren. Es war nie geläufiger als jetzt, Freund:innen als toxisch, manipulativ oder faul zu bezeichnen oder ihnen Gaslighting vorzuwerfen. Ich glaube, genau deswegen habe ich mir immer jeden einzelnen Ratschlag dazu zu Herzen genommen, wie ich denn eine „gute Freundin“ sein könnte.
Als die „gute Freundin“ war es meine Aufgabe, alles zu organisieren – von Geburtstagspartys bis hin zu Verlobungs-Drinks –, während ich gleichzeitig noch eine Handvoll Gruppenchats moderieren musste. Ich kaufte für meine Freund:innen ein, wenn sie krank waren, und holte sie frühmorgens mit dem Auto von furchtbaren One-Night-Stands ab. Ich verbrachte ganze Wochen damit, für eine Freundin Jobangebote rauszusuchen, ihren Lebenslauf umzuschreiben und individuelle Bewerbungen für jeden Job zusammenzustellen, inklusive passender Anschreiben. Meine Wochenenden gingen dafür drauf, meinen Freund:innen beim Ausmisten von Schränken und Aufräumen von Wohnungen zu helfen, bevor mir dann am Sonntagabend auffiel, wie schlimm meine Bude eigentlich aussah.
Es war gegen Mitternacht an einem regnerischen Dienstag, als mich mein Freund darum bat, endlich ins Bett zu kommen, und mir klar wurde, dass ich übermäßig viel Energie in meine Freundschaften investierte. Ich erzählte ihm, dass ich gerade an sechs verschiedenen Lebensläufen für eine Freundin saß. Er fragte mich, ob ich mir diese Aufgabe selbst aufgedrückt hatte oder darum gebeten worden war. Nachdem ich kurz nachgedacht hatte, wurde mir klar, dass ich das meiner Freundin angeboten und sogar darauf bestanden hatte, ihr zu helfen. Ich glaube nicht, dass sie mich tatsächlich darum gebeten hatte. Und als ich ihr dann die Früchte meiner ungebetenen Arbeit überreichte, stellte ich fest, dass unser Nachrichtenverlauf wahnsinnig einseitig aussah. Er war eine Kette aus Nachrichten von mir, auf die sie kaum geantwortet hatte; ich hatte gefragt, wie es ihr ging, oder ihr zu irgendetwas gratuliert, was ich bei Instagram gesehen hatte. Während ich mich immer weiter nach oben scrollte, merkte ich, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Eine Erkenntnis tat besonders weh: Trotz all dessen, was ich ihr gab, hatte sie letzte Woche nicht mal an meinen Geburtstag gedacht.
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Das allein war schon eine besonders bittere Pille – noch schlimmer war aber die Einsicht, dass sie nicht das Problem war, sondern ich.
Der 27-jährigen Cassie* kommt dieses Gefühl sehr bekannt vor. Als Redakteurin gehört es zu ihrem Job, immer neue Leute kennenzulernen. „Es fiel mir immer schon leicht, Freundschaften zu knüpfen. Ich merke aber, dass ich dabei meist in dasselbe Muster verfalle: Ich muss immer alle Erwartungen übertreffen. Vor Kurzem habe ich mich mit Sarah*, einer meiner Nachbar:innen, angefreundet. Wir verstanden uns sofort super, und sie schien sehr gerne mit mir Zeit zu verbringen. Ich wünschte mir diese Freundschaft. Mir ist klar, dass sich das ein bisschen verzweifelt anhört, aber ich wollte, dass sie merkte, was für eine gute Freundin ich sein konnte. Also fing ich an, ihr Sachen zu schenken.“
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Wenn ich heute drüber nachdenke, wird mir aber klar, dass ich einfach zu viel investierte. Ich behandelte jede Bekanntschaft wie eine tiefe Freundschaft, und das machte mich kaputt.
