Die ersten Facebook-Fotos von mir stammen von 2007. Darauf bin ich 13 Jahre alt, habe sorgfältig geglättete Haare und tonnenweise schwarzen Eyeliner im Gesicht, und sitze mit sechs anderen Mädchen vor einer Reihe aus Schließfächern. Jedes der Mädchen hat genauso geglättete Haare und Waschbär-Augen.
Ihre Namen sind wohl für alle Ewigkeit in mein Gedächtnis gebrannt: Sarah-Annie-Ellie-Amanda-Maggie-Sophie – und ich. Selbst heute kann ich diese Namen genauso locker runterrattern wie das Alphabet oder die Nationalhymne. Damals war diese Freundinnengruppe ein entscheidender – wenn nicht der entscheidende – Bestandteil meines Universums.
Ich ging damals davon aus, dass meine Freundschaften immer diese Gruppenform annehmen würden. Diese Struktur ist aber quasi völlig verschwunden; wohingegen ich früher eine verlässliche, feste Clique hatte, habe ich jetzt eine Vielzahl individueller, voneinander getrennter Freundschaften. Die Form meiner Freundschaften hat sich heute, mit 28, in eine unerwartete Richtung entwickelt.
WerbungWERBUNG
Und das geht nicht nur mir so. Viele von uns machen ihre ersten sozialen Schritte in Form von Freundschaftsgruppen. Die 31-jährige Katie zum Beispiel hatte als Teenagerin eine ganz feste Clique. „Wir waren so zehn Leute“, erinnert sie sich. „Wir waren alle irgendwie Außenseiter:innen und wurden fälschlicherweise als ‚Goths‘ abgestempelt.“ Obwohl sie alle als „anders“ galten, fühlten sie sich zusammen als Teil eines Ganzen. Sie wurden unzertrennlich, gingen zusammen shoppen oder auf Homepartys und fanden Möglichkeiten, Bier aus dem Haus zu schmuggeln, um sich dann zum Trinken im Park zu treffen.
Das Gefühl der Zugehörigkeit ist wichtig, wenn wir noch jung sind – so wichtig sogar, dass es bestimmen kann, wie wir uns zu Erwachsenen entwickeln. „Wenn uns in der Jugend das Gefühl entgeht, Teil eines Freundeskreises zu sein, haben wir einen ganz anderen Blick auf uns selbst und andere“, erklärt die Psychologin Dr. Clair Burley. „Zum Beispiel hinterfragen wir womöglich unsere Fähigkeit, irgendwo ‚reinzupassen‘ oder in einer Gruppe gemocht zu werden.“
“
Früher schauten wir Serien wie Friends und Sex and the City, die uns vermittelten, dass deine Cliquen in deinen 20ern und 30ern für immer deine besten Freund:innen bleiben. Das stimmt nicht.
katie, 31
”
„Während unserer Jugend erfüllen Cliquen das Bedürfnis, dazuzugehören, von einer Community akzeptiert zu werden, Spaß zu haben und Gemeinsames zu erleben“, meint Dr. Burley.
Aber natürlich hat die Existenz innerhalb einer so engen Clique während der Jugend auch ihre Schattenseiten. „Mein Freundeskreis zu Schulzeiten war ziemlich groß“, erzählt die 34-jährige Emma. „Wir waren besessen von den Spice Girls, Miniröcken und billigem Cider, den wir im Park tranken.“
Ihre feste Freundschaft fühlte sich damals unzertrennlich an, war aber gerade deswegen auch nicht immer gesund. „Meine Freundschaften kamen mir unzerstörbar und unendlich loyal vor“, sagt Emma. „Das hieß aber, dass du auch bei vielen Trends mitmachen musstest, mit denen du dich vielleicht nicht immer identifiziert hast. Noch dazu machtest du dich dadurch anfällig für jede Menge verletzte Gefühle.“
WerbungWERBUNG
Obwohl uns unsere erste Clique das Selbstbewusstsein verleiht, das mit dem Gefühl der Zugehörigkeit einhergeht, kann sie doch für ein gewisses Gruppendenken sorgen. In einer Freundschaftseinheit kann es daher schwer sein, eigene, einzigartige Interessen zu entwickeln und als Individuum zu wachsen.
Für meine eigene Clique bedeutete vor allem die Pandemie den Untergang. Meine Girl-Gang aus Schulzeiten hatte ich schon vor Jahren zurückgelassen, als ich wegzog; nach meinem Master-Abschluss hatte ich dann aber eine neue, verlässliche Gruppe an Freund:innen, mit einem eigenen WhatsApp-Gruppenchat und regelmäßigen Verabredungen. Diese vertraute Gruppendynamik zerbrach aber schon kurz nach Beginn der Pandemie. Nach ein paar optimistischen Zoom-Partys und Gruppenspaziergängen teilten wir uns schnell in Zweierfreundschaften auf.
Ganz überraschend war das aber nicht. Obwohl Corona sicher dazu beigetragen hat, dass meine Clique schneller zerfiel, war diese Trennung vermutlich ohnehin unvermeidlich. Pandemie oder nicht: Das Aufrechterhalten einer Freundesgruppe wird immer schwerer, je älter wir werden.
