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Ich bin oft neidisch auf Freund:innen – & das sage ich ihnen auch

Foto: Eylul Aslan.
Am 1. Januar wachte ich verkatert in der Wohnung einer Freundin auf und griff direkt aus Gewohnheit zum Handy, um Instagram zu öffnen. Von meinem Bildschirm strahlte mir das Lächeln meiner besten Freundin entgegen, umgeben von den flackernden Lichtern der berühmten Straßenkreuzung in Shibuya, Tokio, wo sie gerade für einen Monat Urlaub machte. „2022 in Reisen“, stand in ihrer Caption. Die nächsten Bilder zeigten das glitzernde Wasser in den Kanälen von Venedig, eine Hochzeit auf Mallorca, einen farbenfrohen Sonnenuntergang in Kroatien, die Häuser von Machu Picchu. Ich war genervt: Nicht nur, weil ich am nächsten Tag wieder würde arbeiten müssen, während sie scheinbar die Zeit ihres Lebens hatte, sondern auch, weil ich mich jetzt plötzlich schuldig fühlte. Klar freute ich mich für sie – aber ich wünschte mir eben auch, sie würde ihren Jetset-Lifestyle nicht so öffentlich zur Schau stellen. Und direkt schwappte eine weitere Welle der Schuld über mich hinweg: War ich etwa eine schlechte Freundin?
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Die Psychiaterin und Podcast-Moderatorin Dr. Badeea Qureshi erklärt mir, dass es in engen Beziehungen ganz normal ist, Neid zu empfinden, weil wir darin dafür „am anfälligsten sind“. Obwohl wir uns Neid oft selbst verbieten, „ist er eigentlich ganz nützlich, wenn wir uns gründlicher damit auseinandersetzen“.
@miriam_tinny Feel like this is really not something we discuss often #friendships #friends #jealousy #relationships ♬ original sound - Miriam
Die 30-jährige Content Creator Miriam Tinberg, die auf ihrem TikTok-Account gedankenanregende Artikel analysiert, hat letztens in einem Video erzählt, dass sie mit einer engen Freundin ganz offen über ihren Neid füreinander spricht – und darüber, wie das ihre Freundschaft verändert hat. „Anstatt diese Gefühle immer runterzuschlucken und dadurch einen Groll aufzubauen, sagen wir einfach: ‚Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen getriggert von dem, was du tust oder sagst.‘“
Miriam ist in einem stabilen Haushalt mit einem Geschwisterkind und liebevollen Eltern aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrem Partner in Los Angeles und arbeitet in Vollzeit in einem Tech-Job. Ihre Freundin hingegen ist Einzelkind, wuchs in zwei verschiedenen Ländern auf und fühlte sich während ihrer Jugend oft „verloren, verwirrt und gegaslightet“. Ihre Identität hat demnach „diverse Bindestriche“, sagt sie selbst. Sie arbeitet als Animateurin auf einem Kreuzfahrtschiff. Zwar fehlt es ihr daher an derselben Stabilität, die Miriam genießt – doch kann sie eben dank ihres Jobs die Welt bereisen. „Wir haben immer sehr verschiedene Leben geführt. Dadurch sind unsere Gespräche zwar total spannend, aber es hat eben auch für viele Spannungen gesorgt.“

Ich schrieb meiner Freundin: „Ich bin neidisch darauf, dass du so tolle Beziehungen zu Männern hast.“