Eve, 22
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Cassie bekommt im Rahmen ihres Jobs häufiger Gratisproben von Produkten. Schon nach kurzer Zeit bot sie Sarah diese Geschenke an. „Irgendwann war es aber so, dass sie mir nicht mehr schrieb, um sich zu erkundigen, wie es mir ging, sondern nur, um weitere Sachen zu fordern. Ich fühlte mich immer mehr ausgenutzt. Mir ist klar, dass ich Probleme damit habe, gesunde Freundschaften zu führen. Es ist, als würde ich denken, ich sei als Freundin nicht gut genug – und müsste meinen Freund:innen zusätzlich noch etwas geben.“
Diesen Eindruck teilt auch die 22-jährige Grafikdesignerin Eve. „Es hört sich traurig an, aber weil ich von zu Hause aus arbeite und immer pleite bin, habe ich das Gefühl, meinen Freund:innen mehr geben zu müssen. Es ist, als würde ich verzweifelt versuchen, diese Freundschaften am Laufen zu halten, obwohl sie das von selbst nicht tun. Irgendwann habe ich bemerkt, dass ich in meinen Freundschaften immer viel zu weit gehe.“
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Eve investierte enorm viel Energie in ihre Freundschaften – und war dann am Boden zerstört, wenn diese Mühe nicht erwidert wurde. „Ich habe jede Menge Design-Arbeit umsonst verschenkt. Ich glaube nicht, dass das jemand wirklich von mir erwartete – aber ich fühlte mich verpflichtet, mehr und mehr zu geben. Eine Freundin lag mit Corona im Bett, und ich fuhr zu ihr und putzte ihre komplette Wohnung. Damals machte es mich fertig, dass ich dieselbe Art von Freundschaft nicht zurückbekam. Wenn ich heute drüber nachdenke, wird mir aber klar, dass ich einfach zu viel investierte. Ich behandelte jede Bekanntschaft wie eine tiefe Freundschaft, und das machte mich kaputt.“
Sich nicht als „gut genug“ für eine Freundschaft zu empfinden und die andere Person vom eigenen Wert überzeugen zu wollen, ist dabei aber ein ziemlich weit verbreitetes Phänomen. Die Psychologin Wendy Dignan erklärt, dass sich viel mehr Menschen Bestätigung aus ihren Freundschaften holen, als wir vielleicht vermuten. „Das gilt vor allem für Frauen. Dabei spielt eine große Rolle, wie wir uns selbst definieren. Das wird tatsächlich von unserer Erziehung bestimmt. Ganz egal, wie positiv oder negativ die eigene Kindheit war: Wir versuchen unser ganzes Erwachsenenleben über, unsere Vorstellungen davon zu beweisen oder zu entkräften, wie wir gute Menschen bzw. gute Freund:innen sein können.“
Wendy erklärt, dass diejenigen von uns, die unter einem schlechten Selbstwertgefühl leiden, besonders schnell dazu neigen, übermäßig viel Mühe in Freundschaften zu investieren. „Das ist fast schon kontraproduktiv, weil wir uns oft schlechter fühlen, wenn wir mehr geben, als wir sollten. Es wurde sogar schon in Studien belegt, dass die Leute oft alles annehmen – ob dankbar oder nicht –, was du ihnen anbietest. Daraus entsteht eine Erwartungshaltung, und wir fühlen uns danach mieser. Wenn wir aber eine gesündere Balance schaffen, sind wir in unseren Beziehungen viel glücklicher.“
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Cassie hat genau deswegen vor Kurzem angefangen, aus ihren Erfahrungen mit Freundschaften zu lernen. „Ich hatte immer das Gefühl, mich in diese Freundschaften reinzwängen zu müssen, selbst wenn sie nicht funktionierten. Einmal ist mir etwas wirklich Schlimmes passiert und mir wurde klar, dass ich eigentlich niemanden hatte, dem oder der ich mich damit hätte anvertrauen wollen. Dafür redete ich mir aber selbst die Schuld ein. Ich dachte, ich musste wohl toxisch sein.“ Cassie erzählt, dass es eine schwierige Entscheidung war, sie sich aber doch daraufhin professionelle Unterstützung holte und beschloss, sich von diesen Freundschaften zu distanzieren. „Obwohl ich daher jetzt einsamer bin als früher, fühle ich mich viel besser. Einige dieser Freundschaften, vor deren Verlust ich mich so gefürchtet hatte, funktionierten tatsächlich für keine:n von uns. Ich habe jetzt das Gefühl, endlich an einem Punkt angekommen zu sein, an dem ich auch Grenzen ziehen kann.“
Wie auch Cassie habe ich mich im vergangenen Jahr von mehreren Freundschaften gelöst. Mir wurde schnell klar, dass es einigen Leuten total egal war, dass ich ihnen nicht mehr anbot, alles für sie zu tun. Ich konnte mich jetzt in entspannteren Freundschaften etwas zurücklehnen und musste nicht mehr in die Rollen der Therapeutin, Jobberaterin oder generellen Managerin schlüpfen.
