Es war vor einer Operation, morgens um kurz vor neun Uhr. Ich lag in der Klinik im Vorbereitungsraum der Anästhesie, lose festgeschnallt an das OP-Bett, bekleidet nur mit einem luftigen Hemdchen, auf dem Kopf trug ich ein Haarnetz. Man kann meine Situation also ruhigen Gewissens als exponiert bezeichnen, hilflos trifft es auch ganz gut. Die Anästhesistin betrat den Raum, gekleidet in beruhigendem Dunkelgrün. Unheimlich souverän und mit Routine klärte sie mich über den Ablauf auf und startete dann den Versuch, mein Bett in Position zu bringen. Als ihr das dank der widerspenstigen Rollen nicht direkt gelingen wollte, lachte sie mich an und sagte: „Oha, wieder typisch Frau. Ich kann Sie nicht einparken!”
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Ich rückte mein Haarnetz zurecht, brummte etwas und zwang meine Mundwinkel in Richtung Ohren. Hatte sie das gerade wirklich getan? Hatte diese unglaublich souveräne, gebildete und smarte Frau sich gerade allen ernstes vor einer halbnackten Anfangdreissigerin mit Haarnetz klein gemacht und sich selbst in die Ecke des kleinen ungeschickten Fräuleins gestellt? Meine Gefühle schwankten zwischen Enttäuschung, Ärger und dem Wunsch nach Aufklärung. Dass ich gleich in eine Vollnarkose versinken würde, daran verschwendete ich tatsächlich keinen Gedanken mehr. Während also immer mehr Hände mich auf die nahende Operation vorbereiteteten und Münder mir letzte Fragen vor meinem Blackout stellten, war ich einfach nur empört.
Schließlich gibt es so viele Beispiele in unserem Alltag, in denen Frauen oder Mädchen vermeintliches Nicht-Können mit ihrem Geschlecht oder Attributen und den damit anscheinend verbundenen Defiziten entschuldigen, obwohl es dafür überhaupt gar keinen Grund gibt. Im Späti entschuldigte die Dame hinter dem Tresen ihr gemähliches Addieren mit den Worten „Na, ick bin nicht so schnell im Kopfrechnen, wa, ick bin ja 'ne Frau.” Und ist es nicht traurig, dass Sätze, die mit „ … wie ein Mädchen!” enden, eher als Beleidung verwendet werden? Meine lieben Frauen, ich meine euch! Sagt mir ein Mann, dass ich wie ein Mädchen trinke, weil mein Bier nicht nach zwei Schlucken leer ist, ist meine Antwort darauf:„Und jetzt?”. Ich trinke mein Bier so schnell oder so langsam oder so alkoholfrei, wie ich es gerade möchte. Wenn hingegen eine Frau diesen Spruch zu mir sagen würde, würde ich sie fragen, ob sie noch alle Tassen im Schrank hat.
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Es spielt auch keine Rolle, ob frau nun ein abgeschlossenes Medizinstudium in der Tasche oder ihre Erfüllung im Verkauf von Zigaretten und Lottoscheinen gefunden hat. Diese genderdefinierten Defizite, die dank lauter Mario Barths da draußen in den Köpfen der Gesellschaft festkleben, gehören auf den Müll. Ich parke Herrn Barth gerne seine Dreckskarre zehn mal rückwarts ein, ohne Spiegel, während ich Bier trinke und ihm erkläre, warum er sich seine Mann-Frau-Welt in die Haare klemmen kann. Es gab vor einigen Jahren diese denkwürdige Kampagne von Always, in der Jugendliche und Kinder unter anderem aufgefordert wurden, wie ein Junge zu werfen und danach so wie ein Mädchen. Die Jungen holten beim ersten Mal ordentlich aus und stellten sich beim zweiten Mal an, als hätten sie Gummiarme. Und die Mädchen? Die gaben beim zweiten Mal erst Recht Gas.
Wir erwachsenen Frauen sollten wie diese Mädchen werden. Wir dürfen weder unser Können klein machen, damit sich unser Gegenüber nicht eingeschüchtert fühlt, noch dürfen wir vermeintliches Unvermögen mit unserem biologischen Geschlecht entschuldigen oder begründen. Am schlimmsten ist es aber, wenn sich gerade Mädchen für Sympathien klein machen. Mit Schrecken denke ich an meine Jugend, wo mir nicht nur einmal der Satz „Naja, ich bin halt eine Blondine” über die Lippen kam. Einerseits, weil mir der frauenverachtende Inhalt nicht klar war und andererseits ganz ehrlich, damit mein Gegenüber mich lustig findet. Wenn wir damit aufhören, in die Rolle des kleinen ungeschickten Fräuleins zu schlüpfen, dann wird auch die Gesellschaft damit aufhören, uns immer frisch getünchte Stempel auf die Stirn zu drücken. Sich klein machen für einen Lacher oder um zu gefallen, ist in der Tat sehr klein und traurig.
Ich wünsche mir sehr, dass die Anästhesistin beim nächsten Mal einfach sagt, dass sie hier ja nicht zum Bettendrehen angestellt ist und die Frau im Späti auf die Erfindung des Taschenrechners hinweist. Denn ich ärgere mich noch immer, dass ich damals den Mund nicht aufbekommen habe. Auch halbnackt und mit Haarnetz hätte ich einfach die Wahrheit sagen sollen. Und die lautet, dass Frauen sich niemals irgendwelchen Klischees unterordnen müssen.
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