Asiyah
„Wir Menschen neigen dazu, uns mit Gleichaltrigen, mit unseren Geschwistern oder Freund:innen zu vergleichen“, erklärt die Psychotherapeutin und Paarberaterin Hilda Burke
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Die Vorstellung, die Kirschen in Nachbars Garten würden immer ein bisschen süßer schmecken, begleitet uns schon seit Generationen, spielt in der heutigen Gesellschaft aber eine viel komplexere Rolle. Einerseits können uns unsere Leben in unzählige Richtungen führen; dieses sogenannte „Auswahlparadox“ kann aber auch unsere Angst davor befeuern, etwas zu verpassen. „Durch den Aufstieg der sozialen Medien werden wir heute viel stärker mit Leuten konfrontiert, mit denen wir auf unterbewusster Ebene konkurrieren oder mit denen wir uns vergleichen, und das nicht unter fairen Bedingungen“, meint Burke. Das kann vor allem in Fernfreundschaften schwierig werden, wenn wir nicht in regelmäßigem Kontakt zueinander stehen.
Die 30-jährige Ola erzählt, sie habe sich von einer Freundin während der Pandemie immer weiter distanziert. „Damals litt ich unter Depressionen und war so neidisch darauf, dass sie einfach ihr bestes Leben zu führen schien – und ich das überhaupt nicht konnte.“ Gleichzeitig war ihre Freundin aber neidisch auf Ola, „weil sie sah, wie offen und ehrlich ich in meinen Social-Media-Posts und meinen Beziehungen war. Das wünschte sie sich auch für sich selbst“.
Die 25-jährige Asiyah empfand Neid, als sie sich mit einer Freundin über romantische Partnerschaften und die Unterschiede in ihren jeweiligen Beziehungen mit Männern unterhielt. Asiyah würde gern eine Familie gründen, hatte sich aber in ihren Beziehungen bisher immer unerfüllt gefühlt und zweifelte daran, je eine gleichberechtigte Beziehung führen zu können. „Ich schrieb meiner Freundin: ‚Ich bin neidisch darauf, dass du so tolle Beziehungen zu Männern hast.‘“
Zu Asiyahs Überraschung reagierte ihre Freundin, mit der sie gern über solche psychologischen Themen spricht, überhaupt nicht defensiv auf dieses Geständnis. Stattdessen ermutigte sie Asiyah, sich vorzustellen, wie sich eine glückliche, liebevolle Beziehung anfühlen würde. „Sie sagte mir: ‚Es ist egal, dass du nicht verheiratet bist. Erkunde einfach mal, wie sich das anfühlen würde.‘ Das tat ich, und es eröffnete mir eine ganz neue Welt.“
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Dr. Qureshi empfiehlt ihren Kund:innen in der Therapie die sogenannte Schattenarbeit, um Gefühle auszudrücken, die sie bisher nicht konfrontieren wollten. Diese Übung stammt vom Schweizer Psychiater Carl Jung und hilft Menschen dabei, sich mit unterdrückten Gefühlen auseinanderzusetzen. „Wenn es dir gelingt, einen Bruch innerhalb einer Beziehung zu reparieren, führt das oft zu stärkerer Nähe“, erklärt sie.
Vor ein paar Tagen habe ich meine beste Freundin angerufen, nachdem sie gerade von einem Wochenendtrip nach Mailand zurückgekehrt war. Als ich ihr erzählte, wie neidisch ich auf ihre Reisen gewesen war, gab sie zu, dass sie während ihres Urlaubs an Krämpfen gelitten hatte und am liebsten sofort nach Hause geflogen wäre. Jetzt will sie sich erstmal darauf konzentrieren, sich zu erholen – und bleibt daher eine Weile hier. Und ich habe mir selbst vorgenommen, mich nicht dauernd in Sorgen um meine Karriere zu verlieren und mein Leben ein bisschen mehr zu genießen.
Auch für Miriam, Ola und Asiyah hat es sich gelohnt, sich ihren Freundinnen zu öffnen. „Eifersucht und Neid gelten oft als Beziehungskiller“, meint Miriam. „Die Wahrheit ist aber: Indem wir über unseren Neid sprachen, versuchten wir ja nicht, die Realität des Gegenübers zu verändern. Und es hieß auch nicht, dass wir einander oder unser eigenes Leben hassten.“ Stattdessen ging ihre Freundschaft gestärkt daraus hervor. Miriams Gespräche mit ihrer Freundin über ihre finanziellen Unterschiede haben ihnen eine ganz neue Ebene eröffnet, auf der sie einander Ratschläge dazu geben, wie sie mehr Geld verdienen können. Ola erzählt mir, sie und ihre Freundin stünden sich „näher denn je. Obwohl wir uns oft uneinig sind, haben wir gelernt, miteinander zu kommunizieren und einander den Freiraum zu geben, den wir brauchen“.
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