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Als ich aufhörte, so viel in diese Freundschaften zu investieren, fanden die meisten von ihnen ganz von selbst zu einer gesünderen Dynamik, sobald ich den Versuch aufgab, sie krampfhaft am Laufen zu halten.
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Weil ich mich nicht mehr dauernd meldete oder nach Treffen fragte, verliefen einige meiner Freundschaften aber doch im Sande. Vorher hatte ich mich an diese Leute geklammert und ihnen verzweifelt mitgeteilt, dass sie mir fehlten, dass ich nachts panisch wach lag und mir den Kopf darüber zermarterte, ob ich sie auch genug unterstützte – und dass ich alles tun würde, um unsere Freundschaft am Laufen zu halten. Diesmal trat ich aber einen Schritt zurück. Eine Freundin schrieb mir nie wieder.
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Das war alles sehr schwierig, aber auch eine Chance, gesündere Dynamiken in meinen Freundschaften aufzubauen. Wendy betont, wir sollten immer daran denken, dass unser aktuelles Verhalten unsere „Standardeinstellung“ ist. Es zeigt, wie wir uns in unseren Beziehungen instinktiv präsentieren wollen. Trotzdem gibt es einen Ausweg. „Such dir eine Möglichkeit, eine Verschnaufpause von diesen Beziehungen einzulegen. Wenn dir klar wird, dass du in sie viel zu viel Energie steckst, frag dich, warum. Wirf anhand dieser Freundschaften einen kritischen Blick auf dich selbst. Wie sehr weißt du dich selbst zu schätzen?“
Mir ist heute klar, dass weder ich noch die anderen „schlechte“ Freund:innen sind. Einige dieser Beziehungen sind oberflächliche Freundschaften, die ich für tiefer hielt, als sie sind; keine Mühe der Welt könnte das ändern. Andere sind bloß Freundschaften, die ihre beste Zeit hinter sich haben, und das ist auch okay. Trotzdem haben sich viele Freund:innen auch von selbst bei mir gemeldet. Eine schrieb mir, wie sehr sie meinen Support zu schätzen wisse, und dass sie sich mehr über meine Nachrichten gefreut hatte, als mir klar war.
Als ich aufhörte, so viel in diese Freundschaften zu investieren, fanden die meisten von ihnen ganz von selbst zu einer gesünderen Dynamik, sobald ich den Versuch aufgab, sie krampfhaft am Laufen zu halten. Einige Freund:innen übernahmen jetzt auch mal die Organisation; mit anderen hatte ich ziemlich ehrliche Gespräche über unsere Freundschaft, und ihre Erwartungen an mich änderten sich. Viele dieser ungesunden Freundschaften – derjenigen, die mein Selbstwertgefühl zerstörten – wurden viel entspannter, als ich ihnen mehr Freiraum zum Atmen ließ.
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Du wächst daran, wenn du einsiehst, dass deine Freundschaften in vielerlei Hinsicht dich selbst widerspiegeln. Durch die Unterstützung meiner Therapeutin habe ich gelernt, mir Bestätigung von mir selbst zu holen, anstatt dazu auf andere angewiesen zu sein. Ich akzeptiere jetzt endlich, dass ich dafür verantwortlich bin, eigene Grenzen zu ziehen – und dass die Leute in meinem Leben das annehmen, was ich ihnen anbiete. Egal, wie viel es ist.
Und trotzdem: Obwohl ich meinen Freund:innen jetzt nicht mehr so oft und so eindringlich meine Hilfe anbieten, würde ich weiterhin alles für sie tun.
* Name wurde von der Redaktion geändert.
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