„Während wir noch jünger sind, sind wir leichter verfügbar und haben weniger Verpflichtungen“, erklärt Dr. Burley. „Mit dem Alter kommen neue Prioritäten und Pflichten dazu – der Job, Partner:innen, Kinder, Verwandte, und so weiter. Davon wird auch unsere Fähigkeit beeinträchtigt, uns in Gruppen zu verabreden. Es ist ja schon schwer genug, ein, zwei Freund:innen in den Kalender zu quetschen, geschweige denn eine ganze Gruppe!“
Das begriff auch Katie irgendwann. Sie erkannte, dass sie ihre Erwartungen an eine „normale“ Freundschaft ändern musste. „In unserer Jugend schauten wir Serien wie Friends und Sex and the City, die uns vermittelten, dass deine Cliquen in deinen 20ern und 30ern für immer deine besten Freund:innen bleiben“, sagt sie. „Das stimmt nicht. Die Leute werden erwachsen, ziehen weg, studieren. Unterschiedliche Freundschaften erfüllen unterschiedliche Zwecke.“
WerbungWERBUNG
Da hat Katie Recht. Es sind nämlich nicht bloß die pragmatischen Aspekte des Erwachsenenlebens, die unsere Freundschaften beeinflussen – sondern auch unsere persönlichen Bedürfnisse. Oft wünschen wir uns von unseren Erwachsenenfreundschaften nämlich etwas „Neues“, etwas, das uns unsere Clique aus Schulzeiten nie geben konnte.
Als Emma in ihren 20ern war, fühlte sie sich von ihrer alten Clique irgendwie eingeschränkt. „Viele meiner Freund:innen waren inzwischen verheiratet und hatten Kinder, verlangten aber immer noch von mir, dass ich sie zu meiner absoluten Priorität machte. Ich fand das ziemlich anstrengend“, erzählt sie. Ihre gemeinsame Liebe für die Spice Girls und billigen Cider reichte plötzlich nicht mehr aus, um sie zusammenzuschweißen – vor allem nicht unter der Last der Verantwortungen, die zum Erwachsensein gehören. Also suchte sich Emma neue, individuelle Freundschaften.
„Ich fand es toll, jemanden zu finden, der:die es ebenfalls liebte, zu schreiben und mit mir den ganzen Tag in einem Café zu sitzen. Oder jemanden, der:die genauso gern Fahrrad fährt wie ich und Lust auf lange Radtouren hatte“, meint sie. „Ich habe auch hart daran gearbeitet, Grenzen zu ziehen, weil ich früher immer diejenige war, die allen helfen musste, ohne jemals selbst Hilfe zu bekommen.“
Auch Skye liebte ihre Gruppe aus Schulfreund:innen. Nachdem sie aber ihr Studium angefangen hatte, um die Welt gereist war und dann in einer Pandemie landete, stellte sie fest, dass sie plötzlich hauptsächlich stärkere, individuelle Freundschaften hatte. „Ich habe verschiedene Freund:innen aus verschiedenen Lebensabschnitten, und das ist mir echt wichtig. Ich finde, in diesen Zweierfreundschaften hast du viel besser die Gelegenheit zum Reden und gegenseitigen Austausch. Deswegen fühle ich mich ihnen allen sehr nah“, sagt sie. „Außerdem erfordert es mehr Mühe, mit individuellen Freund:innen in Kontakt zu bleiben und Verabredungen auszumachen, weil ihr nicht einfach in derselben Gruppe rumhängt. Ich glaube, deswegen überleben diese wichtigen Freundschaften besser“, ergänzt sie.
WerbungWERBUNG
Wir fühlen uns im Alter immer mehr zu einzelnen Freundschaften hingezogen, erklärt Dr. Burley, weil sich unsere Bedürfnisse verändern und eine Gruppendynamik diese nicht mehr befriedigt. „Unser Wunsch nach einer tieferen Verbindung innerhalb einer Freundschaft wird immer stärker. Wir suchen uns jemanden, mit dem:der wir sprechen können, der:die uns versteht, dieselben Werte teilt und uns seine:ihre Gesellschaft schenkt“, sagt sie. „Das ist in Zweierfreundschaften häufig einfacher als innerhalb einer Gruppe.“
Mein Freundeskreis ist nicht mehr der, der er mal war. Es machte mich traurig, dabei zuzusehen, wie er während der Pandemie langsam zerbröselte. Einige der Leute aus dieser Gruppe spielen in meinem Leben kaum noch eine Rolle. Gleichzeitig bin ich aus dieser Zeit aber mit einigen engen Freundschaften hervorgegangen, die jetzt stärker sind, als sie es innerhalb der Gruppe jemals hätten werden können.
Indem ich die Gruppe losgelassen habe, habe ich Einzelbindungen entwickelt, die meine ehemaligen Freundschaften bei Weitem überragen. Ich habe das volle Potenzial einer Freundschaft ausgeschöpft. Früher habe ich Freundschaft als eine Art Selbstläufer betrachtet, dem ich mich anschließen kann, indem ich mich einfach kopfüber hineinstürze. Jetzt sehe ich sie mehr als eine Reihe wachsender Äste, die alle ihren eigenen Pfaden folgen und eigene Vorzüge bieten.
Meine heutigen Freundschaften existieren in ihren ganz eigenen, kleinen Universen. Mit einer Person betrinke ich mich vielleicht mit Wein und diskutiere das Taylor-Swift-Jake-Gyllenhaal-Drama; mit einer anderen verabrede ich mich für lange Spaziergänge und stöbere ich schicken Lebensmittelläden, während sie jede Menge Weisheiten mit mir teilt. Mit einer anderen tausche ich lange, jammernde Sprachnachrichten über die politische Lage aus.
Ja, ein Teil von mir vermisst die unkomplizierte Verlässlichkeit meiner Schulzeit-Clique. Andererseits bin ich eben nicht mehr das Mädchen mit geglätteten Haaren und schwarz geschminkten Augen – und das spiegeln inzwischen auch meine Freundschaften wider.