In ein paar verwinkelten Ecken von Facebook, Instagram und Co. finden sich Frauen zusammen, die sich distanzieren wollen. Sie halten Schilder in ihre Webcams, auf denen in großen Buchstaben steht: „I don’t need feminism!“ – gefolgt von Begründungen, bei denen sich die Nackenhaare hochstellen. „I don’t need feminism because equality is for all“, „I don’t need feminism because I am not a victim“, „I don’t need feminism because I respect men“. Ein anderer Ausläufer des selben Phänomens: Anfang des Jahres unterzeichneten in Frankreich rund 100 Frauen – darunter Schauspielerin Catherine Deneuve – einen Artikel, der Kritik an der #metoo-Bewegung äußerte: Durch die Debatte um sexualisierte Gewalt sei die sexuelle Freiheit in Gefahr, „hartnäckiges Flirten“ sei kein Delikt.
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Wieso also hält sich diese veraltete Idee von Feminismus so hartnäckig?
Wer sich schon einmal eingehend mit Feminismus und der #metoo-Debatte befasst hat, weiß, dass diese Frauen ein verschobenes Bild haben. Nein, Feminismus will Männer nicht unterjochen, per Definition steht er für Gleichberechtigung ein – und nein, er möchte Frauen nicht als Opfer stilisieren. Im Gegenteil: Es geht um Empowerment, Gendergerechtigkeit – und dabei auch um das Wohl von Männern, denn diese leiden genauso wie Frauen unter den Erwartungen und Rollenbildern, die mit ihrem Geschlecht einhergehen. Bei der #metoo-Debatte geht es um eine Kritik an der Normalisierung sexueller Übergriffigkeit, nicht um eine Flirt-Zensur: Wer Flirten und Bedrängen nicht unterscheiden kann, der braucht Nachhilfe in Sachen sexuellem Konsens.
Im Jahr 2018 ist diese Definition von Feminismus längst Common Sense – sollte man meinen. Und tatsächlich finden sich im Netz unter jedem Beitrag von Antifeminismus-Aktivistinnen Kommentare, die versuchen, aufzuklären: „Basically feminist wants equality for all people, so I don’t get your point.“, „You should take a women’s studies course to learn what feminism really is.“, „Where in the world did your idea of feminism come from?“. Auch die Kritik an den Stimmen aus Frankreich, die durch #metoo das Flirten als Ganzes bedroht sahen, war groß. Wieso also hält sich diese veraltete und inkorrekte Idee von Feminismus als männerhassende Bewegung, die alle Frauen zu haarigen Monstern machen, Romantik verbieten und Männer totalitär unterjochen will, so hartnäckig – ausgerechnet unter Frauen?
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Es ist einfacher, das System auszuschlachten, als es von Grund auf zu ändern
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All das sind Beispiele für eine Logik, die sich am Schlüssigsten mit einer Art Stockholm-Syndrom begründen lässt: Das psychologische Phänomen, ein positives Verhältnis zu seinen Unterdrückern aufzubauen und mit ihnen zu kooperieren. Wächst man in einer Gesellschaft auf, die einen aufgrund des Geschlechtes nicht für Voll nimmt, einen zum Sexualobjekt reduziert und einen auf ein denkbar kleingeistiges Rollenbild beschränkt, dann sucht man sich Wege, das System auszutricksen. Frauen wie Deneuve und die Antifeministinnen auf Facebook und Co. haben diese Taktik perfektioniert – und ihre Antihaltung gegen Feminismus ist Teil dieses vermeintlichen Vorteils, den sie sich gegenüber anderen Frauen erarbeitet haben. Denn wenn Frau sich gegen Feminismus positioniert und zum Beispiel wie Deneuve ihr Sexappeal nutzt und mit Geschlechterrollen spielt, dann hat sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen: Nämlich Aufmerksamkeit und Zustimmung von Männern, die sich über Frauen freuen, die von ihnen nicht verlangen, Privilegien abzugeben. Damit einher geht die Logik, dass jede Frau, die sich weigert, das System zu ihrem Vorteil zu drehen, indem sie sich bei Männern beliebt macht, selbst Schuld sei: Meine Güte, dann flirte doch mal mit dem Chef, wenn du befördert werden willst! Wenn du nicht belästigt werden willst, dann knöpf‘ doch deine Bluse zu! Hör auf, die Gesellschaft für deine Probleme verantwortlich zu machen! Ich krieg‘ das doch auch hin!
Es gibt verschiedene Taktiken, sich diese Zustimmung von Männern – und damit einen Vorteil gegenüber anderen Frauen, die sich mit dem System nicht arrangieren wollen – zu sichern. Einer davon ist das Ausspielen der eigenen Attraktivität, ein anderer ist die Devise „sei schlau, stell dich dumm“. Ein weiterer ist das Adaptieren männlich konnotierter Verhaltensweisen, um auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden. Am Effektivsten ist allerdings das Übernehmen antifeministischer Ideen als Solidarisierung mit den vermeintlich missverstandenen Männern.
Der Feminismus droht, diesen Frauen ihren Vorteil wegzunehmen. Er droht ihnen mit vermeintlichem Machtverlust. Es steht viel auf dem Spiel: Denn fällt dieser Vorteil weg, dann ist man dem Patriarchat scheinbar schutzlos ausgeliefert. Klar: Es ist einfacher, das System für sich zu nutzen, als es von Grund auf zu ändern. Dennoch bleibt diese Verhaltensweise unsolidarisch und egoistisch: Denn dieser vermeintliche Vorteil basiert auf einer Unterdrückung, der sich nicht jede Frau entziehen kann. Und er würde obsolet, wenn Feminismus seine Ziele erreichen würde. Die einzige, die von dieser Handlungsweise wirklich profitiert, ist die Unterdrückung selbst.
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